Glühbirnen in Museen:Dealer gesucht

Die Glühbirne verschwindet - auch aus der Kunst: Warum eine EU-Richtlinie Museumstechniker künftig zu Kleinkriminellen macht.

Till Briegleb

Am 14. November 1920 eröffnete Lenin im Dorf Kaschino ein Elektrizitätswerk, indem er einen Hebel umlegte und eine Birne zum Leuchten brachte. Ein starkes Symbol für Lenins berühmte Gleichung, nach der der Kommunismus "Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes" sei, war geboren und beeindruckte auch Jahrzehnte später noch auf Propaganda-Plakaten den jungen Künstler Ilya Kabakov.

Glühbirnen in Museen: "Ich bete jeden Abend zu meiner Glühlampe, denn in ihr herrscht eine ungeheure Geschwindigkeit", huldigte der Schriftsteller und Futurist Filippo Tommaso Marinetti 1914 der liebsten Lichtquelle der Moderne.

"Ich bete jeden Abend zu meiner Glühlampe, denn in ihr herrscht eine ungeheure Geschwindigkeit", huldigte der Schriftsteller und Futurist Filippo Tommaso Marinetti 1914 der liebsten Lichtquelle der Moderne.

(Foto: Foto: Lang/ddp)

Allerdings erreichte der Optimismus dieser symbolischen Energieleistung Kabakov zu einer Zeit, als er und seine Mutter zwischen "grauen, staubigen, ungestrichenen Wänden, beleuchtet von einer schwachen 40-Watt-Lampe" lebten, und jeder Hausbewohner seine eigene Glühbirne mit aufs Klo nahm. Aus der Widersprüchlichkeit dieser Erfahrungen entwickelte Kabakov eine eindrückliche Metapher, die in zahlreichen seiner Installationen einen wichtigen Platz einnahm: die nackte, von der Decke hängende Glühlampe verlieh seinem archäologischen Abglanz des Sowjetlebens das düstere Glimmen von Melancholie und Depression.

Doch nun sollen die Erinnerungen an Lenin, die Klobirne und seine Mutter, also die poetische Energie der Glühlampe, aus Kabakovs Werk verschwinden. Denn das Energiebetriebene-Produkte-Gesetz der europäischen Ökodesign-Richtlinie 2005/32/EG verbietet vom 1. September an schrittweise alle traditionellen Glühfaden-Lampen. Da die sogenannten Energiesparlampen angeblich ein Fünftel der Energie benötigen, die die Erhitzung des Wolframdrahts verbraucht, müssen Kabakovs Nachbauten sowjetischer Atmosphären demnächst offiziell von den klobigen Apparaten einer modernen Kompaktleuchtstoffröhre verdüstert werden. Künstlerisch entspricht das der Wirkung, die eine moderne Küchenzeile auf einem Vermeer-Gemälde hätte.

Doch leider kennt 2005/32/EG keine Ausnahmen. Und damit stehen Künstler, Restauratoren und Museumstechniker vor der bizarren Notwendigkeit zur Kleinkriminalität. Denn natürlich ist Ilya Kabakov nicht der einzige Künstler, der Glühfadenlampen verwendet. Spätestens seit der Futurist Filippo Tommaso Marinetti 1914 erklärte, "ich bete jeden Abend zu meiner Glühlampe, denn in ihr herrscht eine ungeheure Geschwindigkeit", ist Thomas Alva Edisons Erfindung integraler Bestandteil unzähliger Installationen.

Von Laszlo Moholy-Nagys "Licht-Raum-Modulator", der 1930 mit dem Schein von 140 Glühlampen ein abstraktes Schattentheater ablaufen ließ, über die Düsseldorfer Gruppe "Zero" bis zu Olafur Eliasson reicht die Tradition der Lichtkünstler, in deren Werke man nicht einfach Leuchtstoffmittel schrauben kann, ohne ihre Ästhetik zu zerstören. Aber auch Künstler, die sich nicht ausdrücklich mit dem Werkstoff Licht beschäftigt haben - wie Rauschenberg, Kienholz, Tinguely oder Beuys - verwendeten Glühlampen. Aus der Gegenwartskunst ist das billige Leuchtmittel überhaupt nicht mehr wegzudenken: Jorge Pardo, Valie Export, Stephan Huber, Isa Genzken, Carsten Höller, Mike Kelley oder Adrian Paci sind nur einige Beispiele zahlloser Glühbirnen-Künstler.

