Heino wird 70:Im Auge die Träne

Die Miele-Waschmaschine der Volksmusik: Heinos unverkennbarer Bariton zelebriert die Sehnsucht nach einer heilen Heimat. Zum 70. Geburtstag des Volksmusikstars.

Georg Klein

Seine Stimme ist stets da gewesen. Wann immer wir in den letzten vier Jahrzehnten den traditionellen Freuden der Hochkultur frönten oder dem jeweils modischen Pop unsere Reverenz erwiesen, war zugleich Heino-Zeit. Sein unverkennbarer Bariton erklang schon in unseren Gaststätten, als man diese noch mit Musikboxen beschallte, und der blonde Schopf des in jungen Jahren noch brillenlosen Sängers leuchtete zunächst kalkig weiß von den bundesdeutschen Mattscheiben, da die Röhren noch nicht das nötige Gelb hergaben.

Heino

Heinz Georg Kramm alias Heino beschallt auch im hohen Alter noch mit Freude und voller Stimme Ruhrgebietshallen.

(Foto: Foto: dpa)

Vierzig Jahre Heino. Das bedeutet für den, der glaubt, dass diese Welt eine bessere Musik für ihn bereithalte, auch das stete Bemühen, dieser Stimme, diesem Liedgut und seinen charakteristischen Arrangements aus dem Wege zu gehen. Aber Heinos Präsenz narrt weiterhin alle, die sie restlos vermeiden möchten.

Eine Figur von fragiler Festigkeit

"So blau, blau, blau blüht der Enzian!" ertönt es aus dem Taxi, das wir uns herangewunken haben. "Karamba, karacho, ein Whisky!" schallt es durch den Kiosk, in dem wir bloß schnell eine Zeitung holen wollen. Und wer einen ganz normalen Onkel und eine prima Tante sein eigen nennt, weiß, dass es ihnen Freude macht, auf Sport- oder Heimatfesten, im Partykeller oder im Bierzelt ein Gläschen voll Kirschlikör oder den schaumgekrönten Bierseidel zu schwenken, sobald Heino, begleitet von den "Westfälischen Nachtigallen" "Schwarzbraun ist die Haselnuss!" anstimmt.

Sehen Sie hier das Video zum Heino-Schlager "Karamba, karacho, ein Whisky!".

Allein schon weil Menschen, die wir brauchen und schätzen, Heino lieben, wäre es allzu billig, diesen Künstler zu verachten. Aber das heißt nicht, dass die Differenz, die er uns spüren macht, ein Abstand ist, über den es nicht nachzudenken lohnt. Die Figur, die uns Heinz Georg Kramm alias Heino schenkt, ist von einer merkwürdig fragilen Festigkeit. Auf den ersten Blick scheinen die helmartige Frisur, die markanten Züge, die holzschnittartige Mimik und das steife Schreiten mit der fast kommandohaften Intonation und dem ungebrochen Sonoren der Stimme zu einem Bild von fast maschinenhafter Solidität verdichtet. Dieser Musikant wäre eine singende Miele-Waschmaschine, gäbe es nicht zugleich Elemente von verhaltender Weichheit und spröder Zerbrechlichkeit in seinem Habitus wie in seinem Singen.

Allein schon die Sonnenbrille, ein in der Welt der populären Musik viel verwendetes und vieldeutiges Accessoire, steht in Widerspruch zur Geradlinigkeit, zur schlichten Biederkeit der Lieder. Das Augenleiden, das sie einst nötig machte, ist, das wissen seine Fans, längst glücklich besiegt. Dennoch hält der Auftretende an den stark getönten, kantig gerahmten Gläsern fest und signalisiert damit, dass es, bei aller Herzensoffenheit, etwas in ihrem Dunkel zu bergen gilt.

Das so Verhohlene kann jeder, der mit Gefühl und Verstand zuhört, ohne Mühe erkennen. Ja, sogar der kalte Hörer, der den intellektuellen Abstand vorzieht, kann begreifen, worum dieser Sänger weint, auch wenn auf der Bühne in der Regel keine Tränen fließen: "Holde Heimat! Nach Dir geht mein Sehnen! Nur für Dich glänzt im Auge die Träne!", heißt es in Heinos Adaption des berühmten Gefangenenchors aus Verdis Oper "Nabucco". Man muss nur die österreichisch schmelzende, die im direkten Vergleich fast lässig wirkende Interpretation derselben Nummer von Peter Alexander hören, um den schnarrenden Ernst, die knirschende Gefasstheit von Heinos Heimatsehnsucht zu ermessen. Dies ist zweifellos deutsch.

Stimme der Heimat

Hier spricht ein Ich, das bis ins Mark damit hadert, von den Zeitläuften zu blanker Individualität, zu gehetztem Erwerb, zu einer kalten Welt ohne warmen Winkel gezwungen worden zu sein. Die provinzielle, die im Guten überschaubare Heimat ist perdu. Wer sogleich den unwiderstehlichen Drang fühlt, sich hierüber lustig zu machen, scheut die schmerzhafte Einsicht, dass selbst er, der souverän Individuelle, Anteil an diesen Verlustgefühlen, an diesem nationalen Phantomschmerz und an seinem preußisch trockenen Schluchzen hat.

An Weihnachten wird unser Heino wieder einmal vor den einschlägigen Fernsehkulissen zum Playback seiner Hits die Lippen bewegen. Und kommenden Sommer sollen die Fans, die er weiterhin in allen Altersgruppen findet, seinen kaum brüchig gewordenen Bariton wieder über Funk-Mikro und PA durch eine Ruhrgebietshalle dröhnen hören.

Das Fernsehen wie die Mehrzweckhalle gehören zu den Orten, an denen die Heimatverlorenheit der Moderne nicht nur in unserem Deutschland, sondern weltweit, fröstelnd und blinzelnd, wie aus einem Rausch gestürzt, zu sich kommt. Eigentlich gäbe es gute Gründe, auf beiden Seiten der Mattscheibe, sowohl vor als auch auf der Bühne, eine starke Sonnenbrille zu tragen.

Heute, am Samstag, feiert Heino, der nicht ganz zu Unrecht den Beinamen "Stimme der Heimat" trägt, seinen siebzigsten Geburtstag. "O mia patria, si bella e perduta!", singt man in Verdis Italien, ohne sich dafür zu genieren. Ach, die "schöne, verlorene Heimat"! Wenig kann so verlegen machen, wie die Sehnsucht derjenigen, die wir, autonom verblendet, für die Anderen halten!

Von Georg Klein erschien zuletzt der Roman "Sünde Güte Blitz" (2007).

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