Helge Schneider zur TV-Krise:"Ich prangere das an"

Helge Schneider spricht über Reich-Ranicki, seine Verwechslung mit Atze Schröder, Qualität im TV, den US-Wahlkampf und die Spießigkeit der Jugend.

Ruth Schneeberger

"Der lebt in einer anderen Welt", sagt der Aufnahmeleiter kopfschüttelnd, als er Helge Schneider zum verabredeten Zeitpunkt nicht am verabredeten Ort vorfindet. Er ist der festen Überzeugung, Schneider sei mit seiner Crew in der Münchner Gastro-Szene verschollen, anstatt pünktlich zur ZDF-Show "Neues aus der Anstalt" zu erscheinen. Die Kabarett-Sendung wird live aus dem Münchner Arri-Kino gesendet. Die Redaktion ist in Aufregung: "Wo ist Helge Schneider?" Der Ton wird schärfer.

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"Seinem Wort wird zu viel Bedeutung beigemessen": Helge Schneider über Marcel Reich-Ranicki.

(Foto: Foto: ddp)

Da steckt Schneiders Agent gut gelaunt seinen Kopf zur Tür herein. Später wird sich herausstellen, dass die Crew schon lange brav in der Künstlergarderobe gewartet hat. Dennoch: Dem 53-jährigen Musik-Entertainer eilt der Ruf voraus, anders zu sein. Selbst Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nannte ihn in Zusammenhang mit seiner viel beachteten Kritik am deutschen Fernsehprogramm - wenn auch in einem negativen Zusammenhang: Alles würde besser werden, wenn das Fernsehen unter anderem weniger Helge Schneider zeigen würde, hieß es ungefähr in der extra einberufenen Sendung "Aus gegebenem Anlass" zur Sicherung der Qualität im TV. Schließlich stellte sich heraus, dass er Helge Schneider offenbar mit Atze Schröder verwechselt hatte.

Wir treffen den Seltsamen vor Beginn der Show. Er trägt einen dunkelblauen Altherren-Anzug mit überdimensionalem quietschgelben Einstecktuch, bietet an, seine Mandarine zu teilen, und so lange zu plaudern, wie man lustig ist. Als er die Türe schließt, sagt er, mehr für die Ohren der Außenstehenden, "bitte machen Sie sich schon mal frei."

sueddeutsche.de: Wie ist das eigentlich, von Marcel Reich-Ranicki mit Atze Schröder verwechselt zu werden?

Helge Schneider (lacht): Ja, da habe ich mich kaputtgelacht. Da saßen wir vor dem Fernseher, das Baby hat im Kindersitz eine Knackwurst gegessen. Uns war ein bisschen langweilig, der Tag ging zu Ende, zufällig haben wir Gottschalk geguckt, wie er mit Reich-Ranicki redet. Mich hat das Thema eigentlich gar nicht so interessiert, ich hätte vielleicht sogar dasselbe gesagt wie Reich-Ranicki in seiner Kritik zum Fernsehprogramm. Ich habe ihn vor 15 Jahren übrigens mal bei Gottschalk kennen gelernt ....

sueddeutsche.de: Ach, Sie kennen ihn persönlich?

Helge Schneider: Ja, aus einer Sendung, in der ich meinen ersten Roman vorgestellt habe, "Zieh dich aus, du alte Hippe". Da hat der Alte noch gesagt, "so ein Buch lese ich nicht". Das ist ein älterer Herr, der kann das ruhig sagen, auch die Dinge über mich. Der hat das wahrscheinlich gar nicht verstanden, oder die Sachen nie gelesen, die er nicht verstehen will. Ich glaube schon, dass er, wenn ich bei ihm zu Hause Klavier spielen würde, dazu eine schöne Tasse Tee trinken würde und dann gemächlich einnicken würde, tanzen würde er aber wahrscheinlich nicht.

sueddeutsche.de: Sie haben das also nicht ernst genommen?

Helge Schneider: Für mich ist das kein richtiger Kritiker. Komischerweise wird er sehr ernst genommen. Der ist ja eigentlich ein bisschen schratig. Ich finde, seinem Wort wird zu viel Bedeutung beigemessen. Was soll das? Er ist von den Medien zu dem gemacht worden, was er ist.

sueddeutsche.de: Anscheinend hat er gar nicht Sie gemeint.

Helge Schneider: Atze hat mir gesagt, er hätte an diesem Abend eine Admiralsjacke angehabt. Ich hatte mal eine U-Boot-Kapitänsjacke, mit ganz vielen Orden. Die ziehe ich aber schon lange nicht mehr an. Ich laufe jetzt in solchen edlen Anzügen rum, um die Beklopptheit zur Schau zu stellen, in der wir uns heute befinden. Sieht doch gut aus, oder?

sueddeutsche.de: Sehr gut. Um noch mal zur Diskussion um Qualität im TV zurückzukommen....

