Handbuch:Wie sich Vögel äußern

Collage
(Foto: Aus dem besprochenen Band)

Schnepfen murxen, Elstern zetschen und Truthähne haudern - ein Nachschlagewerk über die Stimmen der Vögel.

Von Bernd Graff

Der Münchner Tierpark Hellabrunn bewirbt seine Jahreskarten damit, dass Kinder offenbar keine Ahnung mehr haben, welches Tier sie vor sich haben. Die Kampagne zeigt also etwa ein Nashorn, über das gesagt wird: "Mama, schau mal . . . Ein Stier!" Oder eine Giraffe, die für ein Pferd gehalten wird. Aus dem Känguru wird ein Hase. Diese Anzeigen spielen mit der Tatsache, dass wir die Lebewesen um uns herum nicht mehr kennen. Wir haben uns von der Natur, also von uns selber, entfremdet. Im Zuge dieser Entfremdung verarmt auch unsere Sprache. So sind uns die Wörter abhanden gekommen, den Gesang der Vögel zu benennen. Ein Fehlen, das wir kaum bemerken.

Dies ist eine erste, deprimierende Erkenntnis, wenn man das ebenso wunderbare wie verwunderliche Bändchen "Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?" von Peter Krauss durchgeht (Handwörterbuch der Vogellaute. Bestandsaufnahme eines aussterbenden Wortschatzes. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017, 224 Seiten, 25 Euro). Darin sind mehr als 300 deutsche Verben für die Lautäußerungen von mehr als 100 europäischen Vögeln erfasst. Die Vögel zetschen (Elster) und knäken (Ente), murxen (Schnepfe) und gixen (Drossel), lullen (Lerche) und wispeln (Meisen), kichern (Eule) und kläffen (Adler), haudern (Truthahn) und grölen (Storch). Allein für den Lerchengesang finden sich 17 Verben von quinkelieren bis jodeln. Die Lautmalereien erinnern daran, dass die Menschen all diese Vogelstimmen einmal tatsächlich vernommen und in ihre Sprache übersetzt haben. Krauss hat dazu alte Schriften zusammengetragen, er zitiert aus der Forschungsliteratur ab der Entstehung der systematischen Naturkunde in der Aufklärung. So findet sich in einer 1795 erschienenen Naturgeschichte: "Die Menschen glauben, die Vögel singen für sie. Ein Forscher hat beobachtet, dass manche Singvögel in der Heck (Balzzeit) zuweilen so stark schreien, dass sie sich die zarten Adern der Lunge zersprengen und mitten im Gesang tot herabfallen. Es wäre bedauerlich, wenn sie dieses Opfer auch den Menschen bringen wollten."

Alle Vögel werden in farbenprächtigen Porträts gezeigt, die ebenfalls frühen ornithologischen Fachbüchern entnommen sind. Krauss' Genauigkeit ist nie verniedlichend. Ihm geht es um die Dokumentation des mit den Vögeln verschwundenen Sprachreichtums. So führt diese ornithologische wie linguistische Preziose vor Augen, dass "Alle Vögel sind schon da" eben leider nicht mehr der Wahrheit entspricht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: