Griechische Mythologie:Fett verirrt

Die Odyssee, diesmal mit einem Zehnjährigen als Helden, der sich tapfer mit seinen Freunden in diesem Abenteuer schlägt. Das Besondere ist die rhythmische Sprache in modernem Poetry Slam.

Von Siggi Seuss

Wie anstrengend war es im Unterricht von Studienrat Wagner, die persönlichen Verflechtungen in der Odyssee zu begreifen, geschweige denn sie in irgendeiner Form mit dem stinknormalen eigenen Leben zu verknüpfen. War schon das "Who is Who" eine Herausforderung und das "Wer mit Wem", so ließ es sich noch schwerer entscheiden, wo im Hier und Jetzt Skylla und Charybdis drohten, Kirke bezirzte oder der Zyklop sein Unwesen trieb. Hätten wir damals schon gewusst, dass der junge niederländische Schriftsteller Simon van der Geest mit einem 125seitigen poetrygeslamten Rap die Irrfahrten des Odysseus ins Leben eines pubertierenden Knaben namens Dysseus, genannt Düssi, verpflanzt, wir hätten uns mit Freuden seiner unhexametrischen Versform hingegeben, den Studienrat im Hades zwischengelagert und uns heldenhaft den Verlockungen der Sirenen aus der Parallelklasse widersetzt.

"Dass ich der Held hier wäre, / der Held der Geschichte, und wir uns fett verirrten, / ganz weit und frei / und voll Gefahren, einige stürzten unterwegs und alle weinten / außer ich, / und ich, ich sage dann: / Na los, kommt. / Folgt mir und seid mit dabei. - Genau: "Dass ich der Held hier wäre"- der Traum jedes Zehnjährigen, besonders dann, wenn er sich, wie Düssi, gerade in der Schwimmbadtoilette versteckt, auf der Flucht vor diesen breitgrinsenden großen Jungs mit den Goldkettchen. Wie man diese Scheißangst in eine Heldensage umwandelt, das führen uns der Schriftsteller und der Illustrator Jan Jutte vor, mit einer pfiffigen Allianz aus altgriechischer Symbolik und neuzeitlicher Karikatur. Und natürlich Rolf Erdorf, dem man die Schweißarbeit in der lautpoetischen Übersetzung eines schier unendlichen Rap in keiner Zeile anmerkt.

Wir werden hineingezogen in den Strom der Ereignisse, wie der kleine Held selbst. Von der Schwimmbadtoilette zum Bus, der vom Winde in die griechische Mythologie verweht wird. Fett verirrt, also. So landen Düssi und seine neun Kumpel unversehens bei einem vier Meter großen einäugigen Bauern, dem Zyklopen. Und so geht es odysseeisch weiter - Lotosesser, Kirke, Skylla und Charybdis, Aiolos, Sirenen, Laistrygonen, Helios, Poseidon torpedieren in illustren und begreifbaren Gestalten die Reise und dezimieren die Mannschaft. Nach unendlichen Strapazen, die jahrelang gedauert zu haben scheinen, kehrt Düssi nach Hause zurück. Nicht zu Penelope, sondern zu Mutter und Schwester. Und auch nicht als Bettler, sondern als unscheinbarer Straßenköter, der sich anschickt, einem Monsterhund statt einem Haufen Freier den Garaus zu machen.

Düssis Odyssee ist noch lange nicht zu Ende. Ebensowenig wie unsere Freude darüber, endlich wieder mal eine durch und durch lyrische und poetische Erzählung in den Händen zu halten, die die Tücken des kindlichen Heldenlebens so treffend, so gegenwärtig, verständlich und ungemein rhythmisch in Worte fasst. Damit sehen wir - egal, ob jung oder alt - sämtliche Stürme des Alltags in einem neuen Licht. (ab 10 Jahre)

Simon van der Geest: Dysseus. Mit Bildern von Jan Jutte. Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf. Thienemann-Esslinger Verlag, Stuttgart 2017. 125 Seiten, 12,99 Euro.

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