Helge Schneider lacht.

sueddeutsche.de: Ja, damit waren wir noch nicht durch: Die Diskussion um Qualität im Fernsehen könnte Ihnen doch liegen, oder? Sie haben sich zumindest in früheren Interviews darüber beschwert.

Helge Schneider: Na ja, Gottschalk hat in dem Fernseh-Talk mit Reich-Ranicki gesagt, man solle das Niveau ruhig senken, um mehr Quote zu machen. Das finde ich nicht richtig. Wenn man so was macht wie Showgeschäft, muss man doch das, was man macht, selbst gut finden. Man hat ja den Auftrag, dass man das anderen zuteil werden lässt, man hat einen erzieherischen Auftrag. Wenn man aber denkt, für die Zuschauer mache ich jetzt was Doofes, damit die einschalten, ist das am Thema vorbei, geht das in einer Endlos-Schleife immer weiter nach unten. Der Zuschauer ist sowieso schon entmündigt. Der Fernsehmacher geht auf Nummer sicher. Aber so ist das ja überall. Eigentlich fände ich es schön, wenn TV auch etwas mit Qualität zu tun hätte. Aber ich glaube, das fängt schon vor dem Einschalten des Fernsehers an.

sueddeutsche.de: Was ist niveaulos im deutschen Fernsehen?

Helge Schneider: Das sind natürlich Anruf-Shows, bei denen bezahlt werden muss, wo es nur um pures Geldverdienen geht, aber niveaulos finde ich es auch, wenn Leute vorgeführt werden.

sueddeutsche.de: Wie bei Stefan Raab?

Helge Schneider: Nein, das ist Satire, das ist etwas anderes. Ich meine diese schlicht gemachten Formate, die aus Amerika übernommen und hier einfach abgespielt werden, wie zum Beispiel Gerichtsshows. Oder diese Serien, in denen Familien gezeigt werden, denen es schlecht geht. Wo dann eine "helfende Hand" einschreiten soll.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Helge Schneider eine so treue Fangemeinde hat.

"Ich prangere das an"

sueddeutsche.de: Sie bemängeln also einen falsch verstandenen Erziehungsauftrag im Fernsehen?

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"Fernsehen wird fast nur noch genutzt, um Angst und Schrecken zu verbreiten - und Doofheit."

(Foto: Foto: dpa)

Helge Schneider: Nein. Solche Formate sind einfach langweilig. Da ist keine Phantasie im Spiel. Auch diese Shows sind blöd, die sich wieder mit dem Fernsehen beschäftigen, wie "Talk Talk" von Sonya Kraus - obwohl sie selbst ja eigentlich ganz nett ist. Das muss man doch nicht noch mal zeigen! Eigentlich ist das Fernsehen doch nur ein Medium, wie eine Schallplatte, die man bei Bedarf einschaltet. Eigentlich hat es mir der Realität nicht viel zu tun - genau wie das Theater. Fernsehen könnte auch wie Musik sein, ein Teil der Kultur. Mittlerweile wird es aber leider fast nur noch genutzt, um Angst und Schrecken zu verbreiten - und Doofheit.

sueddeutsche.de: Wovon würden Sie gerne mehr im Fernsehen sehen?

Helge Schneider: Vor ein paar Jahren hätte ich auf diese Frage noch geantwortet: Ich will mehr Tiere im Fernsehen sehen. Heute hat man diesen Zoo-Quatsch auf allen Kanälen. Da muss man vorsichtig sein mit Wünschen. Es muss immer alles so schnell gehen. Ich würde mir wirklich mehr Menschlichkeit wünschen. Mich nervt auch, dass die Werbung immer lauter sein muss als die Filme. Aber ich gucke eigentlich kaum Fernsehen. Außer an diesem Samstag Abend....

sueddeutsche.de: Ja, an diesem ganz besonderen Samstag. Gefällt Ihnen eigentlich der Comedy-Hype?

Helge Schneider: Weiß ich nicht. Kenne ich nicht. Finde ich nicht lustig. Ich lache über andere Sachen.

sueddeutsche.de: Könnte man sagen: "Comedy killed the Kabarett-Star?"

Helge Schneider: Demnächst werden Kabarett und auch Comedy, die nicht vom Fernsehen gemacht sind, also handgemacht, wieder in kleinen Kneipen aufgeführt werden. Dann kommt wieder die Zeit, in der Leute Mut haben, ein kleines Theater aufzumachen. Die Mannigfaltigkeit kommt zurück. Zurzeit gibt es ja nur noch diese Mega-Konzerte und Fernsehauftritte, kaum noch Sessions in kleinen Kneipen, wo Musik gespielt und auch mal vorgelesen wird. In manchen Städten wird das bald wieder funktionieren.

sueddeutsche.de: Sie haben ja so angefangen, in ganz kleinen Kneipen, mit einem winzigen Publikum. Was haben Sie damit den jungen Kollegen voraus?

Helge Schneider: Ich habe vor allem ein Instrument gelernt. Das ist meine Basis: die Musik und das Interesse an ihr. Sich dann in kleinen Kneipen fortzubilden, wo man auftreten kann, Spaß daran zu haben, vor allem vor Leuten und für Leute aufzutreten, dann weiß man, was man hat. Ich hatte nie das Gefühl, nicht einer von ihnen zu sein. Das ist, glaube ich, die Hauptsache.

sueddeutsche.de: Was aber auch dazu führt, dass Sie Konzerte abbrechen können, wenn Sie keine Lust mehr haben. Die Leute kommen trotzdem wieder.

Helge Schneider: Das habe ich in meinem ganzen Leben noch .... na ja, das habe ich zweimal gemacht, einmal nach 20 und einmal nach 80 Minuten. Dafür war ich aber auch noch nie krank. Bis auf einmal. Vielleicht alle zehn Jahre mal.

sueddeutsche.de: Wie erklären Sie sich, dass Sie so eine treue Fangemeinde haben.

Helge Schneider: Ich mache einfach, was ich will. Und was ich machen will, ist das, was ich selber vertreten kann und gut finde. Diese Massenhysterie habe ich jedenfalls noch nie gemocht und will ich auch nicht haben. Die findet dann statt, wenn etwas reproduziert wird. Bei mir kommt so etwas nicht vor.

sueddeutsche.de: Worum geht es in Ihrem neuen Programm "Wullewupp Kartoffelsupp"?

Helge Schneider: "Wullewupp Kartoffelsupp" ist, wie meistens, ein vor allem phonetisch inspirierter Titel.

sueddeutsche.de: Und möchten Sie auch etwas über die Inhalte sagen? Wird zum Beispiel Sergej Gleitmann wieder tanzen?

Helge Schneider: Eigentlich ist das alles noch geheim. Aber Ihnen kann ich es ja sagen: Ich will das Ganze ein bisschen lockerer gestalten, dem Bassisten mal Urlaub geben, oder mal alleine spielen. Das ist wichtig für mich, um Neues zu erfinden, dann kann man hundertprozentig improvisieren.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, warum Helge Schneider kürzer treten will.

"Ich prangere das an"

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"Ich finde mich überhaupt nicht tragisch."

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Sie haben ursprünglich angefangen mit Musik, und dann ist das Komische dazugekommen, oder?

Helge Schneider: Na ja. Ich habe mit sieben Jahren angefangen, Klavier zu spielen, aber ich wollte immer Clown werden. Ich habe damals bei meinen Eltern ein Buch gefunden über "Grock", den größten Clown aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit Fratzen. Das wollte ich auch machen. Der hat auch gute Musik gemacht, Flügel und Geige gespielt, da dachte ich: Wenn ich viel übe, kann ich vielleicht auch mal so was werden.

sueddeutsche.de: Es hat jemand über Sie geschrieben, Sie seien eine tragische Figur: ein außerordentlicher Musiker, aber erst durch den Quatsch zum Erfolg gekommen.

Helge Schneider: Komisch. Die Leute denken immer, wenn man andere zum Lachen bringt, müsste man insgeheim ein ganz schlimmes Erlebnis mit sich herumtragen. Ich finde mich überhaupt nicht tragisch. Ich kann einfach keinen ernsten Klavierabend geben. Das fände ich dann tragisch.

sueddeutsche.de: Eine Zeit lang haben Sie Filme gedreht, Musik gemacht, Bücher geschrieben und zahllose Auftritte auf der Bühne und im Fernsehen gehabt. Woher kam dieser Produktionsdrang?

Helge Schneider: Es gab mal eine Zeit, da habe ich sehr viel gemacht, und dann kamen noch Leute hinzu und fragten, ob ich nicht noch eine Platte mit ihnen aufnehmen oder einen Film machen will. Da habe ich nicht daran gedacht, wie viel Zeit und Aufwand das alles kostet. Der Hitler-Film zum Beispiel: Ich habe einfach diese Rolle gespielt, weil sie mir Spaß machte. Den Film fand ich dann nicht so packend, etwas verkrampft. Trotzdem war ich plötzlich der Einzige, der ständig von der Presse interviewt wurde.

sueddeutsche.de: Ihnen war gar nicht klar, dass es einen solchen Rummel geben würde, wenn Sie Hitler spielen?

