Großformat:Mußestunden

Die Grafikerin Stephanie Wunderlich ist bekannt für ihre pointierten Scherenschnitte. In ihren neuen Zeichnungen macht sie sich über die wechselvolle Bedeutung von Arbeit Gedanken.

Von Christoph Haas

Die Comics von Stephanie Wunderlich erkennt man auf den ersten Blick. Wenn ihre Kolleginnen und Kollegen mit Stift, Feder oder Pinsel vor einem weißen Blatt sitzen, greift sie zu Schere und buntem Papier. Am Scherenschnitt, sagt Wunderlich, reizt sie der Zwang zur Abstraktion, zur Reduktion, der es im Gegenzug ermöglicht, eine eigene, rein grafische Welt zu erschaffen: "Die Wirklichkeit bloß abzubilden, das interessiert mich nicht." Zugleich eröffnet diese Technik die Möglichkeit, zu experimentieren, immer neue Arrangements durchzuspielen. Eine Zeichnung ist mit einem falschen Strich schnell ruiniert. Hier dagegen gilt: Erst wenn der Kleber zum Einsatz gekommen ist, lässt sich nichts mehr rückgängig machen.

Inzwischen zeichnet Wunderlich - wie im vorliegenden Fall - allerdings auch am Computer. Der erhebliche Zeitaufwand, der mit ihren Comics bislang verbunden war, lässt sich so stark verringern. Ihrem spezifischen künstlerischen Ansatz ist Wunderlich aber treu geblieben. Die digitale Herstellungsweise erlaubt es ihr sogar, dessen Merkmale zu verfeinern: "Ich liebe den Kontrast von Schwerem und Leichtem, von großen Flächen und dünnen Linien - und da kann man auf dem Bildschirm einfach mehr machen, als wenn man mit der Hand arbeiten muss." Gleich geblieben ist auch die gewisse Retro-Anmutung, die auf Wunderlichs Faszination an der Kinderbuch-Ästhetik der Sechziger und der Grafik des früheren Ostblocks verweist.

Alle bisherigen Comics von Stephanie Wunderlich sind kurz; in der Literatur würde man von Short Stories sprechen. In Zeiten, wo Graphic Novels oft auf einen Umfang von mehreren Hundert Seiten kommen, ist dies ungewöhnlich. Der Hang zum Pointierten erklärt sich daraus, dass Wunderlich hauptberuflich als Illustratorin für Zeitschriften und Zeitungen - auch für die SZ - arbeitet: "Ich kenne das gar nicht anders. Ich bin es gewohnt, Aufträge zu erhalten, wo es darauf ankommt, ein kurzes visuelles Statement abzugeben, und das färbt einfach ab auf meine Comics. Vielleicht würde ich es genießen, mich einmal so richtig auszubreiten. Kann aber auch sein, dass ich gar kein Ende finden oder mich schnell langweilen würde."

Ihr aktueller Comic wird im Sommer in der Anthologie Spring, die jährlich erscheint und allein von Zeichnerinnen gestaltet wird, zu finden sein. Auf insgesamt 14 Seiten skizziert Wunderlich die wechselnde Einschätzung, die dem Phänomen der Arbeit in der Geschichte des Abendlandes zuteil wurde.

In der Antike übrigens hatte Arbeit noch keinen großen Wert, ganz im Gegenteil: "Die Muße wurde als Gelegenheit gedeutet, sich ohne Fremdbestimmung wichtigen Dingen zu widmen, schöpferisch, frei und zum Nutzen der Gemeinschaft", sagt die Zeichnerin. Stephanie Wunderlich nutzt ihre Mußestunden, um wunderbare Comics zu machen - zur Freude ihrer Leser.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: