Gigantische Kunstmuseen am Golf:"Folkloretanz hat nichts mit Identität zu tun"

Zehn Museen und 14 Theater - Dubai hatte gigantische Pläne, doch dann ging das Geld aus. In Abu Dhabi hingegen entstehen gerade ein Louvre-Ableger und ein neues Guggenheim. Warum hier gelingt, was anderswo scheiterte und wie kluge Künstlerförderung im Nahen Osten aussieht - ein Gespräch mit dem Kulturschaffenden Mishaal al-Gergawi.

Jasmin Off

Mishaal al-Gergawi ist Autor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bekannt wurde er mit einer wöchentlichen Kolumne für die Zeitung Gulf News. 2008 wurde er in die Kunst- und Kulturbehörde Dubais berufen, deren Projekte momentan auf Eis liegen. In seinen Beiträgen befasst er sich hauptsächlich mit soziokulturellen Themen und kulturellen Herausforderungen der Region rund um die Emirate.

sueddeutsche.de: Zehn Museen, 14 Theater, elf Kunstgalerien, zahlreiche Bibliotheken und weitere Einrichtungen - die Pläne des Projektes "Khor Dubai" klingen aberwitzig. War das Scheitern nicht absehbar?

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Mishaal Al Gergawi: 2008 herrschte in Dubai das Gefühl, dass man zwar einen einzigartigen Wirtschaftsboom erlebte, aber auch kulturell mit den anderen Großstädten der Welt mithalten wollte, deswegen wurden die Projekte ins Leben gerufen. Es genügt nicht, wenn man morgens aufsteht, zur Arbeit geht, einkauft und abends wieder nach Hause geht. Jede Stadt braucht ein vielfältiges soziales und kulturelles Angebot; das macht die Stadt erst attraktiv, definiert ihre wahre Seele.

sueddeutsche.de: Sind die Projekte dann nur aus finanziellen Gründen gescheitert?

Mishaal Al Gergawi: Die Wirtschaftskrise hat uns stärker getroffen, als wir gedacht hatten. Wir fanden keine Investoren mehr und mussten die Projekte einstellen. Ich würde ungern davon sprechen, dass das Vorhaben an sich gescheitert ist, aber die finanzielle Situation hat uns vorübergehend einen Strich durch die Rechnung gemacht.

sueddeutsche.de: Wie geht es denn jetzt weiter?

Mishaal Al Gergawi: Natürlich wird die Kulturförderung weitergehen. Wir müssen uns aber aufs Wesentliche konzentrieren. Warum eigentlich fünf Museen und nicht nur eines? Die Finanzkrise war in dieser Hinsicht, für die kulturelle Entwicklung der Region, ein wahrer Segen.

sueddeutsche.de: Wie sah Kulturförderung denn bis zu diesem Zeitpunkt aus?

Mishaal Al Gergawi: Alles was zählte, war die Geschwindigkeit, mit der neue Projekte entstanden: Hier schnell ein monumentaler Bau und noch einer und irgendwann haben wir nicht mehr reflektiert, wie öffentlicher Raum eigentlich klug für Kultur genutzt werden kann und vor allem, welche nationale Identität zugrunde liegt. Jetzt haben wir mehr Zeit, substantiell über unser kulturelles Engagement nachzudenken. Wir können jetzt in Ruhe Strukturen für Kulturförderung aufbauen und mehr Wert legen auf den Inhalt als auf die Präsentation.

Der feine Unterschied zwischen Dubai und Abu Dhabi

sueddeutsche.de: Trotzdem plant Abu Dhabi auf "Saadiyat Island" gerade das nächste Museumsprojekt der Superlative. Hier entsteht ein Louvre-Ableger und eine Guggenheim-Dependance. Hat man in der Krise doch nichts gelernt?

Mishaal Al Gergawi: In Dubai folgte man der Regel: höher, schneller, weiter. In Abu Dhabi hingegen sind diese Projekte langsamer entstanden als in Dubai. Die Pläne für "Saadiyat Island" wurden bereits 2006 verkündet und sind jetzt noch nicht fertig. Die haben sich dort also mehr Zeit genommen für die Entwicklung. Zwischenzeitlich wurde auch regionale Kulturförderung betrieben: Ein Filmfestival wurde auf die Beine gestellt, lokale Künstler werden stärker unterstützt.

sueddeutsche.de: Wie wichtig ist diese lokale Komponente?

Mishaal Al Gergawi: Sehr wichtig. Letztlich interessiert mich an all diesen Projekten in der Golfregion nur eines: Kommt ein großer Anteil der ausgestellten Exponate aus der Region? Nicht alle Exponate müssen auch von Emiratis produziert sein, aber von Künstlern, die an der arabischen Kultur interessiert sind. Wenn wir nur "importierte" Kulturgüter ausstellen, ist das nicht gut für unser Land.

sueddeutsche.de: Aber dennoch werden etwa das Guggenheim-Museum oder der Louvre in Abu Dhabi Kunst aus dem Ausland ausstellen?

Mishaal Al Gergawi: Es ist enorm wichtig, dass wir zeigen, was andere Kulturen bieten, dass wir lernen wie Künstler dort arbeiten, welche Stilrichtungen dort populär sind. Das ist entscheidend, um die Welt besser zu verstehen. Aber wir brauchen eine gesunde Balance von ausländischen Exponaten und Kultur aus unserem eigenen Land.

sueddeutsche.de: Wie kann man die eigene Kulturszene stärken?

Mishaal Al Gergawi: Es braucht natürlich mehr als ein paar Festivals und Events, nämlich Strukturen, Künstlerförderung und natürlich Geld. Dann kann sich jeder Einzelne eine Meinung bilden, was kulturelles Erbe bedeutet und wie nationale Identität entsteht. Das geht nicht mit einem Folklore-Tanz in der Innenstadt, da braucht es schon ein bisschen mehr.

sueddeutsche.de: Arabische und Kultur aus dem Westen zu kombinieren - werden die Vereinigten Arabischen Emirate mit dieser Formel zum bedeutendsten Kunst -und Kulturzentrum des Nahen Osten?

Mishaal Al Gergawi: Es ist zu früh, um das beurteilen zu können. Im Moment gibt es noch einen großen Konkurrenzkampf zwischen den kulturellen Zentren in der arabischen Welt, allen voran Dubai und Katar. Aber man sieht in Europa, dass es auch anders geht; die Kunstzentren von Berlin, London und Paris existieren alle nebeneinander. In der arabischen Welt denken wir immer, ein Gewinn für die eine Stadt wird der Untergang der anderen sein. Dabei gibt es genug Kultur für uns alle.

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