Goethe-Institut im Exil:Fremde Heimat

Lesezeit: 3 min

Das Goethe-Institut ist für deutsche Kultur im Ausland zuständig, eigentlich. Doch in Damaskus musste es schließen. Auch deshalb gibt es nun erstmals ein Projekt des Institutes in Berlin - für Flüchtlinge.

Von Sonja Zekri

Vier Jahre nach der Schließung des Goethe-Instituts in Damaskus öffnet die Einrichtung erneut ihre Pforten - in Berlin, in einem winzigen Ladenlokal einen Steinwurf von der Volksbühne entfernt. Zweieinhalb Wochen lang werden 100 syrische und deutsche Künstler das "Goethe-Institut Damaskus im Exil" zum Leben erwecken, werden Filme, Ausstellungen, Konzerte präsentieren. Diese Tatsache hat eine so weitreichende Bedeutung für die deutsche Kultur- und Außenpolitik, dass man mit Athil Hamdan beginnen muss, um sich dem Thema von innen nach außen zu nähern, wobei beide Begriffe noch eine Rolle spielen werden.

Athil Hamdan lebt seit einem Jahr in Berlin, aber er kannte die Stadt schon viel früher. Als die Mauer fiel, hat er hier musiziert, einmal mit einem russischen Orchester - er studierte in Moskau -, einmal mit Claudio Abbado. Hamdan ist Cellist, und ehe er im vergangenen Jahr Damaskus Richtung Deutschland verließ, zusammen mit seiner Frau, der Geigerin Rawan Al-Kurdi, und seiner dreijährigen Tochter, war er Solist des Nationalorchesters und Dekan der Musikhochschule. Die Hochschule ist weiterhin geöffnet und Hamdans Studenten vermissen ihn. Manchmal unterrichtet er über Skype, einige Schüler schicken Aufnahmen über Whatsapp: "Sie schreiben mir, wie gern sie weiter bei mir studieren würden", sagt er.

Freitag in einer Woche wird er mit einem syrischen Streichquartett im Exil-Goethe-Institut in Berlin Werke syrischer Komponisten spielen, so wie er früher für das Goethe-Institut in Damaskus gespielt hat. Und angesichts seines abgerissenen Lebens ist er dafür sehr dankbar: "Noch einmal, und sei es für einen Moment, entsteht die alte vertraute Beziehung zum Goethe-Institut. Es ist fast die einzige Linie unseres Lebens, die sich fortsetzt."

70 Quadratmeter, auf denen Künstler wieder Künstler sind. Und keine Flüchtlinge

Frank-Walter Steinmeier, als Außenminister oberster Dienstherr des Goethe-Instituts, schickt zur Eröffnung ein paar Sätze, die die Worte des Cellisten in einen ganz großen Zusammenhang stellen. Mit dem temporären Institut verbinde sich "der politische Auftrag", "die zahllosen Geschichten der vielen geflüchteten Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen". Dann betont er die "unverzichtbare Rolle" von "Kultur- und Bildungsarbeit" in unruhigen Zeiten und die Pflicht, am Wiederaufbau der Zivilgesellschaft mitzuwirken.

Steinmeier ist nicht zur Eröffnung gekommen, er schickt diese Sätze einzig der SZ, ansonsten pflegt er Zurückhaltung. Denn das, was sein Goethe-Institut in Berlin vorhat, darf es eigentlich gar nicht. Das Goethe-Institut vermittelt laut Auftrag deutsche Kultur und Sprache im Ausland, für Kultur in Deutschland sind - ja, der Föderalismus - die Länder oder Kulturstaatsministerin Monika Grütters zuständig.

Auch Goethe-Generalsekretär Johannes Ebert spricht in Berlin zurückhaltend von einem "neuen Akzent", aber das ist eine Untertreibung. Seit geraumer Zeit nämlich lässt sich beobachten, dass sich Steinmeier in Grütters' Terrain mit der Entschlossenheit eines kurdischen Peschmerga vorarbeitet. Kein Interview, in dem er nicht Willy Brandts Worte von den drei Säulen der Außenpolitik unterbringt, Wirtschaft, Diplomatie, und, jawohl, Kultur, kaum ein Gespräch über Kultur, in dem er nicht erläutert, wie überholt die Trennung zwischen "innen" und "außen" inzwischen sei, also zwischen national und international. Deutschland, so ließe sich zusammenfassen, braucht als Land mit globalem Erkenntnis- und Wirkungsinteresse eine Art Weltkulturpolitik, für die ein Filmfestival in Addis Abeba so wichtig ist wie das Humboldt-Forum. Letzteres soll - dies der vorläufige Gipfel der Steinmeier'schen Kulturambitionen - vom Goethe-Institut mitgestaltet werden.

Das sehr schnell sehr stickige Fleckchen des syrischen Exil-Goethe-Instituts, in dem neben einer sympathisch improvisierten Bibliothek und einer Theke mit syrischen Süßigkeiten noch Platz sein soll für 60 Besucher, wirkt in all diesen Überlegungen wie eine Art Versuchsballon. 45 Veranstaltungen werden die kommenden zwei Wochen füllen, darunter Electro-Beats mit DJ Rabih Beani, eine Diskussion über die syrische Verlagsszene mit dem Goethe-Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann und syrischen Verlegern, die Ausstellung "70 Quadratmeter" von Alina Amer, Amer Akel und Rula Ali und Filmmatineen etwa mit Ossama Mohammeds bemerkenswertem Dokumentarfilm "Silvered Water". Zwanzig syrische Filmemacher leben inzwischen in Deutschland, sagt die "Silvered Water"-Produzentin Diana al-Jeroudi in Berlin: "Dieses Projekt behandelt Künstler auf Augenhöhe." Auf den 70 Quadratmetern sind die Künstler vor allem Künstler und nicht Flüchtlinge. Pelican Mourad, die für das Goethe-Institut in Damaskus als Programmassistentin arbeitet, bis es nach Drohungen gegen Ausländer 2012 geschlossen werden musste, greift noch weiter aus: Die hohe Qualität des Goethe-Instituts könne dazu beitragen, dass junge Syrer nicht "zu irgendwelchen extremistischen Veranstaltungen rennen".

Das wäre fantastisch, ist allerdings so unwahrscheinlich wie die Hoffnung, dass die Begegnung mit einer fremden Kultur auf höchstem Niveau irgendwelche identitären deutschen Spinner für interkulturelle Begegnungen begeistert. Eher schon wirft das Projekt andere Fragen auf. Wenn das Goethe-Institut die syrische Band Kinan Azmeh aus New York nach Berlin holt, ist das deutsche Kulturpolitik - oder schon syrische? Oder: Wenn das Goethe-Institut in Syriens Nachbarländern Türkei und Libanon Bibliotheken für Flüchtlinge einrichtet, wenn es in Kairo einen schönen Neubau bezogen hat, wenn es also in der Region Inseln für freie Rede, Austausch und Bildung schafft und so Argumente gegen die Abwanderung nach Deutschland - sendet das Berliner Exil-Institut dann nicht die gegenteilige Botschaft aus, nämlich die Einladung an Künstler für ein Leben in Deutschland? Es sind wichtige Fragen. Ein Ziel der nächsten zweieinhalb Wochen wäre, darauf ein paar Antworten zu bekommen.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: