Hamburgs neues Konzerthaus:Der lange Weg zum magischen Ort

Elbphilharmonie

Hamburgs neuer Hingucker: Die Elbphilharmonie mit ihrem markanten Wellendach. Trotz enormer Baukosten und enormen Ärgers ist die Stadt stolz auf den Bau.

(Foto: Maxim Schulz)

Die Geschichte der Elbphilharmonie ist voller Eitelkeiten und Fehleinschätzungen. Das Projekt wäre beinahe schiefgegangen - wenn es nicht die Kultursenatorin Barbara Kisseler gegeben hätte.

Von Till Briegleb

Betrachtet man die Berichterstattung über die Elbphilharmonie rückblickend, dann wirkt die Geburt dieses Projektes wie eine Geschichte der Zahlen und Kosten, der politischen und organisatorischen Fehlentscheidungen. Tatsächlich ist die bewegte Geschichte dieses Konzerthauses aber eine der Menschen. Eine mal rührende, mal traurige Geschichte, eine voller Eitelkeiten und Überzeugungen, Überforderungen und Enttäuschungen, aber eben auch gespickt mit großen Momenten, wo nur Persönlichkeit weiterhalf.

Jene Charaktertests, die das babylonische Bauvorhaben an der Elbe vor dem Schicksal des biblischen Turms bewahrten, wurden allerdings nur von jenen Akteuren bestanden, die leise und besonnen agierten. Die großen Egos haben das Projekt dagegen mehrmals fast zum Scheitern gebracht und sind letztlich dafür verantwortlich, dass dieses spektakuläre Konzerthaus statt 400 Millionen Euro (wie von den Architekten geschätzt) 789 Millionen gekostet hat, und auch nicht wie ursprünglich geplant 2009 eröffnet werden konnte.

Die Pressekonferenz, auf der am 26. Juni 2003 der Virus von Hamburgs "Sydney-Oper" freigelassen wurde, war ein eher schüchternes Ereignis. In einem kleinen Saal der Hamburger Musikhalle saß ein freundlicher, leise sprechender Investor, der so überhaupt nicht dem Bild der schicken Dollarprinzen aus der Immobilienbranche entsprach, und wollte einen Vorschlag machen. Er hatte eine Animation seiner Idee dabei, die ziemlich genauso aussah wie das inzwischen fertiggestellte Gebäude, und einen Schweizer Architekten, den er vom Studium kannte.

Gut, dieser Mann war Pierre de Meuron, der nach der Uni zusammen mit Jacques Herzog das heute erfolgreichste Entwurfsbüro der Welt, Herzog & de Meuron, in Basel gegründet hatte. Aber an diesem Donnerstagmorgen erklärte er einfach in aller Schweizer Vornehmheit den schönen Entwurf eines gläsernen Wellengebirges auf einem Stückgutspeicher an der Spitze der Hafen-City, in dem sich ein wunderbarer Konzertsaal befinden sollte, ein "magischer Ort", wie er versprach.

Alexander Gérard, der freundliche Investor, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre lang an der Idee der Elbphilharmonie gesponnen. Gemeinsam mit seiner ebenso kultiviert auftretenden Frau, der Kunsthistorikerin Jana Marko, war er seit 2001 durch die besten Konzerthäuser der Welt gereist. Geradezu stolzfrei antichambrierten sie danach immer wieder bei Hamburger Politikern und Entscheidungsträgern für ihre Idee, die aber zu diesem Zeitpunkt noch einen faltigen Glasspargel mit Namen "Media City Port" oder ein Norddeutsches Parlament für die vielleicht irgendwann vereinigten Flachland-Bundesländer an Hamburgs prominenteste Landspitze setzen wollten.

Trotzdem entwarfen Herzog & de Meuron dem Studienfreund diverse Studien zu einem Konzerthaus mit Hotel und Luxuswohnungen am und im Wasser, bis sie schließlich zu dem signifikanten Modell der Bautrikolore fanden, das bis heute alle überzeugt hat: Unten der rote Speicher, dazwischen eine frei zugängliche Ebene als Stadtplaza, darüber schwebend die gläserne Musik.

