Google ehrt Juan Gris mit Kubismus-Doodle:Schere, Stein, Papier

Wahrheit hinter der Wirklichkeit, Sinn durch Abstraktion: Die Klassische Moderne zählt mit ihren mannigfaltigen Entwicklungen zu einer nie mehr da gewesenen Epoche der Pluralität in der Kunst. Während Kandinsky und Marc abstrahierten, zerlegten Picasso und Braque die Welt in Würfel. Auch Juan Gris war einer der stilprägenden Künstler dieser Zeit. Heute vor 125 Jahren wurde er in Madrid geboren.

Christopher Pramstaller

Dada und Surrealismus, Suprematismus und Blauer Reiter, Expressionismus und Neue Sachlichkeit - die Zeit zwischen 1900 und 1939 ist nicht nur in politischer Hinsicht eine sehr bewegte Epoche. Auch kunsthistorisch sind diese Jahre beispiellos.

Juan Gris

Juan Gris (1887 - 1927), der zum 125. Geburstag mit einem Google Doodle geehrt wird, auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1922.

(Foto: Getty Images)

Während Pablo Picasso und Georges Braque in Frankreich mit ihren kubistischen Bildern die Welt in alle möglichen Perspektiven zerlegten, suchten Wassily Kandinsky und seine Künstlerfreunde im "Blauen Reiter" einen Weg in die Expression. Im Züricher Cabaret Voltaire proklamierten Hans Arp und Tristan Tzara die neue Freiheit in dadaistischer Form und Anti-Kunst, in Weimar war Walter Gropius an der Emanzipation der Kunst von der Industrialisierung gelegen - er begründete das Bauhaus.

Das 19. Jahrhundert kannte den Stilpluralismus, der sich auf die vergangenen Kunstrichtungen besann und sie alle gleichzeitig wieder aufleben lässt. Im 20. Jahrhundert glich die neue Vielfalt der Kunststile einer Eruption, die alles bisher Dagewesene revolutionierte.

Auch Juan Gris, am 23. März 1887 in Madrid geboren, gehört zu den Künstlern dieser Ära und ist neben Pablo Picasso und Georges Braque einer der Hauptvertreter des synthetischen Kubismus, der mit seinen papier collés als Grundlage aller nachfolgenden Collage-Techniken bis hin zum Ready-made zu sehen ist.

Zeitungspapier, Tapeten, Scherben - Gris' Integration verschiedenster Materialien in seine Werke ließ die Grenzen der klassischen Malerei verschwimmen, ähnlich wie es bei Kurt Schwitters in Deutschland geschah. Der Google Doodle, mit dem am heutigen Freitag dem 125. Geburtstag des Künstlers gedacht wird, trägt dieser künstlerischen Ausrichtung Rechnung. Kaum zu erkennen ist der Schriftzug, zerteilt in einzelne Bruchstücke, auseinandergerissen und wieder zusammengefügt. Die Gitarre als Leitthema.

Picasso als Ateliernachbar

Gris war ein früh entdecktes Talent - und doch dauerte es, bis er mit dem Kubismus jenen Stil finden sollte, der ihn nachhaltig in Erinnerung hält. Schon in Kindestagen unterrichtete ihn sein Onkel in den verschiedenen Mal-Techniken. Mit 15 Jahren, 1902, begann er sein Studium an der Kunsthochschule "Escuela de Artes y Manufacturas" in Madrid, ehe er 1904 eine Künstlerausbildung bei seinem Freund José Moreno Carbonero antrat, der später Lehrer von Salvador Dalí werden sollte. Stilistisch orientierte sich Gris zu dieser Zeit noch am Jugendstil, der mit den floralen Mustern des Fin de siècle seinen Einfluss ausübte.

1906 nach Paris gekommen, lernte er Pablo Picasso kennen und widmete sich schon kurze Zeit später, von dessen Studien angeregt, den Ideen des Kubismus. Gris lebte seit 1908 im Bateau-Lavoir, Picasso war sein Ateliernachbar.

Auf diese Anfänge zurückblickend schrieb Gris, der stets bemüht war, sein Werk auch auf theoretischer Ebene zugänglich zu machen in einem 1925 veröffentlichten Aufsatz Chez les cubistes im Bulletin de la Vie Artistique: "Der Kubismus? [...] Heute bin ich mir klar darüber, dass der Kubismus an seinem Anfang nichts war als eine neue Art, die Welt wiederzugeben [...] Ich meine, dass der Kubismus zu Beginn eine Analyse war, die nicht mehr mit Malerei zu tun hatte als die Beschreibung physikalischer Phänomene mit Physik. Aber jetzt, da allen Elementen der sogenannten kubistischen Ästhetik durch die malerische Technik ein Maß gegeben ist , [...] kann man ihm diesen Vorwurf nicht mehr machen. Wenn das, was man Kubismus nannte, nur ein bestimmter Aspekt war, so ist der Kubismus verschwunden, wenn er eine Ästhetik ist, so hat er sich mit der Malerei vereinigt."

Violon et guitare ersteigert 21,7 Millionen Euro

Doch nicht nur in der Malerei hatte Gris eine künstlerische Heimat. Nachdem der synthetische Kubismus seine Hochphase in den Jahren von 1912 bis 1914 hatte und jäh vom Beginn des Ersten Weltkriegs beendet wurde - viele der Künstler wurden zum Kriegsdienst einberufen - begann Gris mit der Arbeit an der Skulptur. Für das Theater schuf er Kostüme und Dekorationen, so beispielsweise für Sergej Djagilews Ballets Russes oder Charles Gounods Oper La Colombe. Darüber hinaus war er ein gefragter Buchillustrator. Doch sein Schaffensdrang kam zu einem jähen Ende: 1925 erkrankte der Künstler und am 11. Mai 1927 verstarb er erst vierzigjährig in Paris, an einer Harnvergiftung als Resultat einer Nierenschwäche.

Einige seiner Werke wurden postum auf der documenta 1 (1955), der documenta II (1959) und der documenta III im Jahr 1964 in Kassel gezeigt, bei Kunstauktionen erreichen sie Höchstpreise. Bei einer Christie's-Versteigerung am 3. November 2010 erreichte das Bild Violon et guitare von 1913, das zu einer der poetischsten kubistischen Kompositionen gehört, einen Verkaufswert von 21,7 Millionen Euro. In zahlreichen der wichtigsten Kunstmuseen, darunter das Museum of Modern Art oder die Tate Galerie, sind seine Werke vertreten.

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