Hans-Jürgen Buchner in Haindling zum 60.:"Na, du, des mog i ned"

Der Mann der acht Jahreszeiten: Meisenexperimente, Klangexperimente und jede Menge Unsinn - wie einer mit einem ganz eigenen Weg Musikgeschichte schreiben kann.

Von Stephan Handel

Jetzt kann das Meisen-Experiment beginnen, denn Ulrike hat die Erdnüsse mitgebracht. Die, sagt Hans-Jürgen Buchner, will er auf eine Schnur fädeln. Die Schnur werde er im Garten aufhängen, aber so, dass sich die Meisen nicht daraufsetzen können. Denn in einem Buch hat er gelesen, dass die Vögel drei Tage brauchen, um den Trick zu begreifen: sich auf der Schnur niederlassen, festhalten, hui geht's in den Fuß-Hang, und dann können, kopfüber, die Erdnüsse vom Strick gepickt werden. Das wolle er, Buchner, doch jetzt mal sehen, ob die Haindlinger Meisen das genau so schnell raus haben wie die aus dem Buch.

Hans-Jürgen Buchner hat gerade mal einen Schluck getrunken vom frischen Erl-Bräu, das Uli, seine Frau, neben den Erdnüssen vom Einkaufen mit nach Hause gebracht hat - daran kann's also nicht liegen. Und er erzählt von der Untersuchung des Meisen-Intellekts im völligen Ernst, voller Neugier, wie ein Kind, das sich zum ersten Mal daran macht, herauszufinden, warum der Hamster in das Laufrad geht. Vorhin, ein Stockwerk höher, in Buchners Studio, hat er mit der gleichen Neugier von der Musik gesprochen, von seinen Instrumenten und den Klängen, die in ihnen stecken. "Ich geh' herum und such' was aus, was interessant klingen könnte", hat er gesagt. Dann legt er zum Beispiel tibetanische Becken auf die wagenradgroße Tischtrommel und streicht mit Jazz-Besen über das Fell aus Rindshaut: Das Fell vibriert in einem dumpfen Grollen, und die Becken klirren. "Da passiert manchmal was, was man vorher nicht weiß - du wirst von deiner eigenen Musik überrascht."

60 Jahre wird Hans-Jürgen Buchner an diesem Montag, und das erstaunt aus mehreren Gründen. Zum einen: Wann war das noch mal, als er mit seiner Band, die den Namen seines Heimatortes trägt, zum ersten Mal in den Hitparaden, im Radio und im Fernsehen auftauchte? Anfang der Achtzigerjahre, "Lang scho nimma g'sehn", "Du Depp", "Rote Haar" - da war aber der Hans-Jürgen Buchner aus Haindling schon ein g'standenes Mannsbild von fast 40 Jahren, kein Jüngling, der mit der Stromgitarre direkt aus dem Kinderzimmer vor eine Horde kreischender Teenager geworfen wurde. Zum zweiten: So schaut doch kein Sechzigjähriger aus! Die Haare nur ein kleines bisschen ergraut, die Haut ohne Falten, das schwarze T-Shirt, die schwarze Hose, die Füße stecken in Sneakers - für Mitte 40 geht der überall durch. Zum dritten aber natürlich: Wenn Alter das Erlöschen der Neugier bedeutet, des Lebenshungers, der Freude an Unbekanntem, dann hat Hans-Jürgen Buchner kein Alter. Nichts ist ihm selbstverständlich, an allem kann er sich freuen und sich über alles aufregen.

"Na, du, des mog i ned", sagt er zu Ulrike in der Stubn; sie würde gerne etwas am Schreibtisch rumwühlen während des Interviews, aber sie muss hinaus. Buchner steht auf, geht zum Heizungs-Thermostat und dreht's einen Strich höher, ist vielleicht doch etwas kalt geworden von den Beinen her. "Ah, sigst", sagt er, als wäre die Regelung schon im selben Moment spürbar. "Jetzad", und setzt sich wieder an den Tisch zum Bier und dazu, wie alles anfing.

Aber wo beginnen? 1980, als er mit einem Vierspur-Tonband, Klavier, Saxophon, Tenorhorn und Congas seine ersten eigenen Nummern aufnahm und überrascht war, "dass das so klingt, wie ich's gedacht hab"? Eher doch noch viel früher, beim Tierarzt-Sohn Hans-Jürgen in Welchenberg bei Bogen, der von der Mutter mit dem Kochlöffel zum Klavierspielen und zum Notenlernen getrieben wurde, was ihm die Lust auf klassische Musik für die nächsten 50 Jahre gründlich ausgetrieben hat. Die erste Trompete gab's als Belohnung für eine gute Note in einer Schulaufgabe - das war allerdings ein einmaliger Erfolg. Diverse Internate folgten, die aber wegen erwiesener Aufsässigkeit des Schülers Buchner meistens schnell auf seine weitere Mitarbeit verzichteten. Beendigung der Schullaufbahn kurz vor dem Abitur - zum Entsetzen der Eltern, auch wenn die Kummer ja gewohnt waren -, dann Keramiker-Lehre, Meisterprüfung, Bayerischer Staatspreis. Schließlich zog er, 1977, mit Ulrike Böglmüller in das alte Dorfwirtshaus von Haindling, Gemeinde Geiselhöring, die nächste größere Stadt ist Straubing. Dort fing er wieder an, Musik zu machen, nach zehn Jahren Pause. Alle Instrumente spielte er selbst, "weil die anderen nur immer Jimi Hendrix sein wollten". Bei den ersten Auftritten saß Uli am Schlagzeug, im Hintergrund lief ein Kassettenrekorder mit dem Playback, während er vorne stand, sang, Saxophon und Trompete blies.