Der Initiator Alexander Gérard bekam nie die Möglichkeit, seine Ideen in die Tat umzusetzen

Vielleicht aus der frustrierenden Erfahrung mit seiner diskreten Diplomatie ließ sich Gérard an diesem Sommertag zu einer Aussage hinreißen, die seither die Häme über die Kostensteigerungen als Generalbass begleitet. Falls Hamburg das Grundstück umsonst gebe, werde dank der Querfinanzierung durch Hotel und Apartments der Konzertsaal die Stadt "keinen Euro kosten". Das kam bekanntlich etwas anders, aber der Initiator - der später eingestand, dass diese Prognose wohl nicht zu halten gewesen wäre - bekam auch nie die Chance, seinen Vorschlag selbst umzusetzen.

Beeindruckt von einer Welle der Zustimmung von Bürgern, Architekten und den Feuilletons, die diese erste gemeinschaftsdienliche Planung für Hamburgs Präsentierteller am Fluss begrüßten, entschied der nach der Allianz mit dem skandalfreudigen Ronald Schill angezählte Bürgermeister Ole von Beust 2004 durchaus populistisch, das Projekt an sich zu reißen. Der Senat, der Gérards Pläne vorher als Luftnummer behandelt hatte, zwang diesen nun, die Rechte an dem Projekt zu veräußern. Und damit begann jene fatale Entfesselung männlicher Eitelkeiten und Animositäten, die in eine sehr teure Elbdisharmonie mit jahrelangen anwaltlichen Stellungskriegen führte.

Kaum jemand bestreitet heute noch, dass es ursächlich die Geltungssucht des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust gewesen ist, die das Debakel gestiftet hat (reuig verschlüsselt nicht einmal Beust selbst). In selbstherrlicher Ungeduld setzte sich der CDU-Politiker über den Rhythmus von Planungsprozessen hinweg, um das Konzerthaus als Denkmal seiner Regierungszeit schnell errichtet zu bekommen. Er ließ eine unterbesetzte staatliche Steuerungsgesellschaft (ReGe), die vorher vor allem Projekte wie Landepisten betreut hatte, die Koordination des extrem aufwendigen Vorhabens übernehmen, bei dem auf einem Speicher ein Hochhaus mit frei hängendem Saal gebaut werden sollte.

Schließlich vertraute Beust diese wenig geeignete Institution einem so knurrigen wie eigensüchtigen Ordnungsbeamten an, dessen Kompetenz vor allem darin bestand, die Aufforderungen Beusts zur Eile wider besseres Wissen abzunicken. Und der bei dem ansteigenden Stress unlösbarer Komplikationen mit Dickköpfigkeit reagierte, bis er abgelöst werden musste - für einen Nachfolger, der in seiner leisen, scheuen Art das charakterliche Gegenteil abgab, aber damit zu diesem Zeitpunkt auch eine eher tragische Besetzung war.

Denn als das Bauunternehmen Hochtief realisierte, dass es sein abgegebenes Angebot von 241,3 Millionen Euro in diesem vielfach unseriösen Planungsprozess niemals einhalten könne, begann der Essener Konzern, die ReGe mit einer Flut von Baubeschwerden lahmzulegen, um so eine Neuverhandlung der Bausumme zu erzwingen - was zunächst 2012 und dann noch einmal 2013 nach monatelangem Stillstand auf der Baustelle auch gelang. Voraussetzung dafür war allerdings eine Personenrotation, die nach dem zermürbenden Prozess des Stillstands auf allen Führungsebenen die Fertigstellung des brachliegenden Baus doch noch möglich machte.

Der Neustart des Projektes 2013 ist vor allem das Verdienst der kürzlich verstorbenen Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler. Gemeinsam mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden von Hochtief, Marcelino Fernández Verdes, und den Basler Architekten verhandelte sie diskret die sehr teuren Schlusskonditionen von Preis und Eröffnungstermin, die Hamburgs neuer Bürgermeister Olaf Scholz in seiner pragmatischen Manier dann absegnete und die wundersamer Weise punktgenau eingehalten wurden.

So eisern wie humorvoll löste Barbara Kisseler verfahrenstechnische wie persönliche Blockaden, die die Hansestadt Hunderte Millionen Euro gekostet haben, die man auch besser hätte verwenden können. Dass ausgerechnet diese so herzliche wie kompetente Kulturfürsorgerin die Eröffnung "ihrer" Elbphilharmonie nicht mehr erleben durfte, zählt zu den vielen tragischen Geschichten, die mit dem Projekt verwoben sind.

Denn letztlich verdankt dieser "magische Ort", der es nun tatsächlich geworden ist, ihr die späte Vollendung.

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