Hape Kerkeling:Schlämmer-Wochen in Grevenbroich

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Die Hauptstadt der Kohlekraftwerke wird als Heimatort des Kinostars Horst Schlämmer populär: Grevenbroich ist im Kerkeling-Rausch.

Jonas Reese, Grevenbroich

Bernd Müller hat sich seinen Vollbart abrasiert. Nur einen Schnauzer hat er stehen gelassen. Die Barthaare ragen weit über seine Oberlippe. Dazu trägt er einen abgewetzten Trenchcoat, eine graumelierte Perücke und eine bunte Krawatte. Nur die Herrentasche fehlt - sonst ist alles genau wie bei dem berühmtesten Bürger von Grevenbroich.

Horst Schlämmer Imitatoren umrahmen Grevenbroichs Bürgermeister Axel Prümm (CDU) vor dem Rathaus. (Foto: Foto: ree)

Ein Mann und eine Frau stehen neben Müller. Auch sie sehen so aus wie Horst Schlämmer, die große Leitfigur des nordrhein-westfälischen Städtchens. Auf der Treppe vor dem Alten Rathaus wetteifern die drei mit den gängigen Schlämmer-Phrasen: "Weisse Bescheid"; "janz discht dran"; "Isch bin vom ADAC, Schätzelein".

Der Bürgermeister und das örtliche Anzeigenblatt haben zum Horst-Schlämmer-Kostümwettbewerb aufgerufen. Zu gewinnen gibt es Karten für die Premiere des Politklamauk-Kinofilms "Isch kandidiere", mit dem der Komiker Hape Kerkeling alias Horst Schlämmer mitten im Wahlkampf Furore macht. Dass er den Trenchcoat-Journalisten vom Grevenbroicher Tagblatt kanzlerreif spielt, hat sich in der Republik herumgesprochen.

Bei Doornkaat und Schnittchen

Selbstverständlich bekommt Grevenbroich - die geistige Heimat Schlämmers - nach Berlin und Köln auch eine eigene Premierenfeier. Kerkeling wird am Freitag erscheinen. Das ist er seiner auserwählten Heimatstadt schuldig. Bürgermeister Axel Prümm von der wahlkämpfenden CDU hat die Gunst der Stunde erkannt und das Kino-Event organisiert.

Beim Horst-Schlämmer-Kostümwettbewerb gibt es Schnittchen und Doornkaat aus kleinen Plastikbechern. Das ist der Lieblingskorn des Kandidaten. Fähnchen und Buttons mit dem Schriftzug der Horst-Schlämmer-Partei (HSP) hat man auch besorgt. An den Eingangstüren zum Rathaus hängen die beige-grauen Wahlplakate mit dem Kinopolitiker.

Sogar ein TV-Team ist zum Morgentermin mit den Schlämmer-Doubles gekommen. Es gibt eben regelrechte Schlämmer-Wochen in Grevenbroich. "Allein in der vergangenen Woche waren mindestens fünf Fernsehteams da", erzählt ein Mitarbeiter des Rathauses, "die Zeitungsanfragen habe ich gar nicht mehr gezählt."

Selbst im Ausland kennt man Grevenbroich inzwischen

Bürgermeister Prümm ist zufrieden. "Es war ja ein ganz schönes Gezerre, bis die endlich gekommen sind." Er meint das Kamerateam. Der reale CDU-Politiker hat alle Kontakte spielen lassen. Seine graumelierten Haare sind zu einem leichten Igel-Look gekämmt, der Oberlippenbart ähnelt verdächtig dem von Horst Schlämmer. Dass Hape Kerkeling ausgerechnet auf Grevenbroich verfallen ist, empfindet der Bürgermeister als Riesenglück: "Der Mann ist unbezahlbar für uns." Die buschigen Augenbrauen des Bürgermeisters hüpfen auf und ab. Selbst im Ausland kennt man inzwischen Grevenbroich.

Angesichts des weltweiten Interesses stört es Stadtvater Prümm nicht, dass Schlämmer den Stadtnamen beharrlich falsch ausspricht - man spricht ihn mit langem "o", also "Grevenbrooch" und nicht "Grevenbreusch". Das "i" ist nur ein Dehnungsvokal. Aber Hauptsache es prägt sich ein, findet der Bürgermeister: "Kerkeling veräppelt sich damit ja selbst."

Horst Schlämmers Liebe zu Grevenbroich ist groß. In seinem Wahlprogramm fordert er, den Ort zur Bundeshauptstadt zu machen; wenigstens das Kanzleramt soll hierher. Soweit will Bürgermeister Prümm nicht gehen. "Wir können hier alle zwischen Realität und Fiktion unterscheiden", stellt er klar: "Und bei allem Spaß, dürfen wir unsere ernsthaften Probleme hier nicht vergessen."

Grevenbroich plagt eine hohe Schuldenlast. Rund 120 Millionen Euro betragen die langfristigen Verbindlichkeiten.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wo Horst Schlämmer wohnt und warum es in Grevenbroich Piranhas zu angeln gibt.

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Jonas Reese

Auch das Image der 64.000-Einwohner-Stadt zwischen Düsseldorf, Köln und Mönchengladbach ist nicht das beste. Ihr eilt ein Ruf als "Deutschlands dreckigste Stadt" voraus; sie selbst nennt sich auf der offiziellen Homepage "Bundeshauptstadt der Energie". In deutschlandweiten Messungen des Europäischen Schadstoffemissionsregisters EPER lag Grevenbroich beim Kohlendioxidausstoß mehrmals ganz vorne. "Es gibt ja Böse, die uns als Dreckschleuder der Nation bezeichnen, aber das stimmt nicht", korrigiert der Bürgermeister. Seine Augenbrauen strecken sich ins Senkrechte: "Da geh ich auf die Palme. Wir haben unzählige Grünflächen, Wälder und viele Landwirte, die den guten Boden bearbeiten und Früchte ziehen."

In der näheren Umgebung von Grevenbroich liegen drei Braunkohlekraftwerke. Wegen des dementsprechend hohen CO2-Ausstoßes hat Grevenbroich das Image als "dreckigste Stadt Deutschlands." (Foto: Foto: dpa)

Zwei riesige Braunkohlekraftwerke stehen in den Stadtteilen Neurath und Frimmersdorf. Ein drittes ist im 15 Kilometer entfernten Niederaußem. Sie bewirken die schlechten Messergebnisse. Die monströsen Rauchschwaden der Kraftwerke verdecken an manchen Tagen so stark die Sonne, dass die Bauern Entschädigungszahlungen von dem betreibenden Energieunternehmen erhalten. Die Kühlflüssigkeit der Reaktoren landet in der nahen Erft, die deshalb stark erwärmt ist. Angler sollen hier angeblich schon mal Piranhas gefischt haben. Aber das ist fast Horst-Schlämmer-Stoff.

Horst Schlämmer wohnt im Stadtteil Orken

Um dem negativen Braunkohle-Image entgegenzuwirken, kommt der Held Horst Schlämmer gerade recht. Mit offenen Armen wird er in der Stadt empfangen, wann immer er sich ankündigt, um seine Sketche zu filmen.

Marga Becker hat Kerkeling und seinem Team schon dreimal ihr Haus zur Verfügung gestellt. Es ist ein alleinstehendes Einfamilienhaus im beschaulichen Stadtteil Orken. Im gepflegten Vorgarten blühen rosa Rosen. Das Haus in der Schlämmerfarbe Beige könnte auch in Berlin-Steglitz oder in München-Pasing stehen.

In einem Video-Clip steht Horst Schlämmer in Beckers Wohnzimmer vor Sitzgarnitur und Steintisch - und sucht eine Frau für sein Zuhause. "Wir haben sofort mitgemacht", sagt Frau Becker. Das "g" spricht sie dabei wie ein "j". Sie trägt eine Kittelschürze, weil sie gerade Holundermarmelade einkocht. "Hilfsbereit wollten wir sein und sonst nix. Und eines hat mein Mann von Anfang gesagt: Es werden keine Nägel in die Wand geschlagen und es wird nichts kaputtgemacht. Und daran haben sie sich gehalten." Nun weiß Frau Becker wenigstens, wie ein Film entsteht.

Auch Ursula Kwasny ist Schlämmer-Fan. Die 56-Jährige will bei den Bürgermeisterwahlen am 30. August für die CDU die Nachfolge von Axel Prümm antreten. Die reale Kandidatin hat den virtuellen Kandidaten bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Grevenbroicher Marktplatz kennengelernt. Direkt neben dem CDU-Stand hatte Schlämmer seinen HSP-Stand aufgebaut. "Wir haben uns sofort gut verstanden und Koalitionsmöglichkeiten verhandelt", erinnert sich Kwasny. So kam es zur Nebenrolle der Christdemokratin in "Isch kandidiere".

Im Film steht sie mit Horst Schlämmer und den bekannten Politikdamen Claudia Roth (Grüne) und Gabriele Pauli (Freie Union) in einer Diskussionsrunde. Ganz ohne Drehbuch wurde das aufgenommen. Noch weiß Ursula Kwasny nicht, was am Ende herausgekommen ist - aber das sei ihr nicht so wichtig, beteuert sie. "Für mich war es eher eine Gelegenheit, 'Dankeschön' zu sagen. Kerkeling hat sehr viel für die Stadt getan. Er ist einer von uns."

Ärger wegen unerlaubten Fotos

Bei den Dreharbeiten ist auch der Schnappschuss entstanden, der Kwasny viel Kritik eingebracht hat. Die CDU-Kandidatin hatte ein gemeinsames Foto mit Hape Kerkeling als Werbeanzeige im Grevenbroicher Anzeigenblatt verwendet - 90 mal 65 Millimeter groß. "Neue Bürgermeisterin! Neuer Bundeskanzler?" war darauf zu lesen. Die Produktionsfirma des Films war daraufhin verärgert, da ohne Erlaubnis Werbung mit Horst Schlämmer gemacht wurde. Und das darf nicht sein.

Wenn Kandidatin Kwasny darüber redet, wirkt ihre Stimme brüchig. Mit soviel Ärger hatte sie nicht gerechnet. "Das war doch als Joke gemeint und außerdem von Kerkeling erlaubt." In der Presse wurde sie eine ganze Woche lang abgestraft. Auch innerhalb der CDU gab es einigen Unmut. Die Grevenbroicher Politikerin glaubt an eine bewusst gesetzte Intrige und will die Affäre persönlich mit Kerkeling klären. Sie treffen sich zur Premiere in Grevenbroich. Der Film soll ein Renner werden, hoffen die Bürger der berühmtesten Mittelstadt Deutschlands - schließlich hätten ja alles etwas davon.

Doch irgendwann müsse auch wieder Zeit für ernsthafte Themen sein, sagt Noch-Bürgermeister Prümm. Irgendwann werden die Kameras verschwinden, und dann ist die Luft wieder etwas unrein in Grevenbroich, und das Anzeigenblatt preist einfach gebrauchte Autos und alte Möbel an - und nicht Kandidaten fürs öffentliche Leben. Dann beginnt endlich die schlämmerfreie Zeit, und sogar Axel Prümm hofft darauf: "Langsam ist es auch genug."

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