Gleichberechtigung reloaded:Die dumme Augustine

"Bitterfotze" sei Dank: Endlich scheint den Männern eine echte Herausforderin gegenüber zu stehen. Warum der Geschlechterkampf gerade erst beginnt.

Jens-Christian Rabe

Die dumme Augustine ist die Frau vom dummen August, einem Zirkusclown. Sie kümmert sich um den Haushalt, die Haustiere und die drei Kinder. Während sich ihr Mann in der Manege feiern lässt, bügelt, kocht und putzt sie - und träumt davon, eines Tages selbst einmal als Clown aufzutreten. Ihren Vorschlag, dass man sich den Job und die Hausarbeit doch teilen könne, hält der dumme August allerdings für blanken Unsinn - bis er eines Tages wegen schlimmer Zahnschmerzen nicht auftreten kann. Die dumme Augustine springt ein und legt einen umjubelten Auftritt hin.

Gleichberechtigung reloaded: "Bitterfotze": Zornige Gleichberechtigungs-Bilanz der schwedischen Autorin Maria Sveland in Romanform. Soeben auf Deutsch erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

"Bitterfotze": Zornige Gleichberechtigungs-Bilanz der schwedischen Autorin Maria Sveland in Romanform. Soeben auf Deutsch erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

(Foto: Foto: Kiwi)

Fürs Kochen bist Du viel zu schade!

Als der dumme August davon erfährt, ist er sehr stolz und verspricht: "Von jetzt an wollen wir unsere Arbeit gemeinsam tun. Ich helfe dir in der Küche und bei den Kindern - und du trittst mit mir zusammen im Zirkus auf. Denn fürs Kochen und Schrubben und Wäschewaschen allein bist du viel zu schade!"

Die Geschichte der dummen Augustine ist ein bekanntes Kinderbuch, das Otfried Preußler und Herbert Lentz vor mittlerweile bald 40 Jahren erdacht und gezeichnet haben. Vor allem aber ist es ein berühmtes Dokument der Emanzipationsbewegung. Preußlers frohe Botschaft ist schließlich unmissverständlich: Frauen können noch ganz andere Sachen, als den Haushalt erledigen! Heute gilt das Buch allerdings als veraltet, es rekurriere, heißt es, auf eine traditionelle Rollenverteilung, die längst nicht mehr so verbreitet sei wie damals. Aber vielleicht ist das nur die halbe, die bequeme Wahrheit.

Der letzte Schritt nämlich wird im Buch nicht vollzogen. Obwohl die dumme Augustine ihren Mann in seinem Beruf tatsächlich einhundertprozentig ersetzt, kommt es nicht zum Rollentausch. Der dumme August kümmert sich nicht kurzerhand um den ganzen Haushalt, so wie das seine Frau trotz ihrer offensichtlich identischen Eignung zum Clown zuvor jahrelang klaglos getan hatte. Nein. Leidlich generös und relativ schwammig bietet er ihr lediglich einmal an, fortan im Haushalt mitzuhelfen. Ein beherztes Bekenntnis zu einem geteilten Leben sieht anders aus.

So aufgeklärt und fortschrittlich man sich dieses kleine Buch deshalb im Jahr 1972 vorstellen darf, so aktuell ist es noch heute - denn wie es aussieht, beschreibt es verblüffend präzise den Status quo auf dem Schlachtfeld Paarbeziehung.

Kein neues Buch dürfte diesen Umstand vorerst besser belegen als der soeben auf Deutsch erschienene Bericht "Bitterfotze" (Kiepenheuer & Witsch) der 1974 geborenen schwedischen Autorin Maria Sveland. Es ist die zornige Reflektion einer jungen Mutterschaft in der (westlichen, europäischen) Gegenwart und die kühle Bilanz einer Ehe, die es am Anfang des Buches nicht nur deshalb noch gibt, damit sie im Laufe des Buches schmerzhaft zu Ende gehen kann. Das wäre der leichte Weg.

