Gesprächskreis auf der Documenta:Konfrontationsfreier Raum

In Kassel baten Kurator Hans Ulrich Obrist und Architekt Rem Koolhaas zum "Interview Mini-Marathon Deutschland" mit Künstlern. Jedoch: Seltenes Nachhaken der Moderatoren, kaum eine Debatte - das führte dazu, dass der interessierte Besucher für diesen Marathon einen langen Atem brauchte.

Kia Vahland

Eigentlich eine wunderbare Idee: Bildhauer, Architekten, Literaten treffen sich am Rande einer Kunstschau und stehen vor dem Mikrofon Rede und Antwort über ihr Tun und Denken, berichten auch von gescheiterten Projekten, offenbaren ihre Wünsche und Visionen. Der Architekt Rem Koolhaas und der Kurator Hans Ulrich Obrist luden am vergangenen Sonntag zu einem "Interview Mini-Marathon Deutschland" in den Kasseler Kulturbahnhof, den die Documenta diesmal zusammen mit der Zeitschrift "archplus" nutzt.

Hans Ulrich Obrist

Kura- und Moderator: Hans Ulrich Obrist hielt auf der Documenta gemeinsam mit dem Architekten Rem Koolhaas eine Gesprächsrunde mit Künstlern ab.

(Foto: Foto: dpa)

Auf Barhockern sitzen sie einander gegenüber am Stehtisch, der eine schwarz, der andere weiß gekleidet, und bitten ihre Gäste im Halbstundenrhythmus zum Einzelgespräch. Diesmal dauert die Veranstaltung von mittags bis in den späten Abend, in der Vergangenheit haben die beiden Interviewer auch schon 24 Stunden durchgehalten.

Die Konzentration reicht leider auch für die kürzere Variante nicht: Jeder darf reden, so lange und was er will, die Moderatoren haken kaum nach, zur Konfrontation kommt es selten. Die meisten Sprecher beschäftigen sich mit ihrem eigenen Werk, die Interviewer fragen nach Vorbildern und Vorhaben, locken ihr Gegenüber nicht auf wilde Abwege. Es bleibt ein Lauf auf Asphalt, in vorgegebenen Bahnen.

Den Marathon eröffnet die Reporterin und Schriftstellerin Marie Luise Scherer - eine, die nie um die Wette rennt, sondern ihre präzisen Stücke stets ohne Stoppuhr schreibt, wenige im Jahr. Immer wieder an diesem Nachmittag kommen Interviewer und Interviewte auf Scherers Kunst der produktiven Langsamkeit zu sprechen, loben die Treffsicherheit und Tiefe, die allem Dahergesagten abgeht.

Da gibt es keinen Dialog

Der Überdruss am bedeutungslosen Rauschen der Stimmen - vor allem im kommerziellen Fernsehen - ist groß unter den Rednern. Der Regisseur Harun Farocki und die Videokünstlerin Hito Steyerl, beide auf der Documenta vertreten, schwärmen von der Freiheit, Offenheit und Experimentierlust des Kunstbetriebs - im Gegensatz zum reglementierten Film- und Fernsehgeschäft. So gesehen ist es tatsächlich an der bildenden Kunst, die Schwesterdisziplinen zum Gespräch zu bitten: Es wäre eine Chance, intelligenter zu sprechen als in den meisten TV-Formaten, aber assoziativer und weltumspannender als auf akademischen Symposien.

Eine wirkliche Debatte über Kunst, Architektur oder Literatur kommt an diesem Tag leider nicht zustande. Das mag auch daran liegen, dass die Zuhörer auf ihren orangenen Papphockern ausgeschlossen sind vom Geschehen: Einer der Moderatoren dreht einem immer den Rücken zu, wie der Priester im lateinischen Ritus. Unbehelligt von Zwischenfragen aus dem Publikum wird am Tisch geplaudert.

Der Historiker Karl Schlögel erzählt von osteuropäischen Autobasaren, der Künstler Thomas Bayrle beschreibt das Rattern der Webstühle an seinem früheren Arbeitsplatz, Kollegin Antje Majewski frischt Kindheitserinnerungen auf. Der Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler lobt die alten Griechen, der Übersetzer Jeremy Gaines wettert gegen hitzeempfindliche Glasbauten in Nigeria und der Schriftsteller Ingo Niermann verteidigt sein Projekt einer gigantischen Pyramide bei Dessau gegen den Vorwurf totalitaristischer Ambitionen.

Nur als der Stadtbauexperte Dieter Hoffmann-Axthelm die Denkmalpflege einmal wieder eine "rein administrative Befehlsorganisation" nennt, entfährt Koolhaas :"Das schockiert mich!" Damit ist die Diskussion auch schon wieder vorbei. Lustig wird es immer dann, wenn die freundlichen Fragesteller an störrische Gesprächspartner geraten. Etwa wenn Obrist den Künstler Thomas Schütte bittet, er möge sich doch zum Dialog mit der Architektur in seinen Modellbauten äußern. "Da gibt es keinen Dialog", antwortet der, seine Minigebäude seien als Witze über die Architektur gemeint.

Und Koolhaas fragt seinen Architektenkollegen Gottfried Böhm nach dem Skulpturalen in dessen Gebäuden, er fühle sich dabei an die Bauten Frank O. Gehrys erinnert. Böhm antwortet mit ein paar bösen Bemerkungen über Gehry. Wie aufschlussreich wäre an solchen Stellen ein offenes Gespräch zwischen den beiden Architekten am Stehtisch. Koolhaas und Obrist sind viel zu involviert in das kulturelle Geschehen, als dass sie sich auf die Rolle des angeblich unbefangen Fragenden zurückziehen könnten.

Beim Hinausgehen fällt ein Schild auf, das an dem Gebäude prangt: "Betriebsküche". Das ist keine selbstironische Anspielung auf das Betriebsinterne der Veranstaltung. Unter der Woche findet sich eine Tür weiter die Bahnhofskantine.

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