Hauptstadt-Kolumne:Schauplatz Berlin

Wer Flüchtlingen in Museen folgt und ihre Fragen hört, bekommt einen neuen Blick auf die eigene Geschichte. Wenn man weit zurückblickt, wird klar, dass Syrien und Deutschland sogar einmal zu einem Reich gehörten.

Von Gustav Seibt

Wonach riecht Deutschland? Vor allem riecht es unterschiedlich in Ost und West. Im Deutschen Historischen Museum sind in der Ausstellung "Alltag Einheit", die das beginnende Zusammenleben seit 1990 darstellt, Geruchsdosen aufgestellt, die aussehen wie Salzstreuer. An ihnen kann man typische Gerüche erschnuppern, die Braunkohle des Ostens, das verlockend duftende "Westpaket", das stechende Parfüm des gern in Autos aufgehängten "Wunderbaums" - ein Westgeruch. Am Montag sind es zwölf junge Syrer, die, ein wenig ungläubig, an den Blechbüchsen riechen. Ob Syrien auch einen typischen Geruch habe, fragt die Führerin, und ein Übersetzer fragt es auf Arabisch. Ja! Gewürze!, erklären die Syrer, nachdem sie sich kurz untereinander verständigt haben.

Sie kommen aus einem Heim an der Storkower Straße und haben sich anderthalb Stunden durchs DHM führen lassen, wie seit Mitte September schon mehrere Hunderte Flüchtlinge. Gibt es Fragen zur deutschen Einheit? Ja: Warum hat der Westen den Osten "erobert"? Sagt der Frager das auf Arabisch so? Der deutsche Beobachter weiß es ebenso wenig wie die Museumsführerin. Sie erklärt, dass der Westen viel größer und reicher und dass der Osten eine Diktatur war; von der Fluchtwelle, die die DDR zum Einsturz brachte, berichtet sie an dieser Stelle nichts. Dabei haben, das hat sie uns vorher erzählt, viele Flüchtlinge erstaunlich gute Kenntnisse von der deutschen Geschichte, "mehr als wir über Syrien wüssten". Ein Erinnerungsfoto beschließt den Nachmittag.

Zu einem Besuch der Ausstellung "Homosexualitäten" gleich nebenan sind weniger Flüchtlinge gekommen, und Syrer waren nicht dabei, sondern nur Ukrainer und Russen, die schon gut Deutsch können und deren Fluchtgrund durch ihr Interesse an der Ausstellung deutlich wird. Sehr engagiert berichtet die Führerin über Unterdrückung und Emanzipation von Lesben und Schwulen im deutschen 20. Jahrhundert. Am Ende steht die kleine Gruppe vor einer Weltkarte, die genau verzeichnet, welche Länder auf dieser friedlosen Erde Zeit dafür haben, gleichgeschlechtlich Liebende zu verfolgen und wo sie Raum für ihr Leben haben. Der Gedenkraum für die KZ-Opfer nebenan hat die Gruppe stumm werden lassen.

Laut war es am Sonntagvormittag, am zweiten Tag nach den Pariser Anschlägen. Im großen Saal des RBB veranstaltete das Deutsche Sinfonie Orchester eins seiner Kinderkonzerte, zu dem diesmal dreihundert syrische Kinder mit ihren Eltern eingeladen sind. Der deutsche Moderator hat einen arabischen Partner, den Kontrabassisten Raeid, der beim Syrischen Flüchtlingsorchester in Bremen arbeitet. Gemeinsam erklären sie dem munter johlenden Saal Ottorino Resphighis "Pinien von Rom", das naturalistisch stimmungsvolle Bravourstück, in dem so viele Instrumente so schön zur Geltung kommen. Hört ihr den Sternenschimmer beim Celesta-Klang? Die Nachtigall? Den Marsch der Legionäre, die in den krachend schimmernden Sonnenaufgang schreiten, schreibt man den Straßenbauarbeitern zu, denn man will die Kinder nicht an Soldaten erinnern. Am Anfang stand die Erklärung, dass es einmal ein Weltreich gab, in dem Deutschland und Syrien gemeinsam Provinzen waren: Rom, arabisch روما.

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