Götz George:Schatzl

Der große Schauspieler und sein Leben als Heißsporn. Atemlos ist er nicht. Er hat nur verdammt viel Luft. Ein Besuch.

Christopher Keil

Es ist noch einmal mild geworden in Berlin. Autofahrer haben die Fensterscheiben geöffnet. Aus Zehlendorf steuert ein Mann auf dem Fahrrad nach Friedenau. Sonnenbrille, schwarzer Lederrucksack, ein Trikot mit roten, gelben, blauen Tupfern.

Später, im Salon seiner Agentin Ute Nicolai, sitzt Götz George immer noch in Renntrikotage auf einem schwarzen Ledersofa. Er trägt: Shorts, Shirt, Rennradschuhe. Die Handschuhe hat er abgelegt. Er wird in den nächsten zwei Stunden Cappuccino trinken, Käse schneiden und sich Wasser einschenken.

Nach einer Weile sehen die Hände aus wie Theaterpuppen in einem improvisierten Stück. Wie sie das Messer führen, die Tasse balancieren, das Glas heben und gefaltet in seinem Schoß ruhen. Meistens ruhen sie, aber man denkt: Der Mann ist sein eigenes Theater. Er spricht in unterschiedlichen Dialekten über unterschiedliche Zeiten. Vor allem denkt man: Wie jung Götz George immer noch wirkt. Selbst aus einem Meter Entfernung. Wie alt ist er? 67.

Seit einem halben Jahrhundert ist Götz George Schauspieler. Und wahrscheinlich, mit seinen Dramen und seinen Erfolgen, der deutsche Schauspieler.

Vor ein paar Jahren bekam er wieder einen Preis. Auf der Feier lernte er den Theater- und Filmregisseur Leander Haußmann kennen. Sie haben geredet. "Zu Hause", sagt George, "hatte ick plötzlich ,Leander Haußmann' auf meinem Pott stehen."

Und Haußmann, der ebenfalls geehrt worden war: ,Götz George'. Haußmann rief an. Sie vereinbarten den Tausch der Trophäen für den Fall, dass sie einmal zusammen arbeiten.

Das erzählt Götz George jetzt atemlos. Wenn ihn etwas rührt oder wenn er sich ärgert, verändert sich seine Aussprache. Ick! Wat? Det! Er wurde in Berlin geboren, er hat dort erstmals gespielt: 1949 auf der Bühne des Hebbeltheaters. Er war elf. Das Stück hieß "Mein Herz ist im Hochland".

Schatzl

Hochland ist mittlerweile Sardinien, wo sich George zwischen seinen Engagements Ruhe antrainiert. Wo er morgens Sardinien riecht und abends beobachtet, wie sich der Horizont in der Dunkelheit auflöst. Doch man braucht ihn bloß ein wenig mit dem Thema "Deutsche aus Ost und West" zu beschäftigen, und schon riecht er Deutschland, und es entsteht so eine Berlin-Monolog-Situation.

"Ich bin gnadenlos ehrlich"

Das ist so bei Götz George. Er ist bereit, über alles zu sprechen. Sofort. Er sagt: "Ich bin gnadenlos ehrlich." Er ist auch gnadenlos schnell. Man gibt ihm ein Stichwort, und im selben Augenblick öffnen sich Gefühlspforten zu Gedankenräumen.

Es ist dann wie Fernsehen. Man zappt sich durch die Programme. In den George-Programmen sind beispielsweise der kolossale Vater Heinrich enthalten, die humorvolle Mutter Berta Drews und seine ehemalige Freundin, die ihn in niederträchtige Schlagzeilen des Boulevards brachte. Außerdem kommen vor: "Schimanski", "Schtonk", "Rossini" sowie Hauptrollen als Massenmörder Haarmann, KZ-Arzt Mengele und als Alzheimer-kranker Vater.

Der Berlin-Monolog: "Ich habe Berlin nie verlassen, habe alles mitbekommen, den 17. Juni, den Mauerbau. Ganz viele Kollegen haben nach dem Mauerbau alles verkauft und sind weg. Die sagten, man verliere nicht nur die Existenz, sondern werde einbezogen in ein System, in dem man nicht bleiben kann. Diese Stadt hat mich nie fest engagiert, trotzdem bin ich ihr treu geblieben."

Es folgen Schilderungen aus dem deutsch-deutschen Grenzverkehr, "tausend Vopos", die ihn vorgeführt haben bei seinen tausend Fahrten von West-Berlin nach Köln und Duisburg. Als Tatort-Kommissar Horst Schimanski ließ er sich von niemandem vorführen, jedenfalls nicht ungestraft.

Auf einmal geht es um Ossis und Wessis. Solidarzuschlag, Steuerlast und Wirtschaftskraft. George stellt fest, dass die Wessis die Ossis überschwemmen, dass der Stärkere das Sagen habe. So sei das auch auf Sardinien: "Sardinien ist eine archaische Insel. Seit ein paar Jahren haben Römer und Mailänder sie entdeckt, und jetzt ist das ihre Insel. Und da hat der Sarde, der eigentlich still und bescheiden und ruhig ist, nichts mehr zu sagen. Die anderen haben alles gekauft, und der Sarde wird an die Seite gedrängt. Und das passiert hier auch."

Ständiger Transit

Hier in Gesamtdeutschland. Und hier auf Sardinien, wo er unter Sarden bleibt und ein paar Leuten, bei denen er sein "Italienisch nicht strapazieren muss".

Er lebt im ständigen Transit: "Du darfst nicht mehr mit Gepäck reisen. Überall Zahnbürsten, das muss der Luxus sein. Das ist der Ehrgeiz." Er besitzt eine Villa in Berlin. Er hat eine Wohnung in Hamburg, weil Marika, seine Partnerin, aus Hamburg stammt. Und in Sardinien steht das Haus auf einem Hügel überm Meer: "Nischt Großes", sagt er. Groß genug, um damit Glück zu verbinden.

Wenn man das erste Mal vor so einer Gesprächswendung steht, die direkt vom Mauerbau nach Sardinien und zurück in die geteilte deutsche Gesellschaft findet, ist man erstaunt. Und geschafft. Man lernt, dass Götz George ein geselliger Mensch ist, der die Menschen allerdings fürchtet. Der sich nicht verstellt, der nie falsch verstanden werden und respektiert werden möchte. Wobei es so ist, dass seine gnadenlose Ehrlichkeit manchmal zu Liebesentzug führt. Was ihn dann wiederum jedes Mal umhaut.

Der starke Mann ist verletzlich, allerdings stark genug, um das zu erkennen. Über sich sagt er: "Ich bin ein Heißsporn." Über seine Lebensgefährtin sagt er: "Sie ist mein Mediator. Das sind die Frauen eben."

Quälerei

So ist Marika Ulrich. Beim Drehen ist George der Erste, der kommt und der Letzte, der geht. Er mischt sich ein. Er ist kompliziert. Er kann übertrieben genau sein, und das allerdings auch, weil er seinem Ensemble so viel Spielkunst anzubieten hat. Wenn er die Qual der Wahl hat, eine Figur auszufüllen, müssen sich die anderen mitquälen.

Er verlangt viel, weil er viel gibt. Er verlangt, dass man genau weiß, warum er welche Figur in welchem Projekt übernommen hat.

In diesem Jahr haben Leander Haußmann und Götz George zusammengearbeitet. Haußmann hat "Kabale und Liebe" fürs Fernsehen inszeniert. Haußmann, der "Verrückte", sagt George: der Verrückte. Ihre Preise haben sie noch nicht gewechselt. "Das machen wir opulent. Da kannste nicht mal eben sagen: So, hier haste deinen Preis. Nee, nee. Das muss schon einen würdigen Rahmen haben."

Wenn sie sich in Hamburg treffen, werden sie zu Paulino gehen, einem Sarden, der italienisch kocht am Alsterufer. Sie werden deutschen Fisch essen und sardischen Wein trinken, und Paulino wird dabei sein und bei seinen letzten beiden Gästen aushalten. George ist als Gast und Gastgeber mindestens so belastbar wie als Radfahrer.