Das war die Zeit des Punk und der Neuen Deutschen Welle, das Echo war auch in Niederbayern zu hören: "Eigentlich wollte ich nur 1000 Platten machen für meine Freunde", sagt Buchner. "Na ja, so viele Freunde hab' ich auch wieder nicht." Aber dann war da dieser Typ von der Plattenfirma, der durch einen komischen Zufall eines Tages in Haindling am Küchentisch saß; er hörte die Musik und schwupps, hatte Buchner einen Plattenvertrag. "Dann sollte ich auf Tournee gehen. Aber ich hatte ja keine Band." Die Geschichte ist schon oft erzählt worden, deshalb nimmt Buchner erst noch einen Schluck Erl-Bräu: "Aber freilich stimmt das. Ich hab' einfach in München ein Inserat aufgegeben: ,Multiinstrumentalisten gesucht'. Mit den Leuten spiel' ich heute noch."

Die Band tritt allerdings bis heute nur zu den Konzerten zusammen - die Lieder schreibt Buchner alleine und nimmt sie auf, in seinem Studio, die Treppe hinauf, Pantoffeln anziehen, dann geht die Tür auf: drei Kesselpauken. Congas, Bongos, eine Große Trommel. Ein Flügel, ein Mischpult, mehrere Synthesizer. An der Wand dahinter: ein ganzes Regal voller Daumenklaviere und Schlitztrommeln aus Afrika, Becken aus Tibet, so groß wie Fünfmark-Stücke, allerlei asiatisches Klingelzeug. Gegenüber: E- und Akustik-Gitarren, Mandolinen, Ukulelen, eine Geige. Im Aufnahme-Raum: Trompeten, Flügelhörner, Tenorhörner, eine Tuba, Klarinetten, Saxophone, ein Englischhorn. Auf der Tischtrommel - zur Zeit mehr Tisch als Trommel - liegt ein Kornett neben dem Aschenbecher und ein Dulcimer, eine Art Zither. Im zweiten Zimmer geht's dann erst richtig los: Gongs aus Korea, ein Udu, das ist eine afrikanische Vasen-Trommel, verschiedene Xylophone, in der Mitte ein ganzes Ensemble Bonangs - Kesselgongs -, die Buchner aus Bali mitgebracht hat; dort werden sie in der traditionellen Gamelan-Musik gespielt. Diese beiden Zimmer in Haindling, Niederbayern, versammeln den Klang der ganzen Welt, und wenn das schon erstaunlich ist, dann ist nur noch erstaunlicher, dass Hans-Jürgen Buchner diese Instrumente wirklich alle spielt.

Nur mit diesem verflixten Stück Holz, da weiß er noch nicht so recht, wofür sich das einsetzen ließe. In Barcelona hat er's gekauft, vergangene Woche erst, der Verkäufer wollte ihn die merkwürdige katalanische Flöte mit dem Doppelrohrblatt im Laden nicht ausprobieren lassen. Er wusste wahrscheinlich warum: Buchner setzt das Instrument an die Lippen, bläst hinein, der Lärm verschlägt sofort die Ohren. "Leiser geht's nicht", sagt er.

Buchner arbeitet nachts, wenn Haindling schläft. "Der Musiker ist in der Nacht am fittesten, weil ein Konzert geht ja auch erst um achte los." Er improvisiert rum, versucht dieses und jenes, und immer läuft dazu das Aufnahmegerät. Dann bleibt hier dieses Motiv hängen, da jener Rhythmus, aus dem sich etwas machen ließe. Nie - oder zumindest selten, sagt er - steht am Beginn einer Komposition ein Loop, die Endlosschleife vom Schlagzeug, das Haupt-Hilfsmittel der meisten Produzenten. "Meine Lieder entstehen meistens aus der Melodie." Das ist zu hören - denn ein von unten, vom Rhythmus her aufgebautes Musikstück würde die Ohren wohl kaum mit Breaks, Einwürfen, Effekten an den unmöglichsten Stellen überraschen.

