Griechen in Krisenzeiten:"Völker werden rhetorisch in Schützengräben versenkt"

Greeks Demonstrate After Eurozone Debt Deal

Was kommt als Nächstes in Griechenland - Wut? Trotz? Aufgabe? Die Menschen brauchen Hoffnung, sagt der Politik- und Sozialwissenschaftler Ingo Peters.

(Foto: Christopher Furlong/Getty Images)

Merkel ein Hitlerbärtchen malen, sich entmündigt fühlen, auf Neuanfang hoffen: Sozial- und Politikwissenschaftler Ingo Peters erklärt, was die Krise mit dem griechischen Volk macht.

Von Anja Perkuhn

Ohne Deal keine Rettung, mit Deal Entmündigung und Privatisierung: Die griechische Regierung befindet sich faktisch in einem Konflikt - das Volk emotional. Ingo Peters von der FU Berlin, Studiendekan des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt europäische Sicherheit und Konflikte in Europa, über die Gemütslage der griechischen Bevölkerung.

Herr Peters, die öffentliche Debatte über die Krise in Griechenland ...

... das ist gerade ziemlich zum Verzweifeln. Vor allem in der Berichterstattung der Medien liegt so viel Alarmismus. Deutschland und die EU werden da Griechenland und den Verbündeten Italien und Spanien als Gegner gegenüber gestellt - die Völker und Regierungen werden rhetorisch regelrecht in Schützengräben versenkt.

Aktuell hat sich die Stimmung vor allem gegen Deutschland gedreht. Finanzminister Schäuble will die Eurozone seinem Diktat unterwerfen, sagte der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis.

Ja, gerade ist Deutschland wieder in die Schusslinie geraten und Wolfgang Schäuble kriegt die meiste Wut ab. Feindbilder entlasten nun einmal in einer Zeit, in der ein Volk unter Druck steht. Und das dubiose Positionspapier mit dem Grexit auf Zeit von Schäuble war eine Steilvorlage. Allerdings hat sich Deutschland schon in den vergangenen Jahren für viele in Europa zu einem Feindbild entwickelt.

Wann ist das eigentlich genau passiert? Vor ein paar Jahren wünschten sich manche noch mehr Initiative von Deutschland in der Finanzkrise, der polnische Chefdiplomat Sikorski forderte Verantwortung von Berlin ein.

Ich glaube, das ist zu keinem besonderen Zeitpunkt gekippt, sondern war ein Prozess. In der aktuellen Lage war es vielleicht vor allem die Forderung von Ministerpräsident Alexis Tsipras nach Reparationszahlungen von Deutschland für die Morde und die Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges.

Und deshalb kommen wieder die Nationalsozialismus-Anleihen?

Es gab ja schon vorher auf Demonstrationen in Griechenland Plakate zu sehen, die Merkel mit Hitlerbärtchen zeigten. Unsere Historie wird uns immer um die Ohren gehauen, und mit den NS-Opfern aus Griechenland ist für die Forderung von Tsipras ja sogar ein materieller Hintergrund gegeben. Von diesen Analogien können und dürfen wir uns nicht freisprechen, die Politik muss richtig damit umgehen. Meist bietet sich an: verständnisvolles und doch verantwortungsbewusstes Aussitzen.

"Ich würde 1000 Euro für eine funktionierende EU zahlen"

Wie reagieren Menschen, wenn sie wie jetzt die Griechen Krisenzeiten erleben und ja auch nur beobachten können, was in höheren Ebenen entschieden wird - mit Wut? Trotz? Aufgabe?

Wir haben da keinen Präzedenzfall, absolut keine Erfahrung. Alle Vergleiche, die man ziehen könnte, hinken. Die Situation ist ähnlich wie bei den großen Finanzkrisen in Irland oder Portugal, aber eben nur ähnlich. Bisher gibt es ein breites Spektrum an Reaktionen, und neben den Vorwürfen gegen ein Diktat aus Brüssel oder Berlin kommen in den Medien auch selbstkritische Positionen durch, in die Richtung: "Wir müssen unseren Stall hier ausmisten und dann neu anfangen." Bei Tsipras hatten viele ja zunächst durchaus die Hoffnung, dass er einen Neuanfang bringen könnte. Weil er und seine Parteigänger nicht in die traditionelle Klientel-Wirschaft und -Politik verstrickt waren. Die Frage ist aber: Wie schnell kann man ein Land reformieren? Die Griechen müssen ihr Steuerrecht reformieren, ihr Beamtenrecht, ihr Gesundheitssystem - das sind tiefgreifende Strukturveränderungen. Und die armen Leute - da sind sich ja alle einig - bezahlen die Zeche, während die Reichen ihr Geld ins Ausland schaffen.

Kann man die Situation der Menschen mit dem Zustand einer Gesellschaft nach einem Krieg vergleichen? Strukturen sind kaputt, Geld ist keines da, von außen gibt es harte Forderungen wie die nach Massenentlassungen, das Land wird regelrecht entmündigt, der Bevölkerung wird die Würde genommen, der Stolz verletzt...

Man könnte schon auf die Idee kommen, dass es ähnliche Zustände sind wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Man sollte das aber nicht gerade mit einem Krieg vergleichen. Vielleicht eher mit Deutschland 1953, als es dann den Schuldenschnitt für die Nachkriegsschulden gab. Ein Schuldenschnitt für Griechenland würde das Problem mit dem Stolz lösen.

Wenn es dafür nicht bereits zu spät ist.

Richtig. Und: Stolz und Identität eines Volkes darf keiner ungestraft gering schätzen. Respekt ist die Grundlage tragfähiger Zusammenarbeit. Aber das Land müsste trotzdem noch hart an seinen Reformen arbeiten. Und in solch einer Situation sind viele Menschen wie gelähmt.

Helfen da Impulse von außen?

In den vergangenen Dekaden wurde oft über Afrika und Osteuropa gesagt: "Die brauchen einen Marschallplan" (Wirtschafts-Wiederaufbau-Programm der USA für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, Anm. d. Red.). Für einen Wirtschaftsaufschwung braucht es aber weitere Rahmenbedingungen, als nur Geld. Um die Menschen zusammenzubringen, kann man nicht wie Helmut Kohl nur von den blühenden Landschaften reden. Man braucht Hoffnung. Man muss sagen können: "Es wird hart, aber da ist Licht am Ende des Tunnels". Und: "Wir müssen da gemeinsam durch".

Wer sollte das glaubhaft vermitteln?

Vielleicht würde es schon helfen, wenn die gesamte EU ein größeres Gemeinschaftsgefühl vermitteln würde. Auch symbolische Politik kann wichtig sein. Ich las letztens eine Rechnung, nach der jeder Bundesbürger mit 700 Euro für die griechischen Schulden haftet. Und da stellte ich für mich fest: Für eine funktionierende Europäische Union würde ich auch 1000 Euro zahlen. Aber ich bin auch Beamter und kann es mir leisten.

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