Globaler Kunststreik: Guggenheim in Abu Dhabi:Nicht um jeden Preis

"Von Ausgebeuteten errichtet": Abu Dhabi möchte das Kulturzentrum des 21. Jahrhunderts werden und zahlt dafür viel Geld. Doch jetzt streiken die Künstler.

Catrin Lorch

Das Guggenheim Abu Dhabi steht still. Allerdings stocken nicht die Räder der Zement-Lieferwagen. Künstler weigern sich, Werke zu liefern, weil sie die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter auf dem Bau als menschenunwürdig empfinden. "Künstler sollten nicht aufgefordert werden, ihre Werke in Gebäuden zu zeigen, die von Ausgebeuteten errichtet wurden", sagt Initiator Walid Raad, ein in New York lebender Künstler aus dem Libanon auf der in einem benachbarten Emirat stattfindenden Sharjah-Biennale der SZ.

Globaler Kunststreik: Guggenheim in Abu Dhabi: In Abu Dhabi entstehen große Museeen. Menschenrechtler und Künstler kritisieren die Arbeitsbedingungen auf dem Bau.

In Abu Dhabi entstehen große Museeen. Menschenrechtler und Künstler kritisieren die Arbeitsbedingungen auf dem Bau.

(Foto: AFP)

"Wer mit Mörtel und Steinen arbeitet, verdient den gleichen Respekt wie jemand, der mit Kamera und Pinsel umgeht." Bis auf der Baustelle internationale Standards eingehalten werden, verweigere er sich "jeder Ausstellung und jedem Ankauf" des Guggenheim-Museums Abu Dhabi - und mehr als 130 Kunstschaffende haben sich dem Protest angeschlossen, darunter Shirin Neshat, Mona Hatoum, Akram Zaatari, Emily Jacir, Yto Barrada. Die Aktion ist wohl der erste globale Kunststreik, an dem sich eine große Gruppe Künstler beteiligt.

Für das monumentale Prestigeprojekt in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate ist dieser Streik schlimmer als jede millionenteure Verzögerung. Das Guggenheim-Museum, ein von Jean Nouvel geplanter Ableger des Louvre und ein nationales Museum, das von Norman Foster entworfen wird, werden in Abu Dhabi auf "Saadiyat Island" als Version der Berliner Museumsinsel für das 21. Jahrhundert adaptiert. Das Ziel: Touristen an den Golf locken und die Weltoffenheit der Ölstaaten demonstrieren.

Für die Architektur des Guggenheim ist der Bilbao-Star Frank Gehry verantwortlich, sein verschachtelter Entwurf sieht aus, als stürze gerade die Wall Street ein. Die Eröffnung des 800 Millionen Dollar teuren Baus ist für 2015 geplant, bis dahin soll eine Sammlung entstehen, um die vielen Quadratmeter Fläche auch mit regionaler Kunst zu bespielen.

Jetzt könnte es dem amerikanischen Museum tatsächlich schwer fallen, die Aufbauarbeit an der Kollektion voranzutreiben. Öffentlich ausgetragene Konflikte ist man in der Region nicht gewohnt. Die Stadtstaaten am Golf werden regiert wie wohlhabende Familienunternehmen. Die Einheimischen - keine zwanzig Prozent der Bevölkerung - protestieren nicht, sondern sie partizipieren am Reichtum, den Öl und die strategische Lage am Golf ihnen bescheren. Die Arbeit erledigen Fremdarbeiter; wer sich unbotmäßig verhält, fliegt raus. Die Unruhen der arabischen Welt werden hier wahrgenommen wie Berliner Straßenkämpfe aus der Perspektive der Schweiz.

Kunst hat Konjunktur am Golf: Neben importierten Großprojekten streben die Verantwortlichen auch ein Geflecht an aus Künstlern, Galeristen, Kuratoren, Kritikern, Sammlern. Es soll die Kunst in eine Region tragen, die vom Mittleren Osten über Nordafrika bis Südasien reicht. Dazu war in den vergangenen Jahren Aufbauhilfe notwendig: Es reicht nicht, teuer auf Auktionen einzukaufen, um Museen mit Kunst zu füllen oder Messen im Umfeld so reicher Neugründungen wie der Museen in Katar oder Abu Dhabi zu etablieren. Damit Standorte wie die Messe in Dubai, die auf junge Kunst ausgerichtet ist, von der Kunstwelt ernst genommen werden, fliegt man dort dieser Tage die Kunstszene ein.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was relevant ist.

Unerwarteter Schlag

Die einen kommen, weil sie als Kuratoren die Sharjah-Biennale nach wichtigen Künstlern durchforsten, die anderen nehmen mit großer Selbstverständlichkeit an Diskussionen teil, die "Global Art Forum" heißen. Es gilt, der Kunstwelt ein "business as usual" vorzuführen, einen scheinbar selbstverständlichen Diskurs über die gängigen internationalen Themen und Trends. Das soll belegen, dass man sich nicht in einem Entwicklungsland befindet. Wichtig ist weniger der Inhalt als dass sich in Dubai an einem Nachmittag Catherine David und Carolyn Christov-Bakargiev begegnen könnten, die ehemalige und die künftige Documenta-Leiterin, während die als kritisch geltende Autorin Isabell Graw auf einem Panel über "Art and Fashion" diskutiert, auf dem anschließend Starkurator Hans-Ulrich Obrist auftritt.

Kulturviertel 'Saadiyat Island' in Abu Dhabi

So soll die Filiale des Guggenheim Museums in Abu Dhabi einmal aussehen: Frank Gehry konzipierte das Modell für das weltweit größte Kulturzentrum, das - der Berliner Museumsinsel ähnelnd - auf einer Insel 500 Meter vor der Küste der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate entstehen soll.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Tatsächlich ist aber während der vergangenen Jahre eine Generation von Künstlern groß geworden, die in irgendeiner Weise über ihre Herkunft der arabischen Welt verbunden ist und die - wie es die zehnte Ausgabe der gerade eröffneten Sharjah-Biennale belegt - erstaunlich politische Kunst liefert. Vom Ölgemälde, das verschleierte Mädchen mit Schulranzen zeigt, bis zur Videocollage aus Überwachungskameras gibt es viel zu entdecken. Zunehmend löst man sich vom Blick des Westens, dessen Akteure, wie das Guggenheim, nicht mehr als Entwicklungshelfer auftreten, sondern froh sein müssen, ihren Kanon am Golf prominent platzieren zu dürfen.

Kunst ist keine Ware

Relevant ist nicht länger, was von der Tate Gallery angekauft wird, die sich eine eigene Sektion für die Region leistet. Relevant ist jetzt die Kunst, die mit dem Abraaj Capital Art Prize ausgezeichnet wird, der mit einer Million Dollar als höchst dotierter Kunstpreis der Welt firmiert und stets unter mehreren Künstlern aufgeteilt wird.

Dass ausgerechnet diese hoch subventionierte Szene jetzt gleichzeitig gegen Guggenheim und die Gastarbeiter-Ökonomie am Golf protestiert, ist ein unerwarteter Schlag vor allem, weil Künstler wie Kader Attia sich dem Protest anschließen, einer der wichtigsten Preisträger der vergangenen Jahre. Sein Vater arbeitete in Algerien, Nordafrika und später in Frankreich als Bauarbeiter. "Wir dürfen nie aus dem Blick verlieren, wer diese schöne Architektur baut. Die Bedingungen, unter denen dort gearbeitet wird, sind weit unter dem akzeptablen Durchschnitt."

Für Attia ist es wichtig, dass auch westliche Künstler - unter anderen Hans Haacke, Monica Bonvincini, Barbara Kruger und Willie Doherty - das Statement unterzeichnet haben. Die international gefeierte Emily Jacir sagt: "Wir unterstützen den Aufbau kultureller Einrichtungen auf Saadiyat Island, aber wir fühlen uns verantwortlich, alles in unseren Möglichkeiten Stehende zu tun, um die Rechte der Arbeiter sicherzustellen."

Der Protest belegt einmal mehr: Kunst, auch zeitgenössische, ist keine Ware wie jede andere. Viele Künstler begreifen es als ihre ureigene Aufgabe, nach dem richtigen Leben im falschen zu suchen, zumindest nach ein paar Quadratmetern Wahrheit. Kritische Kunst wird als Versprechen auf politisch diskursfähige Verhältnisse eingekauft - mit Widerspruch muss man dann auch leben können.

Nicht alle sehen das so. Walid Raads Galeristin, Andrée Sfeir-Semler, die seit Jahrzehnten in der Region arbeitet und Galerien in Hamburg und Beirut unterhält, stört sich an den lauten Forderungen: "Man kann die Freiheit, die einem die Kunst erlaubt, nicht einfach für politischen Protest in Anspruch nehmen." Die Verantwortlichen hätten sich längst gesprächsbereit gezeigt.

Rufer in der Wüste

Doch die Künstler haben von stiller, satt gefütterter Diplomatie genug. Sie demonstrieren nicht nur für die 15000 Arbeiter, die auf der Großbaustelle wie Sklaven zunächst ihre Anwerbungskosten abarbeiten müssten, sondern auch für ihre eigene Position: als Rufer in der Wüste, als politisch handelnde Bürger, deren Pflicht es ist, anderen Menschen als ihresgleichen zu begegnen.

Zufällig weilt am Golf gerade auch Richard Armstrong, Direktor der Guggenheim Foundation, der die Lebensbedingungen der Arbeiter nach einer Stippvisite in den Wohngebäuden gegenüber der New York Times als "unvergleichlich" bezeichnet. Dennoch heißt es, Politik und Museum seien bemüht, die Kritik der Künstler auszuräumen.

Dass es das Guggenheim trifft - und nicht ein anderes Vorzeigeprojekt wie das gerade erst eröffnete Doha-Museum - liegt vielleicht auch daran, dass diese neueste Filiale der global agierenden Firma Guggenheim agiert wie ein souvenirraffender Fürst: "Guggenheim interessiert sich doch überhaupt nicht wirklich für die lokale Szene", sagt Nav Haq vom Kunstzentrum Arnolfini in Bristol, der mit "Marker" ein Projekt über Graswurzel-Kunstprojekte in der Region kuratiert. "Guggenheim sammelt bekannte Namen ein, als Pflichtprogramm. Eine Kulisse für die in New York geplanten Wander-Schauen."

In den Vereinigten Emiraten geht es nicht allein um die Lebensbedingungen von Arbeitern. Der Streik der Künstler zielt auf mächtige Akteure der Kunstwelt wie das amerikanische Guggenheim-Imperium. Vor Ort steht die Gastarbeiter-Ökonomie auf dem Prüfstand, die sich auf dem Markt der Migranten ebenso eindeckt wie mit Luxusartikeln und Kunst. Die Künstler riskieren Förderpreise und Ankäufe. Es geht ihnen um die Glaubwürdigkeit der Kunst, wenn sie fragen, wie Museumswände hochgezogen werden.

Eine Kunst, die für solche Fragen offen ist, muss sich eine Gesellschaft erst einmal leisten wollen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: