"Habemus Papam" im Kino:In Schockstarre auf dem Heiligen Stuhl

Null Bock auf die Bürde der Würde: Michel Piccoli spielt einen unwilligen Pontifex in Nanni Morettis neuem Kinofilm "Habemus Papam - Ein Papst büxt aus". Es ist eine Geschichte davon, dass Menschwerdung eben doch wichtiger ist als Papstwerdung.

Rainer Gansera

Null Bock auf die Bürde der Würde, das kann ja mal passieren. Dem französischen Kardinal Melville (Michel Piccoli) widerfährt es in Nanni Morettis päpstlicher Verweigerungskomödie "Habemus Papam": Wir haben einen Papst, aber der will nicht.

Kinostarts - 'Habemus Papam'

Der Papst (Michel Piccoli) muss zum Psychologen - flankiert von seinen Kardinälen (Filmszene aus 'Habemus Papam').

(Foto: dpa)

Beim Konklave zur Papstnachfolge erhält Außenseiterkandidat Melville die erforderliche Zweidrittelmehrheit, weißer Rauch steigt auf, die Glocken läuten, der Kardinalsekretär betritt den Balkon und verkündet den auf dem Petersplatz Jubelnden das "Habemus Papam". Melville aber wird von einer Panikattacke heimgesucht, kann sich nicht mehr vom Stuhl bewegen. Er schafft es nicht, sich als neuer Papst auf dem Balkon zu zeigen und die Gläubigen zu segnen.

Klingt nach Satire, nach ätzender antiklerikaler Attacke, aber "Habemus Papam" enthüllt sich dem staunenden Auge als verspielte, geradezu zärtliche Nanni-Moretti-Phantasie.

Alle in Umlauf befindlichen kirchenkritischen Themen - von den Pädophilie-Skandalen über das Zwangszölibat bis zur kirchenamtlichen Misogynie - werden beiseitegeschoben, um davon zu erzählen, dass Menschwerdung eben doch wichtiger sei als Papstwerdung.

Melville, den der 85-jährige Michel Piccoli mit hinreißendem Charme verkörpert, wird auf eine Art Selbstfindungstrip geschickt, auf eine Reise durch den typischen Moretti-Mix aus Melancholie, groteskem Witz und Wiederverzauberungspoesie, der sich anfänglich als farbenprächtiger Cocktail darbietet und den Vatikan als hübsch kauzigen Altherrenclub schildert.

Im Autorenkino mehren sich die Filme, die darauf verzichten, den katholischen Klerus an den Pranger zu stellen oder durch den Satire-Kakao zu ziehen. Die Zeit der zornigen Abrechnungen mit sadistischen Internatsnonnen oder heuchlerischen Priestern scheint vorüber. Vielleicht liegt es daran, dass die Kirche eminent an Einfluss und Macht verloren hat?

Jedenfalls überraschen Filmemacher, die sich ausdrücklich als kirchen- und glaubensfern bekennen, mit Werken - man denke an Jessica Hausners "Lourdes" -, die die religiöse Sphäre wie mit unschuldigen Kinderaugen durchstreifen wollen. Um einen Raum kurioser Wunderlichkeiten zu entdecken. Wenn die Katholische Kirche schon nicht mehr als Machtapparat herausfordert, dann reizt sie doch als Fundus geheimnisträchtiger Rituale und Liturgien.

In "Caro Diario / Liebes Tagebuch", seinem schönsten Film, gestand Nanni Moretti - Jahrgang 1953, Galionsfigur des italienischen Autorenkinos und des außerparlamentarischen Anti-Berlusconi-Protests -, dass er am liebsten Tänzer geworden wäre. Tanz als Schwerelosigkeit des Seins, Morettis Erlösungsbild.

Gottgewollte Entscheidung

In "Habemus Papam" gibt es dann auch den Augenblick, in dem die Kardinäle zu den Klängen der Latinoschnulze "Cambia, todo cambia - alles, alles ändert sich" selbstversunken tanzen und fröhlich in die Hände klatschen. Motto: Werdet wie die Kinder!

