Graphic Novel:Stolperstein

Brigitta Behr beschreibt in ihrer Graphic Novel eine jüdische Familie, die während der NS-Zeit in Berlin lebte. Sie erfuhr Gewalt und Hilfe - bis auf die Großmutter gelang es ihr zu fliehen. Das ist sehr authentisch erzählt und schon für Kinder wichtig.

Von Eva-Elisabeth Fischer

Nicht vergessen und sich erinnern - deshalb führt ein markanter Faden durch dieses Buch. "Halte ihn fest, diesen rot-weißen Faden, und mit ihm das Gute in der Welt", steht am Schluss. An das Gute zu glauben, wie auch Anne Frank es tat, das war nicht leicht, auch nicht für Menschen wie Ludwig und Steffy Collm und ihre 1936 geborene Tochter Susi. Ein Stückchen Bindfaden also klemmt in Mauernischen oder lugt über ein Blatt Papier in sämtlichen Illustrationen zur Geschichte der Familie Collm, die es wirklich gegeben hat, Berliner Juden, die vom 12. September 1942 an untergetaucht waren und so der Deportation und dem Bombenhagel über Berlin entgingen, um schließlich mit falschen Papieren an der Ostsee das Kriegsende zu erleben. Großmutter Gertrud Cohn, die gezwungen war, ihren Namen um das verräterische Sara zu ergänzen, wurde in Treblinka ermordet.

Es gibt viele ähnliche Geschichten. Aber es gibt wenige, die in Wort und Bild veranschaulichen, was es heißt, ausgegrenzt und bedroht zu sein, aber auch von anständigen Menschen unter Todesgefahr gerettet zu werden. Die Autorin Birgitta Behr ist Lehrerin an der Cecilienschule am Nikolsburger Platz in Berlin, wo einst auch die Collms und Gertrud Cohn gelebt hatten. Sie hat in einem ungewöhnlichen Buch deren Geschichte erzählt, nachdem ein Stolperstein in den Bürgersteig gegenüber dem Schuleingang gesetzt worden war in Erinnerung an die Ermordung von Susis Großmutter Gertrud Cohn. Behr nannte ihr Buch "Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4 und die Zeit der versteckten Judensterne" und lässt das Haus selbst erzählen.

Die Autorin geht ganz selbstverständlich davon aus, dass Kindern von zehn Jahren an die schreckliche Wahrheit über die Judenverfolgung zumutbar sei. Sie trifft den richtigen Ton und vermeidet trotz eindeutiger Haltung jede Schwarz-Weiß-Malerei und Schuldzuweisungen, zeigt vielmehr die verführerischen Mechanismen einer gut geölten Propagandamaschine auf. Sie grundiert ihre fantastisch bewegten Illustrationen sepiafarben, so dass sie zunächst den Eindruck von vergilbtem Papier aus der Zeit erwecken. Die kühnen Bildausschnitte aber zeugen von einem sehr heutigen grafischen Verständnis.

Man hört ihn förmlich brüllen, den GröFaZ, von dem man in sechs Bildern nur den aufgerissenen Mund unter schwarzem Bärtchen sieht. Pechschwarzgezackt ragen Sprechblasen unter der dicken Zunge hervor, darin in Lettern gedruckt die Nürnberger Gesetze. Aber man sieht auch Dokumentarfotos in die Zeichnungen montiert, zum Beispiel ein Transparent, das an deutsche Arbeiter appelliert, die NSDAP zu wählen. Auf diese Weise fügt sich das Buch zu einer äußerst gelungenen Mischform von Dokumentation, Erzählung und Graphic Novel.

Es ist Susis Vater, der seine verzweifelte Tochter auffordert: Du musst weitererzählen! Es ist auch deine Geschichte. Hier ist nicht das Ende! Nicht aufgeben! Am Ende von Brigitta Behrs Erzählung verbinden sich Zeitgeschichte und Familiengeschichte zu einem prägnanten Bild- und Textglossar der Jahre zwischen 1933 und 1945. (ab 10 Jahre)

Brigitta Behr: Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4 und die Zeit der versteckten Judensterne. Ars Edition, München 2016. 112 Seiten, 12,99 Euro.

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