"Verheerend", nennt Christian Scheidemann, einer der bedeutendsten Spezialisten für die Restaurierung zeitgenössischer Kunst, das Gesetz. Zwar betrifft den in New York Arbeitenden die Verordnung nicht unmittelbar, denn in den USA sind Glühbirnen weiterhin erhältlich. Aber er hat häufiger mit Künstlern zu tun, die bei der Konservierung keine Fabrikatabweichung dulden, was bei europäischen Exponaten zu Problemen führen wird. Dass in einem Kabakov-Raum Glühbirnen von General Electric leuchten, wie es etwa im Kölner Museum Ludwig der Fall ist, dürfte dann zum verbreiteten kleineren Übel gehören.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Künstler ihr libidinöses Verhältnis zur Glühlampe zeigen.

Tot, gleichgültig und total leer

Da der Verkauf unter dem Ladentisch auch für museale Notfälle ein Bußgeld von 50 000 Euro für den Händler nach sich ziehen kann, richten sich die Museumstechniker auf illegale Einfuhren ein. Schon die Pflege eines einzigen Lichterketten-Kunstwerks von Félix González-Torres oder eines Karussells von Carsten Höller benötigt bei einer durchschnittlichen Lebensdauer der "Hitzestrahler" von 60 bis 80 Tagen Tausende Glühbirnen, damit sie auch in Zukunft ihre natürliche Strahlkraft behalten.

Doch es ist nicht nur die plumpe Form der Kompaktleuchten mit ihrer Zündtechnik im Sockel, die ihren Einsatz wie eine übel misslungene Schönheitsoperation wirken lässt. Das Licht der handelsüblichen Stromsparlampen sei "grässlich", sagt Scheidemann, und der Münchner Lampendesigner Ingo Maurer, der in seiner 40-jährigen Laufbahn als Erfinder künstlerischer Lichtobjekte ein geradezu libidinöses Verhältnis zur Glühlampe gezeigt hat, nennt das Licht der Leuchtstoffbirnen "tot, gleichgültig und total leer". Er sei "sehr zornig" über diese "Unverschämtheit" und organisiert gerade eine Protestbewegung für den Erhalt dieses "Kulturguts".

An dieser Front stünde auch der Hamburger Lichtplaner Peter Andres, der die heftigen subjektiven Reflexe auf das Leuchtstofflicht mit Fakten untermauern kann. Im Gegensatz zum kontinuierlichen Farbspektrum von Temperaturstrahlern wie der Sonne und der Glühlampe besteht normales Leuchtstofflicht nämlich nur aus drei intensiven Farbsegmenten, deren Mischung dem Auge ein Weiß vorgaukeln - sozusagen ein Regenbogen, der nur aus Rot, Gelb und Blau besteht.

Neben den vielen bekannten Argumenten gegen die Energiesparlampe - der hohe Quecksilberanteil, die fehlende Wiederverwertbarkeit, der zweifelhafte Energievergleich, der sich nur an Wattzahlen, aber nicht an Wirkungsgraden orientiert - ist im Ausstellungsrahmen vor allem die falsche Farbwiedergabe ein Problem. Denn auch Künstlerfarbe reflektiert nur das Spektrum, mit dem es bestrahlt wurde - ein Effekt, den jeder kennt, der schon mal im Laden eine braune Jacke gekauft hat, die dann bei Tageslicht olivfarben aussah. "Wir würden nie auf die Idee kommen, in einem Kunstmuseum das Lichtspektrum einer Kompaktleuchtstoffröhre einzusetzen", sagt Andres, "außer, der Künstler hat sein Bild in diesem Licht gemalt und besteht auf adäquater Wiedergabe."

Dennoch sehen Museumstechniker Leuchtstofflampen keineswegs nur als Fluch. Leuchtstoffmittel sparen in einem Museum wie der Hamburger Kunsthalle Energiekosten im fünfstelligen Bereich ein, weil die Lampen kaum Wärme abstrahlen. Außerdem schützt das kalte Licht viele Werke besser. Gelbe Kabel, bröselnder Beton, wellige Dias und andere Hitzedefekte durch Glühbirnen lassen sich mit Niedrigwattbeleuchtung verhindern. Techniker wie Ralf Suerbaum sehen das Verbot aber auch sportlich: "Es motiviert, nach neuen Lösungen zu suchen." 50 verschiedene Leuchtmittel hat Suerbaum in der Kunsthalle im Einsatz, um die Vor- und Nachteile der verschiedenen Formate flexibel kombinieren zu können. Und auch die Industrie bemüht sich um eine Weiterentwicklung der LED-Technik zu vollwertigen und bezahlbaren Leuchtkörpern.

Ingo Maurer ist da schon weiter. Sein dieser Tage präsentierter Entwurf einer LED-Birne ist äußerlich identisch mit der 130 Jahre alten Glasbirne mit Schraubfassung, wird aber ohne Glühfaden von einem LED beleuchtet, das im Sockel sitzt. Der leere Glaskolben erzählt so vom Verschwinden der Tradition, während die mehrjährige Lebensdauer der LEDs den technischen Optimismus feiert. Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, wäre begeistert gewesen.

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