Beschwingt choreographiert zeigt sich schon zu Beginn das Wahlkonklave, die Prozession der Kardinäle aus aller Welt, das Absingen der Heiligenlitanei: Alles mit großem Aufwand an Kostümen und Ambiente (die Sixtinische Kapelle wurde im Studio nachgebaut) gefilmt. Bei den Wahlgängen hört man im Off die Stimmen der aussichtsreichsten Kandidaten, die darum beten, dass der Kelch an ihnen vorübergehen möge.

Es trifft Melville, der sofort in Schockstarre verfällt. Wahlwiederholung geht nicht, denn richtliniengemäß führt hier der Heilige Geist Regie. Nicht die Kardinäle greifen nach dem Amt, sondern das Amt greift nach ihnen. Die Entscheidung ist unumstößlich weil gottgewollt.

Was tun? Man holt den renommiertesten Psychiater Roms zu Hilfe, damit er die Seelenverknotungen des Auserwählten löse. Nanni Moretti, als Darsteller in der Psychiater-Rolle geübt, konturiert diesen Dottore als selbstgefälligen Bescheidwisser, der allerdings schnell mit seinem Latein am Ende ist, denn er darf die psychoanalytischen Grundlagen bei seinem Patienten nicht ansprechen: die Sexualität, die Mama, die Träume und die prägenden Kindheitserlebnisse. Nicht einmal Fragen nach den unverwirklicht gebliebenen Sehnsüchten - sie spielen später bei der Selbsterkundung Melvilles die entscheidende Rolle - dürfen gestellt werden.

Eine herrliche Szene der Missverständnisse und Hilflosigkeiten. Wie bei einer Audienz sitzen Psychiater und Papst in spe einander gegenüber, umringt von den neugierigen Kardinälen. Das Scheitern ist programmiert, denn die kirchliche Vorstellung der Seele und das psychiatrische Konzept des Unterbewussten bleiben inkompatibel. In "The King's Speech" konnte ein Psychiater dem stotternden britischen König hilfreich sein, hier muss der Dottore kapitulieren.

Nahezu jede Szene bezieht ihren Witz aus den Reibungen zwischen persönlicher Geste und amtlicher Pose. Wenn der Offizier der Schweizer Garde im labyrinthischen Vatikangarten seine Hand zum Eidesgelöbnis erhebt, glaubt Melville, er winke ihm zu - und winkt munter zurück.

Neurosen als Potential für Komik

Alles Pathetische und Theatralische zu sabotieren, ist innerstes Agens bei Nanni Moretti, politisch und filmisch. Die Neurosen seiner Helden zeigt er als Sabotageakte. In der Schule der Achtundsechziger-Revolte und bei Filmemachern wie Woody Allen hat er gelernt, Neurosen als Potential für Komik und existenzielle Erleuchtungen zu nutzen.

Melvilles Panikattacke führt auf den Pfad der Befreiung. Er kann seinen Bewachern entfliehen, mischt sich inkognito unters Volk, blinzelt in die Sonne und gesteht einer hübschen Psychiaterin (die Ex-Ehefrau des Dottore), dass es immer sein Wunsch gewesen sei, Schauspieler zu werden.

Als er dann auf eine Theatertruppe - sie studiert Tschechows "Möwe" ein - trifft, geht der so lässig aufgefächerten Story jedoch unversehens die Luft aus. Moretti hat zwei Türen geöffnet, durch die er nicht hindurchzugehen wagt. Weder erforscht er Melvilles Biographie genauer, noch dringt er in das Innere der vatikanischen Hierarchie ein.

So bleibt die Geschichte merkwürdig flach, kulissenhaft, ein Reigen tändelnder Einfälle, und der Idee, den Menschen hinter dem Amtsträger hervorzulocken, gelingt es nicht wirklich, Fleisch zu werden. Immerhin entschädigt die überragende Präsenz Piccolis. Ihm glaubt man sofort, dass es sich allemal lohnt, auf das Amt des Stellvertreters Gottes auf Erden zu verzichten, um beschwingt durch die Straßen Roms flanieren zu können.

HABEMUS PAPAM, I/F 2011 - Regie: Nanni Moretti. Buch: Moretti, Francesco Piccolo, Federica Pontremoli. Kamera: Alessandro Pesci. Mit: Michel Piccoli, Nanni Moretti, Margherita Buy, Jerzy Stuhr. Prokino, 110 Minuten.

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