Schatzl

"Kabale und Liebe" ist ein schöner Film für eine Kulturkanal-Minderheit. George hat drei besondere Wörter: Redlichkeit, Ernsthaftigkeit, Qualität. Alle drei beschreiben seine Begeisterung über die 23 Drehtage mit Haußmann. Er kann sich sehr begeistern, nicht nur für sich selbst.

Man täuscht sich im Übrigen: Er ist nicht atemlos. Er hat nur sehr viel Luft. Für sehr viele Worte. Und er hat viele Erinnerungen. Die besten an seine Mutter, die einmal sagte: "Deine große Qualität ist deine Sensibilität."

Und immer noch fühlt er mit dieser Sensibilität kindliche Freude, Trauer, Verzweiflung und Unsicherheit. Es ist, als hätten die Jahre seinen Gefühlen nichts anhaben können.

Unser Mann für alle Genres

Im Salon seiner Agentin Nicolai hängt ein altes Filmplakat: "Unser Mann aus Istanbul". Das war George nie. Er war unser Mann für alle Genres, für Komödie und Tragödie, Krimi und Heimatfilm, verfilmtes Theater und Psychothriller.

Hinter weißen Gardinen zittert Efeu im Mittagswind. Ute Nicolai liest alle Drehbücher, die Götz George bekommen soll, sie verhandelt seine Gage. Zweimal bringt sie Cappuccino und Tee. Er sagt: "Danke Schätzlchen". Schätzlchen oder Schatzl sind alle, die er sehr mag.

Der Produzent Nico Hofmann ist Schatzl, und deswegen hat sich George von ihm zu einer Nebenrolle in einer Afrikaschnulze überreden lassen. Die österreichische Kollegin Christiane Hörbiger ist Schätzlchen, weshalb er sich mit ihr an einer zweiteiligen Altersromanze beteiligte.

Die Quoten stimmten, und er hat seine Aufgaben mit Routine und Klasse bewältigt. Wenn es stimmt, dass man große Schauspieler daran erkennt, dass sie auch in schlechteren Filmen gut sind, ist George einer von ihnen.

Das würde er einerseits sehr gerne hören, andererseits würde er sofort widersprechen. Wieso schlechte Filme? Nee, nee. Er würde ausführlich Auftrag und Umstände schildern. Er fühlt sich für jeden seiner Filme verantwortlich. Schließlich würde er aber denen, denen er vertraut, genau so ausführlich die Schwächen der schlechten Filme aufzählen.

Er hat als junger Mann in Göttingen und München Theater gespielt und war 18 Jahre auf Tour: "mit Klassikern, gewaltigen Stücken", sagt er. Natürlich. Er hat Kino gemacht, vermutlich nicht so, wie er sich das vorstellte. Das linke Autorenkino der Siebziger ließ ihn links liegen.

Für die Autorenfilmer war er "der Karl-May-Darsteller". Doch 1977 spielte er den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß in der Nazi-Milieustudie "Aus einem deutschen Leben". Und er spielte grandios. Dann kamen die Achtziger, und es kamen das Fernsehen und "Schimanski".

Horst Schimanski, dieser Sozi-Bulle mit Herz und Faust. So fand Götz George im Fernsehen das Medium, das ihn dauerhaft beschäftigte, obwohl es ihm bis heute auch fremd ist. Es brachte ihm Popularität, Unabhängigkeit, und mit der Popularität wuchsen Neugierde und Neid.

Privates wurde öffentlich. Er führte Prozesse gegen den "Abschreibejournalismus ohne Recherche". Er flüchtete nach Italien. Er gewann Prozesse und sehr spät ein paar Einsichten. Die wichtigste heißt: Selbstschutz.

Er will nichts mehr an sich heranlassen. Nichts mehr, das ihn kränken könnte, und das wäre wohl eine Menge. Kritiken liest er nicht mehr. Die freundlichen schiebt man ihm unter die Tür. Er sagt, dass er ein "naiver, völlig verspielter Typ war, der immer für jünger gehalten wurde".

Er zitiert Picasso: "Ich habe mein ganzes Leben gebraucht, um naiv zu werden." George hat ein Leben gebraucht, um sich Naivität zu bewahren. Er nennt das: "Ich muss mir treu bleiben."

Treue ist sein viertes besonderes Wort.

Nun sitzt er also meist auf einem Hügel in Sardinien. Er braucht zehn Stunden Schlaf und mindestens zwei Stunden Bewegung am Tag. Konsequenterweise führt er ein Leben in ständiger Bewegung zwischen drei Orten.

Für ihn ist das "ein tolles Leben". Er denkt, dass er seinen Beruf "zur Neige ausgeschöpft" habe. Dass ihm nichts fehle. Dass er sich nichts mehr zu beweisen brauche: "Ich muss nur schauen, dass ich in den paar Jahren, die mir noch bleiben, so etwas wie ein Glücksgefühl hinbekomme. Das wird ja oft durch so eine extreme Arbeitssituation völlig weggefackelt."

Die Jahre, die ihm bleiben. Auf Sardinien hat er kein Telefon. Man muss in der Dorfkneipe Nachrichten für ihn hinterlassen. Er hat sich zur Einsamkeit erzogen. Vier, fünf Filme dreht er im Jahr, 2005 bislang: "Maria an Callas" (Kino), "Später Sommer", "Kabale und Liebe". Er sagt: "Der Motor muss laufen. Wenn du zu lange Pausen machst, wirst du unsicher. Ich muss regelmäßig antreten können. Ich muss meine Kostümprobe haben, die Gespräche mit dem Regisseur, ich muss das Buch bearbeiten. Wenn das mal absackt: Oh Gott."

Götz George ist Schauspieler. Angst hat er nicht vor dem Tod. Angst hat er nur davor, nicht mehr arbeiten zu können, "das gehört so zu meinem Leben."Über das Sterben sagt er: "Wenn de weg bist, biste weg." Über sich sagt er: "Ich bin lockerer geworden."

Und deshalb ist er bereit, auch die Angebote anzunehmen, die er vor fünf Jahren ausgeschlagen hätte: "Damit der Motor geschmiert und leistungsfähig bleibt. Vielleicht geniere ich mich dann", sagt er, "aber ihr dürft mich nicht verurteilen, weil alle wissen doch, dass ich es nicht mehr aus finanziellen Gründen mache, sondern mir zuliebe."

Trotzdem hat er neulich die Branche irritiert. Er ist manches Mal wehleidig, feige ist er nicht. Er warf den öffentlich-rechtlichen Sendern vor, als anspruchsvolle Alternative zu den Privaten zu versagen. Das stimmt. Es stimmt gleichzeitig, dass es gute öffentlich-rechtliche Angebote gibt. Auch Filme. Auch Filme mit Götz George.

Ein paar Apparatschiks haben nicht begriffen, dass beides geht: zu kritisieren und in öffentlich-rechtlichen Filmen zu spielen. Es schließt sich ja im Übrigen bei George nicht aus, dass er einerseits Publikum und Anerkennung sucht, andererseits, wie er selbst sagt, "bis zur Selbstauflösung verformt" auf Filmfesten und Pressekonferenzen leidet, wo er seine Gegner aus dem Klatschspalten-Journalismus vermutet.

Jedenfalls hat der Westdeutsche Rundfunk ganz schnell die nächste "Schimanski"-Produktion stoppen lassen. Der Stoff sei noch nicht weit genug entwickelt. Armer WDR!

Da passt es gut, dass die viel dekorierte Serie "Schimanski" demnächst wieder ausgezeichnet wird. "Das ist schon bekloppt", sagt George, "da kriegste so'n Preis in dem Moment, in dem der ,Schimanski' vielleicht in den Orkus fährt."

Götz George fährt erst einmal nach Zehlendorf zurück. Ute Nicolai schließt die Tür. Bald wird ein Mann nach Olbia fliegen, und er wird dort auf seine nächste Kostümprobe warten.

Die Verfilmung von "Kabale und Liebe" mit Götz George wird am 3.Oktober um 20.15 Uhr in 3sat ausgestrahlt, am 9.Oktober im ZDF wiederholt (22 Uhr).

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