Google:Papiertiger

Google: Die New York Public Library ist einer der schönsten Orte der Welt, um Bücher zu lesen. Nur durchsuchen kann man sie genauso gut zu Hause - mit Google.

Die New York Public Library ist einer der schönsten Orte der Welt, um Bücher zu lesen. Nur durchsuchen kann man sie genauso gut zu Hause - mit Google.

(Foto: imago)

Der Supreme Court lehnt es ab, sich mit dem Kampf der Autoren gegen Google zu befassen. Bücherscannen bleibt gestattet.

Von Johannes Boie

Zehn Jahre Rechtsstreit, beendet in drei Zeilen: "Unerledigter Fall Nummer 15-849; Authors Guild und andere gegen Google, Inc. Das Gesuch, Akten anzufordern, wird abgelehnt." Der Supreme Court, das höchste amerikanische Gericht, hat es abgelehnt, sich mit der Klage der Autorengilde, der Vereinigung der Schriftsteller, gegen Google zu befassen. Das bedeutet, dass das Urteil eines New Yorker Berufungsgerichtes aus dem Jahr 2015 weiterhin Bestand hat: Google darf sämtliche auf dem amerikanischen Markt erhältliche Bücher digitalisieren. Darunter fallen auch Übersetzungen deutscher Autoren. Google scannte bislang mehr als 20 Millionen Bücher komplett ein. Der Konzern macht dann den Text der Werke mithilfe einer Texterkennungssoftware durchsuchbar.

Googles Gebaren liegt ein rechtliches Prinzip namens "Fair Use" zugrunde. Der recht liberale Teil des amerikanischen Urheberrechts ermöglicht in den USA maßgebliche digitale Innovationen, weil er die Nutzung von Werken auch ohne Erlaubnis der Urheber erlaubt - solange deren ursprüngliches Geschäftsmodell nicht bedroht wird. Der Streit um Google Books ging nun, begleitet von den erbitterten Protesten prominenter Schriftsteller wie Margaret Atwood und J. M. Coetzee, durch zahlreiche Instanzen.

Dabei stellten die Gerichte immer wieder fest, dass Google das Geschäftsmodell der Autoren und Verlage tatsächlich nicht bedrohe. Denn Google digitalisiert zwar ganze Bücher, aber der Konzern veröffentlicht sie nicht vollständig. Ganz im Gegenteil: Google zielt darauf ab, die Bücher auf seiner Seite books.google.com durchsuchbar zu machen. Dabei ist der Volltext eines urheberrechtlich geschützten Werkes nicht abrufbar. Stattdessen zeigt Google einem Nutzer, der ein Buch durchsucht, nur einen kurzen Ausschnitt an. Die Durchsuchbarkeit von Büchern werten amerikanische Gerichte zuverlässig als neue Funktion, um die Google die Gesellschaft tatsächlich bereichere. Das Gesetz, den Wandel der Welt in eine digitale Zukunft anerkennend und unterstützend, spricht in diesem Zusammenhang von "Transformation", die ein Unternehmen leisten müsste. Und bislang lassen sich Bücher eben kaum digital durchsuchen.

Gut möglich, dass Google Books jetzt den Absatz von Büchern ankurbelt

Und noch etwas überzeugte die amerikanischen Richter im Lauf der Jahre: Innerhalb des Google-Books-Bereichs gibt es auf der Google-Webseite keine Werbung. Das bedeutet, Google macht nur insofern Umsatz mit den Werken, als sich ganz grundsätzlich das Angebot von Google an die Nutzer erhöht und verbessert. Nach Auffassung amerikanischer Gerichte erfüllt Google deshalb die Kriterien für Fair Use. Der Konzern darf also von dieser Regelung Gebrauch machen. Google darf ohne Einverständnis der Urheber so mit Büchern verfahren, wie der Konzern das heute schon macht. Dabei, so stellte es das New Yorker Berufungsgericht fest, sei für Google kein anderer Maßstab als für andere Unternehmen anzulegen, die von Fair Use Gebrauch machten: "Wir sehen keinen Grund, warum Googles grundsätzliches Interesse an Profit ein Grund sein sollte, kein Fair Use anzuerkennen", sagte der Richter.

