Harry Potter:Das fehlende Augenzwinkern

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Chris Columbus' zweiter Streich: "Harry Potter und die Kammer des Schreckens"

SUSAN VAHABZADEH

Nun ist er also da, der Dirty Harry: Deutlich düsterer als sein Vorgänger ist "Harry Potter und die Kammer des Schreckens". Die Monster sind größer und fieser, es gibt unangenehm viele Spinnen und es spukt in Hogwarts. Harry lernt eine junge Dame kennen, die untote Myrthe, auf dem Mädchenklo.

(Foto: SZ v. 12.11.2002)

Es geht diesmal, im weitesten Sinne, um Muggel-Diskriminierung. Die schrecklichen Dinge nehmen ihren Lauf, nachdem Zauberlehrling Harry und seine Mitschüler Ron und Hermine die versteinerte Katze des Hausmeisters und eine furchteinflößende Inschrift im Internatsflur gefunden haben: Den Feinden des Erben soll es an den Kragen gehen, die Kammer des Schreckens wurde geöffnet. Niemand weiß, was das heißt, oder wo in Hogwarts sich die Kammer eigentlich befindet - aber irgendwas stromert nachts durch die Gänge und macht Jagd auf Muggelgeborene, also Zauberlehrlinge, deren Eltern Menschen waren, und lässt sie zu Stein werden.

Für Erwachsene ist es schwer nachzuvollziehen, wie bedrohlich versteinerte Haustiere und Riesenschlangen auf Kinder wirken. Fertige Bilder sind sicher bedrohlicher als die selbstgemachten Phantasien, die Bücher freisetzen. Aber richtig gruselig, wie es nach den ersten Vorführungen in England hieß? Dafür geht das alles eigentlich viel zu schnell.

Man wird auch diesmal das Gefühl nicht los, dass Regisseur Chris Columbus, in panischer Angst vor der Entscheidung, sich von einer Figur oder einem Handlungsstrang zu verabschieden, am Plot entlanghetzt und sich nirgendwo länger aufhält als nötig. Nun hätte er tatsächlich rabiat kürzen müssen, um noch ein bisschen Zeit herauszuschinden für Freundschaften und Alltag und die Nöte des Waisenkinds Harry, denn zweieinhalb Stunden sind für einen Kinderfilm ausgesprochen lang. Aber wenn sein Publikum ihm nicht vor der Zeit davonläuft - und das wird es nicht - dann hat Columbus auch irgendetwas richtig gemacht.

Natürlich geht es bei Harry Potter nicht wirklich darum, ob der Film gelungen ist oder nicht - hartgesottene Fans, und davon haben die Bücher genug, lassen sich schwer abschrecken. Es wird aber von Film zu Film schwieriger werden, die Kids darüber hinweg zu täuschen, dass sie eigentlich bis ins Detail wissen, was passieren wird. Was die Spannung betrifft, hat Chris Columbus ein Problem: Seine Zuschauer lieben keine Überraschungen. Wenn "Harry Potter" spannend wirkt, dann liegt das nie an irgendwelchen grandiosen erzählerischen Winkelzügen, ist immer nur eine Frage der Technik. Und die wiederum hat Columbus hier besser als im ersten Teil eingesetzt. Keine große Kunst vielleicht, solides Handwerk. Die ständige Bewegung der Kamera, die schnellen Schnitte täuschen Spannung vor, wo jeder weiß, was kommt; und ein gelegentliches Erschrecken des Publikums durch Sound-Effekte - die "Kammer des Schreckens" macht sehr viel Lärm - ist zwar nicht sehr elegant, aber es funktioniert. Und gelgentlich findet die "Kammer" sogar zu erhabener Schönheit, wenn Columbus endlich das Reich der Phantasie nutzt, dass ihm die Special- Effects-Abteilung eigentlich eröffnet - und Bilder auf die Leinwand zaubert, die es nur im Kino geben kann: Einmal schneit es hoch oben über den Tischen im gigantischen Speisesaal von Hogwarts, die Flocken verlieren sich im Nichts, bevor sie die Kinder erreichen.