Es ist nun an der Zeit, mit einem Missverständnis aufzuräumen: Haindling ist keine bayerische Musik, keine Volksmusik, auch keine "neue Musik". Das Missverständnis kommt daher, dass Hans-Jürgen Buchner viele Instrumente bedient, die auch Volksmusiker spielen - die Blechblasinstrumente voran. Aber die Musik, die herauskommt, hat mit bayerischer Volksmusik nichts zu tun, das ist so unsinnig, als würde man behaupten, er mache balinesische Musik, wenn er seine Gamelan-Gongs einsetzt. Die Texte sind bayerisch, das stimmt. Aber das trifft auch auf die Spider Murphy Gang zu, und die stand noch nie im Volksmusik-Verdacht. "Am Anfang hab' ich auch Englisch gesungen, weil's halt alle so gemacht haben", sagt Buchner. "Aber Bairisch ist doch wunderbar."

So wunderbar vor allem, weil er der Sprache einen neuen Rhythmus abgewonnen hat, im "Hoizscheidl-Rap" von 1983 zum Beispiel, mit dem jeder preußische Sommerfrischler zur Verzweiflung getrieben werden kann: "Da Oasiedl vo Bog'n/hod Holzscheidl g'lobn/und hod se an Schiefing/in Osch einezogn". Es geht grob darum, dass ein frommer Mann beim Holzhacken war und ihm dabei ein Missgeschick geschah, das mit seinem Hinterteil und einem Splitter zu tun hat. Aber wie das gemacht ist! Ohne Melodie, hart und schnell gesprochen, perkussiv - da würden sogar die Jungs aus der Bronx schauen.

>Wenn einer etwas macht, was vor ihm noch keiner gemacht hat, dann heißt er schnell Sprachspieler, Klangzauberer sowieso und was nicht alles an Einfallslosigkeiten herangezogen wird zur Beschreibung des Unerhörten. Auf Hans-Jürgen Buchner trifft das wenig zu. Er spielt nicht mit der Sprache - sondern er denkt wirklich drüber nach, ob und wie sich die Fische unter Wasser küssen, und er macht daraus ein wunderbar dezentes Liebeslied. Er zaubert auch nicht mit Klängen, er hört sie, und dann schaut er, in welcher Ecke seines Musikinstrumenten-Museums dieser spezielle Klang denn gelagert sein könnte.

Zum Beispiel Vivaldi. Buchner macht ja auch viel Filmmusik, und da hatte sich der Regisseur einer österreichischen Krimireihe die "Vier Jahreszeiten" als Untermalung gewünscht. Buchner überwand seine Abneigung gegen Klassik, er besorgte sich aber nicht die Noten, sondern hörte die Aufnahmen mit Anne-Sophie Mutter und mit Nigel Kennedy rauf und runter, probierte, übersetzte, lernte auch viel, "wie der Vivaldi das gemacht hat". Am Ende setzte er noch seine eigenen Impressionen von Frühling, Sommer, Herbst und Winter dazwischen, und so gibt es jetzt vier Jahreszeiten von Haindling und Vivaldi auf CD, also eigentlich acht Jahreszeiten. Den Zuhörer springt dabei die liebevolle Scheu an, mit der Buchner an das große Werk herangeht - er verletzt Vivaldi kein bisschen und macht doch Haindling draus.

Am Tisch in der Stubn ist das Bier ausgetrunken, ein kleiner Gang durchs Haus: Alles selbst gemacht, die Fensterbretter aus Keramik genauso wie die irdenen Tassen. In einem solchen Haus würde man gerne wohnen - so bunt wie Hundertwasser, aber mit Geschmack. Das stellt Hans-Jürgen Buchner auch vor ein Problem für den Geburtstag: "Zu Hause bleiben mag ich nicht, weil da dann tausend Leute anrufen und vorbeikommen. Wo anders feiern mag ich aber auch nicht, weil da bin ich ja dann nicht daheim." Es ist nämlich auch so, dass er sehr gerne faul ist: "Ich beschäftige mich auch gerne mal mit nix."

Es ist spät geworden. Auf dem Weg zum Bahnhof von Geiselhöring liegt die Pizzeria "Gardasee", da geht noch eine Halbe vor dem Zug. An der Wand hinter dem Tresen hängt eine Fan-Postkarte von Haindling und eine von Elli, die vor hundert Jahren einmal "Deutschland sucht den Superstar" gewonnen hat und deshalb Geiselhörings zweite Berühmtheit ist. Hans-Jürgen Buchner rümpft darüber vermutlich innerlich die Nase, aber weil die Wirtin persönlich das Bier hinstellt und auf einen Ratsch stehen bleibt, ist er lieber höflich. Die Wirtin weiß auch, dass sich die Ehrerbietung der Haindlinger für ihren Mitbürger schon gewandelt hat im Lauf der Zeit: "Früher hieß es ,Mei, der Buchner'. Heute heißt's ,Mei, der Buchner'." Das ist eine feine phonetische Unterscheidung in der Stimmmelodie, von der Einschätzung, dass da einer ein bisserl spinnt, hin zu - ja, Stolz auf den, der da gleich nebenan wohnt und ständig im Fernsehen kommt. Das mit den Meisen und alles andere - das werden sie ihm schon nachsehen, jetzt wo er 60 wird.

"Innerlich", sagt Hans-Jürgen Buchner, "hab' ich mich immer wie 28 gefühlt. Aber vielleicht werd ich jetzt dann doch mal 30."

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