Große Koalition:Nur keine vierte Groko!

Merkel und Schulz

Ein Pakt zwischen Union und SPD würde beide Seiten fesseln, sagt der Historiker Heinrich August Winkler.

(Foto: dpa)

Die Koalition von Union und SPD ist nicht "alternativlos" - sie gefährdet die Zukunft der parlamentarischen Demokratie. Was jetzt geschehen muss.

Gastbeitrag von Heinrich August Winkler

Bis vor Kurzem war es in Deutschland noch ziemlich unstrittig, dass große Koalitionen nicht zum Regelfall der politischen Mehrheitsbildung werden dürfen. Je häufiger es zu einer Regierung der beiden größten Parteien komme, so die einleuchtende Begründung, desto mehr wachse die Gefahr, dass die Ränder rechts und links erstarken und schließlich auch die Parteien der großen Koalition zusammen über keine parlamentarische Mehrheit mehr verfügen. Dann aber gerate die parlamentarische Demokratie selbst in Gefahr. Um es dahin nicht kommen zu lassen, sei es vernünftig und verantwortungsbewusst, sich nur dann auf eine große Koalition einzulassen, wenn die Bundesrepublik tatsächlich anders nicht regiert werden könne.

Sind diese Argumente alle dadurch entkräftet, dass sich die möglichen Partner einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition nicht auf die Grundzüge eines gemeinsamen Regierungsprogramms einigen konnten? Ist eine Koalition zwischen den Unionsparteien und den Sozialdemokraten wirklich, wie manche Akteure und auch viele Kommentatoren meinen, alternativlos?

Käme es erneut zu einer großen Koalition, wäre es die vierte in der Geschichte der Bundesrepublik, die dritte seit 2005 und die zweite in Folge seit 2013. Es macht den großen Vorzug der Demokratie gegenüber anderen Regierungsformen aus, dass sie dem Souverän, dem Volk, ermöglicht, in periodischen Abständen die Regierung auszuwechseln. Die Minderheit von heute kann zur Mehrheit von morgen werden. Wenn die beiden größten Parteien dauerhaft zusammen regieren, reduziert sich diese Möglichkeit auf die Frage, welche der beiden Parteien den Regierungschef stellt, eine Entwicklung, die über kurz oder lang die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie gefährden dürfte.

Alternativlos ist eine abermalige Regierung von CDU/CSU und SPD keineswegs

Kurzfristig mag eine neue große Koalition zu einer Stabilisierung der innenpolitischen Verhältnisse führen. Längerfristig droht sie das Gegenteil zu bewirken. Die parlamentarische Demokratie lebt von der Parteienkonkurrenz. Diese ist ernsthaft bedroht, wenn sich die beiden größten Parteien durch den ständigen Zwang zum Regierungskompromiss einander so stark annähern, dass darüber ihr eigenes Profil verschwimmt und scharfe Wahlkampfrhetorik unglaubwürdig wirkt. Die Profiteure einer solchen Entwicklung wären die jeweiligen Konkurrenten rechts und links.

Große Koalitionen setzen mehr als jede andere Regierungskonstellation das normale Wechselspiel zwischen der größten Regierungs- und der größten Oppositionspartei außer Kraft. Dies als "alternativlos" in Kauf zu nehmen, heißt die Zukunft der parlamentarischen Demokratie aufs Spiel zu setzen.

Alternativlos aber ist eine abermalige Regierung von CDU/CSU und SPD keineswegs. Eine Minderheitsregierung ist heute etwas völlig anderes als in der Weimarer Republik. In der ersten deutschen Demokratie war "Verfassungspatriotismus" eine zunehmend rare Ressource und die außenpolitische Ausrichtung Deutschlands hochumstritten. Heute gibt es nicht nur einen breiten Verfassungskonsens, sondern auch ein hohes Maß an außenpolitischer Übereinstimmung zwischen allen Parteien mit Ausnahme der AfD und der Partei Die Linke. Eine Minderheitsregierung der größten Fraktion, der CDU/CSU, müsste also nicht befürchten, in wichtigen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik ohne eine parlamentarische Mehrheit dazustehen.

In innenpolitischen Fragen wäre eine solche Minderheitsregierung auf wechselnde Mehrheiten, also auf die Unterstützung mal der SPD, mal der FDP und der Grünen angewiesen. Dem Bundestag und seinen Ausschüssen würde auf diese Weise neue Bedeutung zuwachsen. Die Union könnte ihr eigenes Profil wieder schärfen, ihre jeweiligen punktuellen Partner und Kontrahenten ebenfalls. Eine Regierungsbeteiligung von Grünen oder Liberalen wäre nicht von Vorteil, weil sie der jeweils ausgeschlossenen Partei eine teilweise Tolerierung sehr erschweren würde.

Gegen einen festen Tolerierungspakt mit der SPD spricht, dass er beide Seiten fesseln würde: Die Sozialdemokraten könnten sich nicht als innenpolitische Alternative profilieren, die Union würde sich der Chance begeben, Wähler zurückzugewinnen, die im September als Protest gegen die Politik der großen Koalition für die AfD gestimmt haben.

Scheitert der Versuch einer Minderheitsregierung, sind Neuwahlen unumgänglich

Eine Minderheitsregierung, die sich in den Grundfragen der Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik auf die Unterstützung der Sozialdemokraten und der verhinderten Jamaika-Partner verlassen kann und sich diese Bereitschaft vor ihrer Konstituierung zusichern lässt, im Übrigen aber mit wechselnden Mehrheiten regiert, ist ein Experiment. Doch eine Politik nach dem Motto "Keine Experimente", also des "Weiter so", wäre nach Lage der Dinge ein sehr viel gefährlicheres Experiment. Die beiden größten Parteien bedürfen der grundlegenden Erneuerung und vorab der selbstkritischen Aufarbeitung der tieferen Gründe ihres Niedergangs. Darauf kommt es an und nicht auf irgendwelche sozialpolitischen Zugeständnisse, die manche Sozialdemokraten der Union als Preis für eine Regierungsbeteiligung der SPD abfordern möchten.

Das Unbehagen an der großen Koalition, das sich im Wahlergebnis das 24. September niedergeschlagen hat, würde durch eine neue große Koalition nicht überwunden, sondern nur noch gesteigert werden. Eine solche scheinbare Krisenlösung liefe auf eine Krisenverschärfung hinaus. Eine Regierung der wechselnden Mehrheiten verbaut nichts für die Zukunft. Sie würde der Politik keine Freiräume eröffnen. Sie wäre in der gegenwärtigen Situation ein Versuch, im Sinne Willy Brandts mehr Demokratie zu wagen.

Scheitert der Versuch einer Minderheitsregierung, sind Neuwahlen unumgänglich. Käme es so, dürfte man bei manchen Protestwählern auf Lernprozesse hoffen - auf die Einsicht, dass es bei der Stimmabgabe nicht darum geht, Unbehagen zu äußern, sondern darüber zu entscheiden, wer das Land künftig regieren soll.

Neuwahlen aber schon jetzt, also für das Frühjahr 2018, anzustreben ist überaus riskant. Vieles spricht dafür, dass ihr Ergebnis kein wesentlich anderes sein würde als das vom 24. September 2017. Dann stünden erneut Sondierungs- und Koalitionsgespräche mit ungewissem Ausgang an, und aus der Regierungsbildungskrise, mit der wir es zurzeit zu tun haben, könnte eine Systemkrise werden. Das wäre aus innen- wie aus außenpolitischen Gründen fatal. Eines aber ist eine solche Entwicklung ebenso wenig wie eine große Koalition: alternativlos.

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