Guttenberg, Plagiat und Konservatismus:Der Herr des Verfahrens

Guttenbergs putschistischer Regelverstoß steht in einer langen konservativen Tradition: Prinzipien als drehbare Geschütze. Gekrönt wird dieses Verhalten dadurch, dass der überführte Edelmann seinen Doktortitel von sich aus ablegt.

Gustav Seibt

Erinnert man sich noch an Casimir Prinz Wittgenstein, jenen wetter- und ehrenfesten hessischen Aristokraten in ländlichem Loden, der so gern Weihnachtseinladungen für Polizisten in seinem mit Antiquitäten gezierten Hofgut gab? Er war jener Verwalter vorgeblich "jüdischer Vermächtnisse" an die CDU Hessens, die sich im Jahre 1999 als schwarze Spendengelder herausstellten. Bei Prinz Casimir war damals - historisch ist es kaum gestern - die adelige Contenance zu bewundern, mit der er bis zur Aufdeckung des dreisten und durchsichtigen Schwindels die altehrwürdige Kunst der Lüge übte: Geradeaus in die Kameras blickend, zeigte der Aristokrat sich damals "vom Unwahrscheinlichen" solcher Betrügereien "fest überzeugt", und auf die Frage, ob da jemand vielleicht auf dem Umweg über die Schweiz unversteuertes Geld an seine Partei habe fließen lassen, erklärte er mit unschuldigem Augenaufschlag: "Das hätte der doch nicht gedurft!"

Diese eindrucksvoll schlichte Lüge - handgearbeitet und griffig wie ein Manufactum-Artikel - fiel kurz danach der brutalstmöglichen Aufklärung der deutschen Parteiengeschichte zum Opfer. Der greise Prinz musste sich noch einigen unangenehmen Prozessverhandlungen unterziehen, doch mehr als Belästigungen wurden daraus nicht für ihn. Vielleicht hörten ja die Weihnachtsessen für die Polizei auf. Roland Koch, der zuständige Parteiobere und hessische Ministerpräsident, rettete Amt und Karriere, indem er die Schuld auf seine Parteifreunde - Manfred Kanther und eben Casimir - abschob.

Der Skandal hatte allerdings auch eine bundespolitische Dimension, und sie führte die damalige Generalsekretärin der CDU, Angela Merkel, schließlich an die Spitze der Partei. Dort gelang die Aufklärung allerdings insofern nicht ganz so brutal, als sie an dem "Ehrenwort" Helmut Kohls zerschellte, der sich weigerte (und bis heute weigert), die ihm bekannten Namen der Spender zu nennen; damit stellte er sein persönliches Versprechen absichtsvoll und bewusst über die Regeln und die Legalität des Staates. Diese für einen konservativen Staatsmann zunächst überraschend wirkende Wertsetzung musste die CDU in den damaligen Umständen der Schwäche mit der Aberkennung des Ehrenvorsitzes beantworten. Zwar konnte Helmut Kohl mit Hilfe der Schatzmeisterin Baumeister noch Wolfgang Schäuble in den Strudel reißen - dieser musste auf den regulären Parteivorsitz verzichten -, doch zunächst geriet der Kanzler der Einheit in Quarantäne.

Das durfte man damals hoffnungsvoll als Datum in der Geschichte des deutschen Konservatismus verbuchen. Denn dieser hatte seit Otto von Bismarcks "Welfenfonds" - dem Vermögen der gestürzten Könige von Hannover - eine solide Tradition von Schwarzgeldern, Schwarzkonten und extralegalen Hilfsmitteln angelegt, in einer Mentalität des latenten, stets abrufbereiten Ausnahmezustandes, die besagte: Die Regeln des Staates stehen uns, seinen eigentlichen Inhabern, zur freien Verfügung, unser Geschwätz von gestern braucht uns im Zweifelsfall nicht zu kümmern, sofern die Notwendigkeit einer höheren Staatsräson neue Richtlinien erzwingt.

So hatte Bismarck sich bis zum Ende seiner Kanzlerschaft die Auflösung des von ihm gegründeten Deutschen Reichs innerlich offengehalten; er hatte mit den Mitteln des Ausnahmerechts gegen katholische und sozialistische Reichsfeinde operiert; und nach seiner Entlassung intrigierte er von seinem Ruhesitz in Friedrichsruh aus mit Hilfe willfähriger Publizisten ganz ungeniert gegen den jungen Kaiser Wilhelm II. Noch die Eulenburg-Prozesse seit 1906 zählen zu den Folgen planmäßig gelegter Bismarck'scher Fallen, dessen Fluch selbst aus dem Grabe wirkte.

Fatale Tradition

Und ähnlich putschistisch-voluntaristisch war ja auch das Verhältnis des altpreußisch-konservativen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zu jener Weimarer Verfassung, auf die er immerhin einen Eid geschworen hatte. Was gut für Deutschland war, entschied er, je länger je mehr, zusammen mit einer adelig-industriellen Entourage ganz allein, dabei fast bis zum Schluss im Vollbesitz seiner tückischen Geisteskräfte, wie die neue Standard-Biographie von Wolfram Pyta beweisen konnte. Auch hier wurden unter dem Regime der Notparagraphen Staatsstreich- und Monarchiepläne ausgeheckt, bis man in dem Gefreiten Hitler einen geeigneten Ausputzer engagiert zu haben meinte. Und auch hier wurde altadeliges Ethos von Pflicht, Dienst und Anstand in sein Gegenteil verkehrt, mit Hilfe jener Giftgene des Bonapartismus, die Bismarck dem doch eigentlich an Gott, Überlieferung, Gesetz und Vaterland glaubenden Konservatismus eingepflanzt hatte.

Durchgehend in dieser fatalen Tradition ist die Entformalisierung der Staatsräson, mit der auch Grundregeln des Anstands zur Disposition gestellt werden. Prinzipien müssen, so hatte es der darin immerhin ehrliche Metternich gesagt, drehbare Geschütze sein; die Legitimität ist also nichts ein für alle Male Feststehendes, sondern darf nach aktuellen Bedürfnissen im aufgewühlten Zeitlauf immer wieder neu aufgestellt werden. Der Konservative reitet den Tiger der Revolution, bevor dieser ihn zerfleischt.

Das ist natürlich das Gegenteil von Republikanismus und insofern Signum und Symptom von historischen Übergangszeiten, über das man sogar historisch dissertieren, ja habilitieren könnte. Wer meinte, dass der Konservative, dieser Zweitgeborene der Revolution, ein Vertreter von festen Grundsätzen sei, hat also zu kurz gedacht. Grundsätze haben etwas Unhistorisches, fast Jakobinisches; der geschichtliche Prozess aber ist lebendige Bewegung, gemacht vom Menschen mit seinem Widerspruch. Es kommt eben immer auf den Kairos an, den Karl-Theodor zu Guttenberg im Vorwort seiner Dissertation beschwört.

Und es ist schon toll, dass wir nun, zehn Jahre nach Casimir, Kanther und Kohl, schon wieder ein Virtuosenstück dieser gummiartig beweglichen und zugleich wetterfest tannenhaften aristokratischen Prinzipienstärke anstaunen dürfen. Nach der brutalstmöglichen Aufklärung kam die mühevollste Kleinarbeit elektronisch gestützter Textgenese, mit der mindestens zwei Grundregeln wissenschaftlichen Anstandes verletzt wurden: das Urheberrecht und die ehrenwörtliche Versicherung selbständiger Herstellung einer wissenschaftlichen Qualifikationsschrift. Dazu kommt jener dreiste Mut zur Unwahrheit gegenüber der Öffentlichkeit, der die bald eindeutig belegten Verfehlungen zunächst als "abstrus" und dann als unabsichtlich hinstellt. Möglicherweise kommt durch die Verwendung wissenschaftlicher Zuarbeiten aus dem Bundestag noch Amtsmissbrauch hinzu.

Gekrönt wird das Verhaltensmuster des putschistischen Regelverstoßes dadurch, dass der so überführte Edelmann sich nachträglich zum Herren des Promotionsverfahrens macht und seinen Doktortitel von sich aus ablegt. Der Große steht dabei im Sturm des Beifalls einer Menge, die, wie Professor Baring weiß, beim Wort "Fußnoten" fragt: Ach, werden jetzt auch Füße benotet? Dagegen wirken ein Universitätskanzler und ein in Urlaub gegangener Doktorvater mit ihren tüdeligen Prüfungsverfahren nur bürgerlich-grau und glanzlos. Das Stehende der Institution und ihres Ethos verdampft unter der Sonne ständischen Glanzes. Der Beifallumtoste mag kurz wackeln, aber vorerst steht er fest, weil jede und jeder, der ihm den entscheidenden Stoß versetzen würde, der wütenden Menge um ihn zum Opfer fallen müsste. Vielleicht ist diese geschichtliche Anpassungsfähigkeit an Zeitumstände das eigentliche Geheimnis achthundertjähriger Familiengeschichten.

Aber was unterscheidet solche Durchhaltekraft eigentlich noch von der Zähigkeit eines Silvio Berlusconi?

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