Es bleibt eine ungeschiedene Ehe, eine feste Partnerschaft in diesem Roman, weil Sveland sich nicht vor der Tatsache drückt, dass eine Trennung nur die Vertagung der exemplarischen Probleme und Konflikte einer modernen Zweierbeziehung bedeuten würde, niemals ihre Überwindung (es sei denn natürlich, man entschiede sich dafür, ganz allein zu leben). "Bitterfotzig" werden bei Sveland Frauen, wenn sie merken, wie riesig die Kluft zwischen den von den siebziger Jahren inspirierten Tagträumen und der Wirklichkeit heute tatsächlich ist.

Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin Sara ist dreißig Jahre alt, Mutter eines zweijährigen Jungen - und doch schon ziemlich müde und verbittert. Die "Familienhölle" hat ihr jegliche Energie geraubt, sie fühlt sich "voller emotionaler Schmutzflecke". Und die Frage, die ihr nicht aus dem Kopf geht, lautet: "Wie sollen wir jemals zu einer gleichberechtigten Gesellschaft kommen, wenn es uns nicht einmal gelingt, mit demjenigen gleichberechtigt zu leben, den wir lieben?"

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wo die Ungerechtigkeit anfängt.

Fürs Kochen bist Du viel zu schade!

Die Ungerechtigkeiten beginnen schon damit, dass es Freunde und Verwandte, die von Saras Auszeit-Ausflug nach Teneriffa erfahren, merkwürdig finden, dass sie eine Woche ohne Not ihr Kind und ihren Mann Johan verlässt. Und sie enden noch lange nicht in dem Park, in dem Sara eines Tages fassungslos einen fröhlichen Mann in einem T-Shirt einer Krankenkasse trifft, auf dem "Vaterurlaub" steht:

"Eine gute Idee, die mir in meine bitterfotzigen Augen sticht, weil sie nur allzu deutlich zeigt, wie diese Gesellschaft es als etwas Außergewöhnliches betrachtet, wenn Väter Verantwortung übernehmen." Oder in der Fernsehsendung, in der ein Demograph angesichts des Geburtenrückgangs vorschlägt, die Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen zu begrenzen. Oder in der Krippe, wo Sara für alleinerziehend gehalten wird, weil die Betreuerin den Vater Johan noch nie gesehen hat.

Nicht zu dolle auf die Füße treten

Im Rückblick erscheinen da all die Bücher aus dem vergangenen Jahr, die einer Art neuem Spaßfeminismus anhingen, all die "neuen deutschen Mädchen", all die "Alphamädchen", all die Feuchtgebietlerinnen - sie alle erscheinen zwar ehrlich bemüht, aber nun doch marginal. Ihre Texte und Stellungnahmen behaupteten zwar, für eine neue Zeit gute alte Ideen zu aktualisieren, letztlich fehlte ihnen jedoch ein wirklich weitreichendes Bewusstsein für das Problem, das heute in besonderer Deutlichkeit dann auftritt, wenn Kinder ins Spiel kommen. Am Ende sollte lieber niemandem zu doll auf die Füße getreten werden.

Aber wer es wirklich ernst meint, der stellt eine alte Ordnung in Frage, die bislang erst wenig von ihrer alltäglichen Gestaltungsmacht verloren hat. Da hört der Spaß schnell auf. Die Arbeit im Haushalt wird wie eh und je vor allem von den Frauen erledigt, und die Elternzeit nehmen nicht einmal 20 Prozent der Väter in Anspruch, und dann meistens gerade mal für die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzeit von zwei Monaten.

Wer die Gleichberechtigung wirklich will, muss also die Systemfrage stellen, er muss nicht nur die Kinderbetreuung in Frage stellen, sondern auch Arbeitsdauer und Arbeitszeiten, er muss das oft auf fast grenzenloser Verfügbarkeit basierende Verhältnis von (männlichen) Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Frage stellen und die bislang meist streng geregelte Anwesenheit selbst in Berufen, in denen dies gar nicht unbedingt nötig ist. Und das wäre erst der Anfang.

Abgesehen nämlich von einer fundamentalen Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist die Gleichberechtigung eine Machtfrage und somit wie alle Machtfragen kein Nullsummenspiel. Wenn die eine Seite an Selbstbestimmung gewinnt, was in einer Beziehung mit Kindern in erster Linie mehr frei verfügbare Zeit bedeutet, dann verliert die andere Seite etwas von ihrer Autonomie.

