Golden Globes:Eine Party feiern und gleichzeitig Buße tun

75th Annual Golden Globe Awards After Parties

Eine optische Lösung für das erste Großprojekt des Jahres in Sachen selbstkritischer Selbstfeier lautete: Farbverzicht.

(Foto: AFP)

Die Golden Globes nach #MeToo waren wichtig für die Frauenbewegung. Das lag nicht an den notwendigen, aber braven Statements der Stars, sondern an den Entscheidungen der Jury.

Von David Steinitz

Beginnen wir am besten mit dem Koch. Der Italiener Alberico Nunziata ist der Küchenchef des Hilton-Hotels in Beverly Hills, wo traditionell die Golden-Globe-Verleihung im Rahmen eines Gala-Dinners stattfindet. Schon vor der Veranstaltung erklärte er der Zeitschrift Vogue, wie das so sei mit den Hollywood-Stars und dem Essen. Da fielen die Stichworte "bio" und "glutenfrei", und natürlich ging es auch um das alte Hollywoodkoch-Dilemma, dass die Stars zwar ein opulentes Festmahl aufgetischt bekommen wollten, aber leider fast alle auf Diät seien.

Signore Nunziata löste das Problem am Sonntagabend mit chilenischem Wolfsbarsch, Babyrüben und Zucchini als Hauptspeise. Er brachte mit seinem kulinarischen Spagat zwischen Schlemmen und Fasten das Problem der 75. Golden-Globe-Feier schön auf den Punkt: Wie feiert man eine Party und tut gleichzeitig Buße?

Die Golden Globes werden seit 1944 vom Verband der Auslandspresse in Hollywood verliehen. Sie sind der Startschuss des jährlichen Preisverleihungsmarathons durch ein Quartal, in dem sich die Branche auf etlichen Veranstaltungen selbst feiert, bis die Dauerparty mit der Oscar-Verleihung ihren Höhepunkt hat. Wie aber feiert man sich selbst, wenn die eigene Branche gerade die massivsten Erschütterungen seit ihrer Gründung Anfang des 20. Jahrhunderts erlebt?

Die Sache mit der Selbstbeweihräucherung ist noch mal deutlich komplizierter geworden

Schon die Diversitätsdebatten der letzten Jahre, beispielsweise um zu wenige Frauen oder schwarze Filmemacher unter den Nominierten, hatten die Galas aus ihrem selbstzufriedenen Glamour gerissen. Die Entwicklungen seit den Berichten über sexuelle Übergriffe des Produzenten Harvey Weinstein (dessen rauschende After-Show-Partys nach den Globes und nach den Oscars übrigens immer heiß begehrt gewesen sein sollen) haben die Sache mit der Selbstbeweihräucherung noch mal deutlich komplizierter gemacht.

Eine optische Lösung für das erste Großprojekt des Jahres in Sachen selbstkritischer Selbstfeier lautete deshalb: Farbverzicht. Vor der offiziellen Zeremonie, bei der die Stars sich um runde Tische mit Champagnerkübeln in der Mitte scharen wie Eltern beim Abi-Ball, schritten die meisten Künstlerinnen in Schwarz über den roten Teppich. Meryl Streep, Reese Witherspoon, Alicia Vikander, Gal Gadot und viele andere wollten sich durch ein Farbsignal mit der "Me Too"-Bewegung solidarisieren und ein Zeichen gegen Machtmissbrauch nicht nur in der Filmindustrie setzen. Auch ein paar Männer machten mit und verzichteten aufs klassische weiße Hemd wie der "Game of Thrones"-Star Kit Harington.

Der Moderator Seth Meyers begrüßte die Gäste dann mit dem Spruch "Ladys und verbliebene Gentlemen" und gab damit den Startschuss für diverse Debattenbeiträge zum Thema Frauenrechte. Es äußerten sich zum Beispiel Natalie Portman und Oprah Winfrey. Letztere wurde für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sie sagte in ihrer Dankesrede: "Zu lang wurden Frauen nicht angehört oder ihnen wurde nicht geglaubt, wenn sie den Mut hatten, gegen die Macht von Männern aufzubegehren. Aber deren Tage sind gezählt!"

Viel spannender als die notwendigen, aber eher erwartbaren und braven Statements der Stars waren in Sachen Frauenbewegung aber die Preise, die an diesem Abend verliehen wurden. Ausgezeichnet wurden diverse Werke, in denen Frauen eben nicht zu Sidekicks degradiert werden, wie es in Hollywood ein Jahrhundert lang üblich war, sondern in denen sie die Hauptrolle spielen. Allen voran ist hier der Film "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" zu nennen, der mit vier Golden Globes die meisten Preise gewann: bestes Drama, beste Hauptdarstellerin (Frances McDormand), bester Nebendarsteller (Sam Rockwell) und bestes Drehbuch (Martin McDonagh). In dem Film geht es um eine Mutter, deren Tochter vergewaltigt und ermordet wird, und die der Provinzpolizei in ihrer kleinen Heimatstadt vorwirft, den Fall nicht aufklären zu wollen. Also mietet sie drei große Werbetafeln vor der Stadt und klagt die Polizei darauf in großen Lettern an: "Vergewaltigt, während sie starb, und immer noch keine Verhaftungen? Wie kann das sein, Sheriff Willoughby?"

Film- und Serienideen mit weiblichen Protagonisten landeten früher regelmäßig im Papierkorb

Eine Geschichte über Macht und Ohnmacht, zärtlich, tragisch, manchmal auch tragikomisch erzählt, und einer dieser seltenen Filme, die zwischen den standardisierten Superhelden und Trickfilmen mal wieder daran erinnern, wie groß und mächtig und überwältigend das Kino als Kunstform sein kann, wenn die richtigen Leute am Werk sind. Am 25. Januar kommt der Film in die deutschen Kinos. Auch im TV-Bereich wurden mit den Serien "Big Little Lies" über Mütter in einer intriganten Kleinstadt und "The Handmaid's Tale" nach dem Roman von Margaret Atwood Geschichten mit Frauen in den Hauptrollen ausgezeichnet. Das mag im Jahr 2018 vielleicht nicht unbedingt nach breaking news klingen; aber allein dass diese Werke produziert werden konnten, ist eine sehr junge Entwicklung. Film- und Serienideen mit weiblichen Protagonisten landeten bei Studios und Fernsehsendern bis vor kurzer Zeit regelmäßig im Papierkorb. Dass nun gerade diese Werke Preise bekommen haben, ist ein schönes Zeichen für die Zukunft. Wenngleich man dazusagen muss, dass der aktuelle Filmjahrgang unabhängig vom Geschlecht seiner Protagonisten ein sehr starker war und die Journalistenjury in fast jeder Kategorie vor absoluten Luxusentscheidungen stand.

Das galt auch für die Wahl des besten fremdsprachigen Films, in der der Hamburger Regisseur Fatih Akin für sein Drama "Aus dem Nichts" ausgezeichnet wurde. Die Konkurrenz war stark, besonders der Kunstmarktsatire "The Square" aus Schweden wurden zuvor ebenfalls große Siegchancen prognostiziert. Dass Akin mit seiner fiktiven Verarbeitung der NSU-Morde nun in den USA ausgezeichnet wurde, ist aber gut nachvollziehbar.

In Europa war der Film seit seiner Premiere in Cannes kontrovers diskutiert worden. Es geht um eine Mutter (Diane Kruger), deren türkischstämmiger Mann sowie der gemeinsame Sohn bei einem Bombenanschlag von Rechtsradikalen ums Leben kommen. Die Polizei, das Gericht, überhaupt der ganze Staatsapparat verlieren sich in den Wirren der Bürokratie, deshalb sinnt sie selbst auf Rache. Akin erzählt diese Geschichte mit einer Konsequenz und Härte zu Ende, die ihre Tradition weniger im europäischen als im amerikanischen Kino hat. Zu dessen wichtigsten Grundmotiven gehörte schon immer der Kampf des Individuums gegen Fremdbestimmung. Und auch unabhängig davon, ob man den Film nun mag oder nicht, hat er einen Pulsschlag und eine Intensität, die selten geworden sind im deutschen Kino. Das nächste Ziel lautet nun: Oscars. Auf die Shortlist hat es "Aus dem Nichts" schon geschafft, am 23. Januar werden die finalen Nominierungen für die Verleihung am 4. März bekannt gegeben.

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