Goethe in Italien:Der Partisan

Um sich selber kennenzulernen, fuhr Goethe nach Italien. So sehen das die Italiener heute. Goethe war ein Partisan für sie, er kämpfte gegen Katholizismus und Romantik. Und für ein gleichsam neuantikes Geschlechtsleben.

Von Thomas Steinfeld

Selbstverständlich ist die "Italienische Reise" auch ein Kompliment: an das Land, in das Goethe reiste, um sich selber "an den Gegenständen kennenzulernen". Dass er bei diesem Versuch vermutlich ein anderer wurde, als er zu werden geglaubt hatte, macht in italienischen Augen einen zusätzlichen Reiz des Unternehmens aus. Denn wie interessant musste Italien sein, wenn es den "größten Deutschen aller Zeiten" (so die Mailänder Tageszeitung Il Giornale) zu einer besseren Variante seiner selbst verhelfen konnte. In diesem Sinne sprach Massimo Cacciari, der Philosoph und ehemalige Bürgermeister Venedigs, im Frühjahr in einer halbstündigen Sendung des staatlichen Radiosenders RAI über den alten Dichter, der sich selbst noch einmal als wesentlich jüngeren Mann erfand, aus Gründen der Kunstpolitik wie auch um des eigenen Bildes in der Mit- und Nachwelt willen.

Gut zwanzig solcher Features sendete die RAI aus Anlass des zweihundertjährigen Jubiläums der "Italienischen Reise" vom Beginn des Jahres bis in den Sommer, über den Apollo von Belvedere und die Bedeutung der antiken Vorbilder zum Beispiel oder über den Baryt aus Paderno (sie sind auf der Website der RAI noch abzurufen). Was Goethe in Italien sah, wie er die Natur, das Klima und die Hinterlassenschaften der Antike wahrnahm, um das Mittelalter und die Renaissance darüber zu versäumen: Solche Fragen sind ergiebiger als der Nachvollzug einer Schwärmerei unter dem Titel "Wo die Zitronen blühn". Entsprechend sachlich ist die kleine Ausstellung über die Reise in der "Casa di Goethe" in Rom, der ehemaligen Wohnung Goethes am Corso. Sie wird ergänzt durch Werke von drei Künstlerinnen (bis zum 11. September), die sich mit Motiven der "Italienischen Reise" auseinandersetzen.

Wie ein "Partisan" habe Goethe agiert, als er die "Italienische Reise" schrieb, erklärte vor Kurzem der italienische Germanist Marino Freschi im Magazin Rivista il Mulino, Partisan nicht nur gegen die Erneuerung des Katholizismus nach dem Wiener Kongress und wider die romantische Malerei. Freschi erinnerte an die detektivischen Arbeiten des römischen Historikers Roberto Zapperi, in denen Goethe nicht zuletzt als Partisan eines gleichsam neuantiken Geschlechtslebens dargestellt wird. Auch solcher Kühnheiten wegen vergleiche sich Goethe am Ende der "Italienischen Reise" mit Ovid, dem römischen Dichter, den Kaiser Augustus in ein Exil am Schwarzen Meer verbannte.

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