Hanna Schygulla zum 70. Geburtstag:Träumerin

Hanna Schygulla in 'Berlin Alexanderplatz', 1979

In dreiundzwanzig Filmen Rainer Werner Fassbinders hat Hanna Schygulla mitgespielt, hier als Eva in "Berlin Alexanderplatz" von 1980.

(Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

Rainer Werner Fassbinder erklärte schon nach seinem ersten Treffen mit ihr, dass er sie zum Weltstar machen werde. Hanna Schygulla verkörpert wie keine andere das leicht verschlafene Charisma des deutschen Films. Nun veröffentlicht sie zu ihrem 70. Geburtstag ihre Erinnerungen an ein Leben für das Kino.

Von David Steinitz

Ein Star umkreist sich selbst: Nach viel Champagner tanzt die Sängerin spätnachts im Abendkleid mit einem großen Spiegel in den Händen langsam und träumerisch, sinkt schließlich auf ihr riesiges Bett, den Spiegel wie einen Liebhaber unter sich und singt ihr Lied, "Lili Marleen": "Aus dem stillen Raume, aus der Erde Grund, hebt mich wie im Traume dein verliebter Mund."

In ihren großen Rollen hat Hanna Schygulla stets Frauen gespielt, die die große Liebe nicht ausleben dürfen, sondern stoisch die eigene Liebesfähigkeit spiegeln müssen, um die Lücke des Liebhabers zu füllen.

Traumwandlerisch ihr Spiel und ihre Sprache, entrückt und sanft verschlafen, auch in den exzessiven Momenten. Und um sie herum tobten die Männer, auch in der Realität, besonders bei den Dreharbeiten zu "Lili Marleen", 1981, über ein Mädel, das im Dritten Reich zur geliebten Sängerin des Regimes wird.

Produzent Luggi Waldleitner wollte unbedingt sie für die Hauptrolle, Deutschlands neuen Weltstar. Schygulla aber stellte klar: "Wenn ich es mache, dann nur mit ihm". Also engagierte der konservative bayerische Strauß-Vertraute Waldleitner zähneknirschend den linken bayerischen Kamikaze-Filmer Fassbinder für die Regie. Zwei Egos zweier Generationen des deutschen Kinos, die sich über der Fertigstellung des Films erbittert zerstritten, und die doch beide in jedem Moment wussten, was sie an ihrer Hauptdarstellerin hatten.

Das Somnambule hat im deutschen Kino eine große Tradition. Es zeichnete schon die großen Filmklassiker der Weimarer Jahre aus. Und Rainer Werner Fassbinder, der in seinen radikalen Parodien deutscher Befindlichkeiten immer wieder auf das künstlerische Erbe des deutschen Kinos zurückgrifft, hat das Potenzial dieser rätselhaften Schläfrigkeit der Schygulla schon beim ersten Treffen erkannt. Stolz verkündete er seinem Gefolge, dass er dieses Mädchen zum Weltstar machen werde.

Zärtlicher Blick zurück auf Fassbinder

In ihrer kürzlich erschienenen Autobiografie - die programmatisch "Wach auf und träume" heißt - schreibt Schygulla, "dass ich es von Anfang an gespürt habe, dass wir füreinander bestimmt waren, ohne dass wir allzu viel gemein hatten, weder Spaß an denselben Veranstaltungen noch dieselben Ansichten, außer vielleicht einer tiefen Vorliebe fürs Labyrinth der Widersprüche . . . "

Zärtlich blickt sie trotz der Streits und des ewigen Gezeters auf den Mann zurück, der die aufregendsten Bilder von ihr geschaffen hat: Wie sie lasziv am Eisbecher löffelt und Rock'n'Roll tanzt und küsst und die Männer ganz verrückt macht.

In dreiundzwanzig seiner Filme hat sie mitgespielt, entstanden in einem Rausch in nur zwölf Jahren. "Lili Marleen", "Berlin Alexanderplatz", "Die bitteren Tränen der Petra von Kant". Und natürlich "Die Ehe der Maria Braun", 1979, ihr weltweiter Durchbruch.

Sie schreibt, wie sie spielt

Sie verstand nicht den Pessimismus, den Fassbinder beinahe prophetisch in diesen Film legte - und vertraute ihm doch vollkommen. "Wieder kommt mir das denkwürdigste der höchst seltenen Gespräche zwischen uns in den Sinn, als ich ihn frage, warum er die Geschichte der Maria Braun in ein tödliches Ende treibe. 'Warum schenkst du ihr keinen Neubeginn. Lass sie wieder bei null anfangen!' Er winkte nur ab - wenn man zu weit geht, gibt es kein Zurück mehr. . ."

Wer wie sie die großen Egos des europäischen Autorenfilms - Fassbinder, Godard, Saura, Ferreri -erlebt hat, der könnte sich dem Anekdotenrausch hingeben. Über ihr wildes Leben hat Schygulla nun aber ein sympathisch schmales und pointiertes Buch von zweihundert Seiten geschrieben. Sie schreibt, wie sie spielt, träumerisch und doch pointiert. Keiner Chronologie folgt sie von ihrer Geburt im schlesischen Königshütte, über die Nachkriegsjahre im zertrümmerten München, hin und wieder weg von der sektiererischen Fassbinder-Crew und anderen Größen des Kinos.

Die Liebe zum Kino entdeckt sie in Paris, lange bevor sie neben dem Philologie-Studium einen Schauspielkurs absolviert, bevor sie Fassbinder über den Weg läuft. Als neunzehnjähriges Münchner Mädel, das die Trümmer und die trostlose Neubauästhetik der Nachkriegsjahre gewohnt ist, kommt sie als Au-pair in die glitzernde Stadt - ein "Schönheitsschock".

Sie verliebt sich in einen Exil-Spanier und gemeinsam verlieben sie sich in den Zauber des Films: "Auch weil wir keine gemeinsame Bleibe haben, gehen wir sehr oft ins Kino, die ersten Filme der Nouvelle Vague, aber auch die Klassiker, die ich zu der Zeit in Deutschland nie zu sehen bekam. . . Buñuel, Pabst, die Marx Brothers, Louise Brooks. Ich habe noch keine Ahnung, dass ich auch einmal dort oben auf der Leinwand herumgeistern und meine Existenz verdoppeln könnte."

Das junge deutsche Kino blieb ihr treu

Schygulla ist nach diesem Erlebnis Frankreich treu geblieben und später für drei Jahrzehnte nach Paris gegangen. Erst in diesem Jahr hat sie sich zum Umzug nach Berlin entschlossen. Doch auch während sie im Ausland gelebt hat, ist ihr gerade das junge deutsche Kino treu geblieben. In Filmen von Hans Steinbichler und Fatih Akin war sie in den vergangenen Jahren zu sehen. Weil auch die neuen jungen Wilden gespürt haben, dass sie die verträumten Bewegungen dieses Mädchens, das sie stets geblieben ist, einfach einfangen müssen.

Wie ein erstaunter Liebhaber. Ihr langjähriger Lebensgefährte , der französische Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, sagte einmal: "Ich schaue dir gern beim Leben zu." Am ersten Weihnachtsfeiertag wird sie nun siebzig Jahre alt.

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