Helge Schneider: Nö. Aber der Rummel ist dann losgegangen, und dann dachte ich mir: Da halte ich jetzt nicht meinen Kopf hin. Wenn ich etwas nicht gut finde, will ich das auch sagen. Aber aus Erfahrung wird man klug. Wenn mich jetzt jemand fragt, ob ich mit ihm eine Platte machen will, sage ich nein. Ich will im November doch lieber nach Spanien fahren, in Urlaub.

sueddeutsche.de: Also treten Sie jetzt kürzer?

Helge Schneider: Ja. Ich habe ja jetzt ein paar Kinder und sogar schon ein Enkelkind, und plötzlich merkt man: Du hast dein Enkelkind schon wieder drei Monate lang nicht gesehen.

sueddeutsche.de: Was für eine Fernsehwelt würden Sie Ihren Enkelkindern wünschen?

Helge Schneider: Ach, das Ganze ist einfach nicht so wichtig. Früher gab es nur drei Fernsehprogramme, da war das wichtig. Heute gibt es eine so große Auswahl. Ich bin so erzogen worden, dass es hieß: Mach die Flimmerkiste aus, die macht viereckige Augen. Und genau so sehe ich das heute.

sueddeutsche.de: Wie, Ihre Kinder schauen nicht "Marienhof"?

Helge Schneider: Oh Gott, oh Gott! Mir kommt es so vor, als wären diese ganzen Serien zum Transport von Tugenden wie Treue, Ehrenhaftigkeit und Liebe da. Aber eigentlich wird da immer nur gepetzt. Vor 40 Jahren sind die Jugendlichen aufgestanden, um gegen das Establishment zu kämpfen. Heute möchte man meinen, dass das alles umsonst war. Eben noch habe ich im Fernsehen eine 15-Jährige gesehen, irgendein Starlet aus den USA, ging mit ihrem Freund spazieren und verkündete: Wir in Amerika haben keinen Sex vor der Ehe. Diese verdorbene Scheiße wird uns um die Ohren gehauen! Das hat überhaupt nichts mehr mit dem lieben Gott zu tun. Das ist doch nur noch Business. Ich prangere das an.

sueddeutsche.de: Sie beklagen also die Spießigkeit, die an die Jugend herangetragen wird?

Helge Schneider: Ja.

sueddeutsche.de: Das ist das Eigentliche, das Sie am Fernsehen stört - nicht die Frage der Qualität.

Helge Schneider: Genau. Mit Qualität hat das gar nichts zu tun. Das Problem ist, diese Mentalität zu forcieren, die Spießigkeit ins Wohnzimmer zu bringen. Oft geschehen Dinge unter dem Deckmäntelchen der Liberalität, die gar nicht liberal sind.

sueddeutsche.de: Zum Beispiel?

Helge Schneider: Die amerikanische Präsidentschaftswahl. Das ist auch so eine Meinungsmache, Big Business. Die Kandidaten wollen nur ihre jeweiligen Lobbys bedienen. Da beginnt schon die Talfahrt in die Niveaulosigkeit. Trotzdem schalte ich da manchmal ein. Merkwürdig. Die Welt guckt auf Amerika. Wenn man aber öfter mit dem Taxi fährt und sich die Stimmen von normalen Leuten anhört, was die so denken über die Welt, dann bekommt man ein ganz anderes Bild als das, was man im Fernsehen sieht.

Der Agent öffnet die Tür. Normalerweise ein sicheres Zeichen, dass er zum Aufbruch drängt - oder dazu, das Gespräch zu beenden. Helge Schneiders Agent will aber nur sagen, dass die Sendung jetzt angefangen habe und er ruhig noch 40 Minuten weiter reden könne. Sein Auftritt beginne erst in 45 Minuten. Helge Schneider plaudert also noch ein wenig über seine Erfahrungen mit der Presse und schleicht schließlich gemächlich auf die Bühne. Nach den wortgewaltigen gesellschaftskritischen Auftritten von Urban Pirol, Georg Schramm, Florian Schroeder und Wilfried Schmickler setzt er sich ans Klavier und spielt ein endlos langes Lied fast ohne Worte. Er lächelt nur. Schramm bezeichnet Schneider noch als "seltsamen Mann" - doch das Publikum lacht bei Schneiders Auftritt am lautesten.

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