"Hell" im Kino:Licht, das dich verbrennt

Ein Platz an der Sonne ist ein Platz in der Hölle. Tim Fehlbaum gelingt ein grandioses Regiedebüt. Der junge Absolvent der Münchner Filmhochschule verpackt einen Kannibalenschocker in einer ganz eigenen Poesie des Schreckens.

Tobias Kniebe

Die Scheiben sind verklebt, mit Pappe und altem Zeitungspapier. Durch schmale Sehschlitze dringt weißes Licht, es frisst sich hinein, so gnadenlos überstrahlt es den dämmrigen Innenraum. Dort werden Gestalten erkennbar, in schmutzige Tücher gehüllt, kein Zentimeter Haut darf freiliegen, Schweißerbrillen schützen die Augen. Da draußen lauert der Feind, und der Feind ist die Sonne.

Ein Filmemacher, der die Sonne zum Feind erklärt, das hat was. Oft muss ihre Kraft ja beim Drehen erst gebändigt werden: durch schützende Blenden und schnelle Verschlusszeiten, durch das Filmen am frühen Morgen oder am Abend kurz vor Sonnenuntergang. Andernfalls ätzt sie sich durch das Filmmaterial, bleicht alle Farben, zerreißt die Konturen, vernichtet die Kontraste, macht alles weiß.

Ein Filmemacher, der nach Korsika in die Berge geht, wo ein Waldbrand das Leben verdorrt hat, der dort in die größte Mittagshitze hineinfilmt, der seine Blenden öffnet und die Welt erbleichen lässt, der seine Bilder ganz bewusst anfressen lässt von der Gewalt des Lichts - so ein Filmemacher spielt mit dem Feuer.

Alter Volvo als Schutzraum

Er hat aber auch viel zu gewinnen. Eine Haltung gegenüber dem Licht, eine Entfesselung seiner Kräfte, eine klare Vorstellung von hell und dunkel - wünscht man sich das nicht eigentlich von jedem Film?

Themendienst Kino: Hell

Dort draußen lauert der Feind, und der Feind ist die Sonne: Lars Eidinger als Philip (v.l.), Hannah Herzsprung als Marie und Stipe Erceg als Tom in dem Thriller 'Hell' von Tim Fehlbaum.

(Foto: dapd)

Tim Fehlbaum, ein junger Absolvent der Münchner Filmhochschule, hat diese Haltung von Anfang an. Er zeichnet hier, zusammen mit Markus Förderer, zum Teil auch selbst für die Kamera verantwortlich. Sein Spielfilmdebüt "Hell" beginnt er im Dämmerlicht, im Schutzraum eines alten Volvos, in dem drei Menschen sich gegen die Sonne gewappnet haben. Noch ist Wasser in den Trinkflaschen, noch ist Benzin im Tank.

Aber sie müssen nach draußen, keine Frage, und auch die Kamera wagt sich hinaus. Bald fährt sie hinter dem Volvo her, der sich eine steile Bergstraße hinaufquält und dabei eine Staubfahne aufwirbelt. In den Bergen, heißt es, soll es Wasser geben. Doch wie die Sonne sich durch diesen Staub brennt und dabei auch die Leinwand überflutet, das dementiert jede Hoffnung schon aufs entschiedenste, das schnürt dem Betrachter die Kehle zusammen. Spätestens da findet "Hell" zu einer Poesie des Schreckens, die ihm ganz allein gehört.

Erklärungen zu dem ganzen Szenario gibt es angenehm wenige, aber sie reichen aus. Die vielbeschworene Klimakatastrophe - offenbar ist sie eingetreten. Die vielbeschworene Ozonschicht - offenbar existiert sie nicht mehr. Für Veganer gibt es keine Pflanzen mehr, und für die Fleischfresser keine Tiere. Wenn nun die letzten Überlebenden durch Mitteleuropa irren, muss der Rest des Planeten schon längst vernichtet sein.

Jede Begegnung kann tödlich ausgehen

Von der apokalyptischen Grundstimmung her erinnert das an Cormac McCarthys "The Road", und auch die Probleme sind ähnliche: Um überhaupt noch irgendwohin zu kommen, müsste man sich mit anderen Gestalten am Wegesrand zusammentun - aber wem soll man trauen? Jede Begegnung kann tödlich ausgehen, wenn man selbst noch etwas hat, was der andere brauchen könnte - und sei es das Fleisch auf den eigenen Rippen. Bei dieser Erkenntnis verschiebt sich dann auch die Angst in eine neue Richtung - die Sonne ist zwar immer noch tödlich, aber die größte Gefahr droht dann doch vom Hunger der eigenen Artgenossen. Die sind aus naheliegenden Gründen eher nachtaktiv, so dass sich die Konfrontation mit dem Licht von nun an auf wenige, aber starke Momente beschränken wird.

Zwei junge Frauen stehen im Zentrum der Films: Marie (Hannah Herzsprung) und Leonie (Lisa Vicari). Schön beiläufig erfahrt man, dass sie Schwestern sind - für langatmige Exposition hat hier niemand die Nerven. Ihre Bindung ist jedenfalls stärker als die zu den Männern: Der erste Begleiter (Lars Eidinger) entpuppt sich recht schnell als Feigling und fällt dann komplett aus, der zweite (Stipe Erceg) ist mutiger, braucht dann aber selbst bald Hilfe. Die kleine Schwester retten, die von einer Bande in den Bergen entführt wurde, ist bald Maries einziges Ziel. Sie ist schon ganz allein, als sie in einer verfallenen Kapelle zusammenbricht - um dann von einer lichtumflorten, gütig lächelnden Angela Winkler gerettet zu werden, die offenbar ihren Glauben und ihre Nächstenliebe noch nicht verloren hat. Kurz fürchtet man, dass der Film hier kippt, und zwar in einen Abgrund aus zähem Kitsch - aber schon Minuten später erkennt man das Gegenteil: Jetzt ist Marie erst wirklich im Zentrum des Schreckens angekommen.

Der Regisseur Fehlbaum und seine Koautoren sind erkennbar vom Genre inspiriert und geprägt - sie wissen, was ein ordentlicher Kannibalenschocker bieten muss, um den Kenner nicht zu enttäuschen. Diese Verpflichtung lösen sie ein - und doch interessiert sich Fehlbaum auch für ganz andere Dinge: für die verborgenen Kräfte in seinen Frauenfiguren etwa, und eben für die gnadenlosen Kräfte des Lichts, die das Finale dann wieder sehr effektvoll überfluten. So sicher wirkt dieser Kinodebütant in allem, was er hier anpackt, dass man auf seine nächsten Schritte nur gespannt sein kann.

HELL, D 2011 - Regie: Tim Fehlbaum. Buch: Fehlbaum, Thomas Wöbke, Oliver Kahl. Kamera: Markus Förderer, Fehlbaum. Mit Hannah Herzsprung, Lars Eidinger, Stipe Erceg, Angela Winkler, Lisa Vicari. Paramount, 89 Minuten.

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