Harald Schmidt "Elvis lebt":Elvis und die Stammheimer

Aus "Elvis lebt" ist mehr geworden als ein Liederabend für fortgeschrittene Zyniker. Harald Schmidt harkt in Stuttgart das Laub des Deutschen Herbstes zusammen.

Jürgen Berger

Nein, 77 mal hat er sich das "Elvis Presley Memorial" nicht angesehen, 17 mal aber auf jeden Fall. Das schwört Harald Schmidt oben auf jener Bühne, auf der sich derzeit alles um die Rote-Armee- Fraktion dreht. "Stammheim" lautet der Titel mehrerer RAF-Staffeln, mit denen das Stuttgarter Staatsschauspiel das Laub des Deutschen Herbstes zusammenharkt.

Geboten werden alle möglichen Theaterformen, von Rimini Protokolls Experten-Theater über René Polleschs Antitheater bis hin zur dokumentarischen Lesung und einer als ElvisRevival getarnten Harald-Schmidt-Auferstehung. Gemeint ist eine Memorial-Show, mit der Harald Schmidt alle eines Besseren belehrt, die meinen, eine Elvis-Huldigung sei deplatziert inmitten der Stuttgarter Vergegenwärtigung des dunkelsten Kapitels der BRD-Geschichte.

Immerhin starb der King ja genau in jenen Tagen, in denen die Nation durch Mogadischu, die Stammheimer Selbstmorde und die Ermordung Hanns Martin Schleyers erschüttert wurde. Immerhin nahm das Stuttgarter Staatsschauspiel damals kurzfristig ein "Elvis Presley Memorial" in den Spielplan, das der damalige Schauspielschüler Harald Schmidt derart oft besuchte, dass er es heute noch rekonstruieren kann. Man könnte den mit Liedgut angereicherten Talkabend als eskapistische Aktion verstehen. Interessanterweise ist aus "Elvis lebt und Schmidt kann es beweisen" aber der bislang raffinierteste Beitrag zu den Stuttgarter Themenwochen geworden.

Auf der Bühne steht ein Entertainer, der aus allen Lagen Pointen abfeuert, wenn er nicht gerade "voll in die Emotion geht" oder leise "Love me tender" summt. Das Schwabenland ist schon eine Wiege des Schreckens, wenn Pfarrerstöchter, Gebetshäuser und Innenminister ins Spiel kommen. Der schrecklichste aller Schrecken aber ist der in Neu-Ulm geborene Schmidt, der aus seiner Moderation eine derartige Dialektik-Performance machen kann, dass der Rest der Republik neidlos anerkennen muss: Mancher Schwabe kann halt doch mehr als nur kein Hochdeutsch. Klar, es geht um Elvis.

Schnellschuss, Kurzschluss

Es geht aber auch um assoziative Terrorbilder, in denen Schmidt kurz den Schäuble gibt, ihn an den Neu-Ulmer Gartenzaun stellt und den Nachbarn fragen lässt, ob's Oliverle immer noch auf Urlaub in Pakistan ischt. Und es geht um den Freizeitregisseur Schmidt, der die Stuttgarter Schauspieler um sich versammelt und einen von ihnen als Adi neben den Andi ins enge Krankenbett legt, auf dass er die rechte Grußhand flattern lässt, während Baaders Jüngster die linke Faust ballt und dem Onkel Hitler aus "Moby Dick" vorliest.

Dass aus "Elvis lebt" mehr geworden ist als ein Liederabend für fortgeschrittene Zyniker, liegt auch an Schauspielern wie Thomas Eisen und Martin Leutgeb. Und es hat damit zu tun, dass Schmidt all die anderen Stuttgarter RAF-Abende zitiert, wenn er etwa einen Schauspieler im Ritterkostüm auf Stephan Kimmig verweisen lässt. Der gebürtige Stuttgarter Kimmig war im Deutschen Herbst als Punk unterwegs. Jetzt ist er als Erfolgsregisseur der mittleren Generation in die Heimat zurückgekehrt, steuert mit seinem "1977" betitelten Abend aber nur ein schlichtes Patchwork zur zweiten Stammheim-Staffel bei.

Dass Silja Bächli in breitem Schwyzerdütsch süffisant die Frage stellt "Sind Sie Sympathisant?" geht noch in Ordnung und passt zu Katja Bürkles intrauterinem Monolog, mit dem sie den Fötus beschwört, der sie 1977 war und der im Mutterleib hört, was der Papa und die Mama so über die RAF erzählen. Kurz darauf ist sie allerdings jener Ritter "Hamlet", der bei Schmidt über die Bühne kriecht.

Elvis und die Stammheimer

Da wird es dann überwiegend laut, und es hilft nichts, dass der zugrundeliegende Text, Heiner Müllers "Hamletmaschine", just 1977 geschrieben wurde und auch als Reflexion über die RAF verstanden werden kann. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Kimmig schnell gebasteltes Absturztheater lieferte und einer militanten Gruppe nicht näherkam, die schon immer ästhetische Schnellschüsse provozierte.

Rainer Werner Fassbinders Film "Die dritte Generation" zum Beispiel gehört zu den kurzschlüssigen Missverständnissen im Dunstkreis des deutschen Terrors und hat heute zur Folge, dass Stuttgarts Schauspielintendant Hasko Weber sich dieser konfusen imaginären Terrorgruppe mit Sektenappeal annimmt, die 1979 über die Leinwand geisterte. Obwohl Weber ein geschickter Regisseur ist, fragt man sich, ob es nicht zu kurz gedacht ist, wenn diese dritte RAF-Generation lediglich als Haufen wirrer Schwachköpfe erscheint.

Unaufgeregte Vergegenwärtigung

Da trug Hans-Werner Kroesingers "Vorsicht, Schusswaffen" wesentlich mehr zur Wahrheitfindung bei. Der szenische Dokumentarist stützt sich auf die erst kürzlich wiederentdeckten Tonbandmitschnitte der ersten Verhandlungstage in der Stammheimer "Mehrzweckhalle". Am Verhandlungstisch sitzen zwei Schauspielerinnen und drei Schauspieler, verkörpern allerdings nicht die angeklagten Top-Terroristen, sondern unter anderem Otto Schily und Rupert von Plottnitz.

Dass der spätere Bundesinnenminister Gudrun Ensslin und der nachmalige hessische Justizminister Jan-Carl Raspe vertrat, weiß man. Durch Kroesingers unaufgeregte Vergegenwärtigung ist nun auch klar, dass Otto Schily in den Wortgefechten mit der Bundesanwaltschaft zur Vernebelungstaktik neigte, während Rupert von Plottnitz eloquenter war, dafür aber den vorsitzenden Richter schon mal mit "Heil, Dr. Prinzing" in die rechte Ecke stellte.

Das waren so die Showeffekte, derer man sich bediente und die sich nicht unbedingt von den Mitteln professioneller Selbstdarsteller wie Claus Peymann unterschieden. Der ehemalige Stuttgarter Schauspielintendant und legendäre Mentor von Terroristenzähnen war während der langen RAF-Nacht in seine frühere Wirkungsstätte zurückgekehrt und sichtlich darum bemüht, dass er nicht mehr so im Mittelpunkt steht wie anno 1977.

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