Die "Kammer" macht mehr Spaß als der erste Teil, die Besetzungsliste beispielsweise - sowas ist, zugegeben, für Kinder nur von bedingtem Interesse. Sie ist noch ein bisschen illustrer geworden und mausert sich langsam zu einer ernsthaften Konkurrenz für Robert Altmans "Gosford Park": Kenneth Branagh und John Cleese sind jetzt auch noch an Bord. Und dann ist da noch ein animierter Neuzugang, der ziemlich witzig ist: Hauself Dobbie, der Harry vor dem drohenden Unheil warnt; der könnte zwar ein Verwandter der digitalen Nervensäge Jar Jar Binks aus den neuen Star-Wars-Filmen sein, ist aber deutlich niedlicher und wird sparsamer eingesetzt.

Für Ironie und Amüsement sorgt vor allem Branagh, der mit viel Enthusiasmus den eitlen Nichtskönner und magischen Hochstapler Gilderoy Lockhart spielt, zickig in den Gesten wie Lagerfeld persönlch. Es kommt zwischen dem blondgelockten Lockhart und Alan Rickmans rabenschwarzem Professor Snape zu einem Showdown im Speisesaal - die beiden Shakespeare- Helden machen, angstfrei und mit unbändiger Lust am Klamauk, aus dem Esstisch eine Bühne und liefern sich einen Wettstreit der elegant hochgezogenen Augenbrauen. Und einmal, am Anfang, als das verzauberte Auto von Rons Eltern in den dunkelblauen Nachthimmel hinauffährt, holt der Score von John Williams tief Luft und setzt zum "E.T."-Thema an - die Melodie geht dann aber doch ganz anders weiter.

Ansonsten gehören die Potters nun mal nicht zu jener Sorte Kinderfilm, in der man sich auch als Erwachsener besonders wohlfühlt - dazu würde mehr Mut und Einfallsreichtum gehören, als J.K. Rowling einem Filmemacher erlaubt; beides behält sie ihren Büchern vor, die Filme sind in diesem Fall Teil des Merchandising. Man könnte sagen: Der Film kommt als Werbegag zum fünften Band "Harry Potter and the Order of the Phoenix" heraus - der Phönix wird hier schon mal gefeatured.

Was den Humor betrifft, da unterschätzt Harry sein Publikum. Für gute Gags und Selbstironie haben auch Kinder Sinn. Die "Kammer" ist schon ein wenig witziger als der erste Film, der eine weitgehend humorfreie Zone war. Aber: Wenn Harry schon von Hollywood vereinnahmt wird - warum verpasst ihm dann keiner das Augenzwinkern, das einen Seriensuperhelden erträglich macht?

Der Esel in "Shrek" antwortet auf die Frage, warum er nicht verschwindet: "Weil jeder Held einen Sidekick braucht." Der Hauself Dobbie gibt Harry auf die gleiche Frage eine ganz ernsthafte Antwort. Die kleinen Klugheiten, die Fähigkeit, sich selbst auf die Schippe zu nehmen - das fehlt Potter. Vielleicht bringt Alfonso Cuarón, der Regisseur des dritten Teils, Harry endlich ein paar coole Sprüche bei - ins Rüpelalter kommt er ja sowieso. HARRY POTTER AND THE CHAMBER OF SECRETS, USA 2002 - Regie: Chris Columbus. Buch: Steve Kloves nach dem Roman von Joanne K. Rowling. Kamera: Roger Pratt. Musik : John Williams. Mit: Daniel Radcliffe, Rupert Grint, Emma Watson, Kenneth Branagh, John Cleese, Robbie Coltrane, Jason Isaacs, Maggie Smith, Alan Rickman, Richard Harris. Warner, 161 Minuten.

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