Hauptstadtkolumne:Schauplatz Berlin

Das Musikfestival "Lollapalooza" hat auf dem 320 Hektar großen Tempelhofer Feld angeblich keinen Platz mehr. Jetzt soll es in den 88 Hektar großen Treptower Park umziehen. Es wird die Gartenanlage plattmachen. Typisch Berlin!

Von Gustav Seibt

Wenn Gruppen wie Radiohead, Kings of Lion oder New Order kommen, dann springt Berlin natürlich. Eigentlich sollte das amerikanische Musikfestival "Lollapalooza" auf dem Tempelhofer Feld stattfinden, das auf Wunsch einer Bürgerinitiative zu hundert Prozent windzerblasen bleibt, ohne zusätzlichen Baum und Strauch. Mit Mühe hat man in den alten Hangars auf Zeit eine große Notunterkunft für Flüchtlinge eingefügt - und darum soll das mit "Lollapalooza" nun nicht mehr gehen. Da die Amerikaner keine Charity-Veranstalter sind, sondern Geschäftsleute, die einen Vertrag haben, muss ein Ausweichstandort gefunden werden.

Die Ausweichfläche soll im Treptower Park gefunden werden. Der hat zwar nur 88 Hektar, nur etwas mehr als ein Viertel der Fläche des Tempelhofer Felds mit seinen 320 Hektar, dafür wird er in seiner Mitte auch vom Sowjetischen Ehrenmal halbiert, außerdem wurde er soeben für mehr als 13 Millionen Euro saniert: neue Wege, wiederhergestellte Ziergärten, darunter der herrliche Rosengarten von Hubert Matthes aus dem Jahr 1968, ein Meisterwerk der Gartenmoderne. Egal, man will Rosen, Büsche, alte Bäume, das frisch restaurierte Denkmal des Parkgründers Gustav Meyer einzäunen. Das Sowjetische Ehrenmal, eigentlich ein Friedhof, ist von einem Sicherheitszaun jetzt schon abgeschirmt.

Über diese, nicht windzerzauste, sondern von Generationen gestaltete Fläche sollen am 10./11. September etwa 45 000 Besucher tanzen, trinken, futtern, urinieren. Warum das nicht in einer von den Flüchtlingen entfernten Ecke der hundert Prozent Tempelhofer Feld möglich hätte sein sollen, wird nicht erklärt. 2006 wurde der Treptower Park von einem die Fußball-WM begleitenden Weltmusikfestival schon einmal zertrampelt - die Schäden hat erst die jüngste Sanierung vollständig unsichtbar gemacht. Und auch Spuren eines legendären Auftritts von Bob Dylan 1987 fanden sich bis vor Kurzem noch im Boden des kleinen Landschaftsgartens.

Aber Bob Dylan war auch ein rares Geschenk für die DDR. Besucher des damaligen Auftritts schwärmen heute noch von der fiebrigen Atmosphäre, die ganz Ostberlin erfasste. "Lollapalooza" dagegen ist nur Glied einer ununterbrochenen Kette von Großveranstaltungen, mit denen der öffentliche Raum Berlins vernutzt und verpulvert wird. Mode, Pop, Fußball, Kirmes - die Kreativen und die Vulgären stampfen Jahr für Jahr durch eine Lebenswelt, die alle spannend, bunt und supergünstig finden, bis irgendwann einer bemerkt, dass man von Müllsäcken nicht leben kann.

Die Bürgerinitiative, die sich dagegen in Treptow gebildet hat, spricht die Sprache der Résistance und nennt sich "La Haine", der Hass. Dieser Hass hat in wenigen Tagen Tausende Unterzeichner gefunden. Es würde nämlich kaum reichen, hinterher, wie "Lollapalooza" verspricht, "einen neuen Rasen auszurollen". Gärten gehören zu den Kunstwerken, die Jahre, manchmal Jahrzehnte brauchen, um ihre Form zu finden. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der die Verlegung anordnete, stammt aus Tempelhof.

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