Die generationelle Konstellation unserer Gegenwart ist dafür längst nicht so gut gewappnet, wie gerne suggeriert wird. Das Konfliktpotential ist nach wie vor riesig, neu ist, dass die Frauen der Auseinandersetzung immer weniger aus dem Weg gehen. Denn ohne allzu spekulativ zu generalisieren, lässt sich wohl konstatieren, dass die Generation der heute 30-Jährigen, an denen es nun ist, die Entwicklung des Geschlechterverhältnisses voranzutreiben, noch so manche Hypothek mit sich herumträgt. Die Frauen haben sich - zum Glück - an die Rechte gewöhnt, die ihre Mütter seit den siebziger Jahren für sie erkämpft haben, viel deutlicher aber als diese sehen sie, dass die Rechte und Aufgaben in der Regel zusätzlich zu Haushaltsführung und Kindererziehung übernommen wurden.

Die durchaus aufgeklärten und den Argumenten der Emanzipation aufgeschlossen gegenüberstehenden Väter der heute 30-jährigen Männer verbrachten selbstverständlich trotzdem vierzehn Stunden am Tag mit ihren Angelegenheiten. Lebenspraktisch blieben sie vielfach autoritäre Knochen oder zumindest abwesende Väter. So war es schließlich immer gewesen, einer musste ja "für die Familie sorgen". Solcherart sozialisiert, fällt es Männern wiederum bis heute nicht eben leicht, das private Zeitmanagement ähnlich straff zu organisieren wie das im Beruf. Auch das ist ein nicht zu unterschätzender Systemwechsel.

Überforderung des Mannes?

Der Umstand, dass aus der aktuellen Situation eine scheinbare (wenigstens nach alten patriarchalen Maßstäben) Überforderung des Mannes resultiert, hat zuletzt zur Rede von der Krise der Männlichkeit geführt. Tatsächlich sind die Erwartungen nicht eben geringer geworden, denn mit dem schleichenden Abschied von der Partnerschaft, die allein auf einem handfesten Tauschprinzip beruht, Geld gegen Pflege, hat auch die weibliche Erwartung an Gewicht gewonnen, nicht nur einen leidlich materiell erfolgreichen Mann an der Seite zu haben, sondern auch einen sich liebevoll kümmernden Vater und Geliebten. Die Rede vom modernen Mann als entehrtem "Lächerling" ist trotzdem Unsinn. Als Symptom ist sie umso entlarvender. Die Erwartungen der Männer an die Frauen sind schließlich kaum geringer.

Das Dilemma, aus dem beide Seiten nur gemeinsam werden herausfinden können, zeigt auch der Ende des Monats anlaufende Spielfilm "Alle anderen" von Maren Ade. Es geht darin um die berufliche Identitätskrise eines hochbegabten jungen Architekten. Im Mittelpunkt steht ebenso seine Freundin, eine gefragte Musik-Promoterin, und die Frage, inwieweit sich heute radikal egoistische Selbstverwirklichung und kaum weniger radikale, weil mit riesigen emotionalen Erwartungen aufgeladene Gemeinsamkeit wirklich vereinbaren lassen.

Und so muss man sich die Geschichte der Emanzipationsbewegung der vergangenen Jahrzehnte doch als eine Erfolgsgeschichte vorstellen. Aber nicht als eine Reihe von triumphalen Siegen im großen Kampf der Geschlechter. Denn als Kräfteringen zweier ebenbürtiger Partner fängt dieser Kampf ja gerade erst an. Erst jetzt, da sich erste Erfolge der Bemühungen um Gleichheit tatsächlich einstellen, da der Gedanke der Gleichberechtigung in weiten Teilen der Gesellschaft wirklich mentalitätsprägend ist - erst jetzt scheint den Männern eine echte Herausforderin gegenüber zu stehen, eine ebenbürtige Gegnerin. Endlich. Möge die Macht mit uns allen sein.

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