Ausgangspunkt der nun in letzter Instanz erledigten Klage war obskurerweise eine Einigung zwischen der Autorenvertretung "Authors Guild", der Verlegervereinigung "Association of American Publishers" und Google. Das als "Google Book Search Settlement Agreement" bekannt gewordene Dokument galt 2008 nach jahrelangem Streit zwischen Rechteinhabern und Google als erster Lösungsversuch. Die Regelung war äußerst komplex. Sie sah zum Beispiel vor, dass Google an die Rechteinhaber weit mehr als 100 Millionen Dollar zahlen sollte, außerdem war die Rede von einer zu gründenden Verwertungsgesellschaft. Zahlreiche Sonderrechte verkomplizierten den Vorschlag, der im Jahr 2011 von einem Gericht verworfen wurde.

Dass der Supreme Court jetzt einen Schlussstrich unter die Sache gezogen hat, ist für Google erfreulich, die Reaktionen der Rechteinhaber muss man abwarten. Nachdem ihnen der Rechtsweg nun versperrt ist, könnte der Druck von Lobbys in Washington auf eine Neugestaltung des Urheberrechtes wachsen. Gut möglich aber auch, dass die Sache einschläft, falls die Rechteinhaber feststellen können, dass Google Books zu ihrem Absatz beiträgt. Unwahrscheinlich ist das nicht, schließlich macht die Buchsuche Nutzer auf Bücher aufmerksam, in denen sie Antworten auf ihre Fragen finden. Wer will, kann das entsprechende Buch mit einem Klick kaufen - und zwar bei einem Buchhändler.

Urheberrechtsexperten sehen in dem Richterspruch einen Vorteil für den Wirtschafts- und den Kulturstandort USA, der in Sachen digitale Transformation Europa ohnehin weit enteilt ist. So wird Google Books häufig von Wissenschaftlern verwendet, die nun bei ihren Suchen nach Stichworten vor allem mit amerikanischer Literatur konfrontiert werden. Zeitgenössische deutsche Bücher lassen sich mit Google Books nur in Ausnahmefällen durchsuchen, sie verlieren deshalb hinsichtlich ihrer Reichweite und Zugänglichkeit.

Denn in Europa ist die Rechtslage eine ganz andere. Hier digitalisiert Google zwar ebenfalls Bücher - und wie in den USA geschieht dies in Kooperation mit Bibliotheken. Doch bleiben die Bestände, die zur Digitalisierung freigegeben sind, auf jene Werke beschränkt, deren urheberrechtlicher Schutz erloschen ist. Das ist, von Sonderregelungen für anonym verfasste Werke abgesehen, dann der Fall, wenn ein Autor seit mehr als 70 Jahren tot ist.

Eine digitale Kopie aller Bücher geht zur freien Verwendung auch an die Bibliotheken

Die Bayerische Staatsbibliothek zum Beispiel geht auf Nummer sicher und hat Google in den vergangenen Jahren nur Bücher aus dem Zeitraum vom 17. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts digitalisieren lassen, immerhin circa eine Million Werke. Am Münchner Hauptsitz und in der nachgeordneten Bibliothek in Regensburg ist das Projekt vorerst abgeschlossen, am ebenfalls nachgeordneten Standort Augsburg sind Google-Mitarbeiter noch zugange, um weitere Bücher an einen geheimen Ort zu bringen, wo sie mit Google-Technik innerhalb weniger Tage digitalisiert werden, ehe sie in die Bibliothek zurückgebracht werden.

Auch in Zukunft sollen die Google-Mitarbeiter regelmäßig an allen drei Standorten vorbeischauen, um jene Bücher zu digitalisieren, deren urheberrechtlicher Schutz zwischenzeitlich abgelaufen ist. Die Bayern legen wie auch eine Reihe von anderen europäischen Bibliotheken großen Wert darauf, dass Google ihnen digitale Kopien ihrer eigenen Werke überlässt, über die sie nach Belieben verfügen können. In aller Regel bedeutet das, dass die Bücher in ein eigenes digitales Angebot der Bibliotheken einfließen, oft auch in das Portal Europeana. So haben die europäischen Portale die Inhalte für sich gesichert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: