Graffiti:Sonnengruß

A mural stretched across more than 50 buildings by the artist eL Seed, in the Manshiyat Naser district of Cairo, often associated with squalor.

Nur von oben erkennt man das Graffiti in seiner ganzen psychedelischen Pracht.

(Foto: David Degner/The New York Times)

Der tunesisch-französische Künstler El Seed hat in einem Slum von Kairo ein gigantisches Werk gesprüht: Sein Bild erstreckt sich über mehrere Häuserblöcke und schlägt eine knallbunte Schneise in die Stadt.

Von Sonja Zekri

Manschijet Nasr gehört nicht zu den feinen Vierteln in Kairo. Es gehört, genauer gesagt, zu den Slums. Hier wohnen die Müllsammler, fast alle Christen, die bemerkenswert effektiv den Abfall der Megapolis sammeln, trennen und den biologisch verwertbaren Teil an die Schweine verfüttern. Und genau so riecht es auch.

Neuerdings aber ist Manschijet Nasr Stadtgespräch. Über das endlose graubraune Häusermeer schwappt in einer knallbunten Schneise ein Graffito, blau, weiß, orange, Haus um Haus, ein ganzer Block, von unten nur in Ausschnitten erkennbar, von oben aber, vom Moqattam-Berg, in seiner ganzen psychedelischen Maßlosigkeit.

Der tunesisch-französische Künstler El Seed hat das Werk geschaffen, und dass es so weit kam, verdankt er wohl vor allem einem lokalen koptischen Priester, der das Projekt stützte. Dabei wird es nicht ganz unerheblich gewesen sein, dass El Seeds Farbrausch für Eingeweihte ein Zitat in arabischer Kalligrafie enthält, das, so schreibt El Seed auf seiner Webseite, wiederum einen Satz des koptischen Bischofs Athanasius von Alexandria aus dem 3. Jahrhundert enthält. Entschlüsselt und übersetzt lautet das Graffito: "Wer das Sonnenlicht sehen will, muss sich vorher die Augen wischen."

Nun ist das erst mal ein völlig harmloser Satz. Aber da man nie weiß, wo ägyptische Behörden Provokationen und Gefahren wittern, ist nicht nur die Dimension des Werkes, sondern seine schiere Vollendung bereits eine Sensation. Es ist nämlich so, dass Graffiti auf den Straßen der Stadt zur verfolgten Kunst geworden sind, obwohl oder vielmehr: gerade weil sie in den heißen Jahren der Revolution alles ausdrückten, was im Lande brodelte: Der Hass auf Polizei, Militär, vergangene und aktuelle Diktatoren, Hunger, Willkür, die Sehnsucht nach Schönheit. Eine der berühmtesten Wände der Stadt, die Mauer an der alten Amerikanischen Universität in der Mohammed-Mahmud-Straße am Tahrir-Platz, wird abgerissen: Jahrelang war dies die Arena des Aufstandes - und die Mauer seine Leinwand. Nun ist sie fast zur Hälfte fort, angeblich, um ein Universitätsgebäude abzutragen. Viele Graffiti-Künstler haben aufgegeben, einige sind ausgereist. Die bissigsten, zornigsten, bizarrsten Graffiti wurden übermalt. Die Innenstadt, einst das wilde Herz des Aufruhrs, ist gezähmt, bewacht, kommerzialisiert.

Nimmt man außerdem die Schließung der unabhängigen Townhouse-Galerie hinzu und die Verurteilung des Schriftstellers Ahmed Naji zu zwei Jahren Haft wegen "Pornografie", dann scheint der Erfolg von Manschijet Nasr gleich noch etwas märchenhafter.

El Seed, der schon Graffiti auf Städte in Algerien, Frankreich, Dubai und Brasilien gemalt hat, hat die Arbeit in Ägypten dennoch sehr genossen, ja, es sei eine der "faszinierendsten menschlichen Erfahrungen" gewesen. "Perception", Wahrnehmung, hat er sein Werk in Kairo genannt: Das Müllviertel werde als "schmutzig, abgelegen und isoliert" wahrgenommen, dabei seien die Menschen hier "großzügig, ehrlich und stark". Das größte Zerwürfnis mit den Anwohnern? Dass er nicht mehr Häuser bemalt hat.

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