Gesellschaft:Privatstaat auf dem Wasser

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Die 119 Meter lange "A" erlaubt ihrem Eigner, einem Oligarchen, einen sehr distanzierten Blick aufs Festland. (Foto: imago)

Sie ankern vor Venedig und der Cote d'Azur oder auch auf den Bermudas. Die Reichen und ihre Yachten - über das Prinzip "offshore".

Von THOMAS STEINFELD

An der Riva dei Sette Martiri am östlichen Rand der venezianischen Altstadt, der unter Benito Mussolini gebauten Uferpromenade zwischen der Einfahrt zum Arsenale und dem Park, der die Insel beschließt, liegen im Sommer die großen Yachten. Immer sind dort einige dieser kolossalen Privatschiffe zu sehen und versperren den Blick auf die Lagune, und oft wird dann ein Zaun über die Promenade gezogen, der von Sicherheitsdiensten bewacht wird. Die größten und prächtigsten Yachten aber kommen in der Regel in der Woche, in der die Biennale der Kunst schon für die Branche geöffnet ist, während das gemeine Publikum noch warten muss.

Doch auch gegenwärtig, während der Filmfestspiele, liegen sechs oder sieben dieser Schiffe an der Promenade, vielleicht weil in diesem Jahr mehr internationale Stars als gewöhnlich angereist sind. Die Größe der Schiffe nimmt in Richtung Giardini zu: Erst kommt die Vertigo, eine hochmoderne, siebzig Meter lange Segelyacht, die vielleicht Rupert Murdoch gehört (die Besitzverhältnisse lassen sich bei vielen dieser Schiffe nicht ermitteln) und für eine Viertelmillion Euro in der Woche gemietet werden kann. Es folgt die Polar Star, ein gut sechzig Meter langes Schiff, das für die "Eisklasse 1A (schwierige Eisverhältnisse)" gerüstet ist, aber auch schon bei den Marshallinseln gesichtet wurde. Abgeschlossen wird die Reihe mit der Octopus, der 126 Meter langen Yacht Paul Allens, der einst zusammen mit Bill Gates die Firma Microsoft gründete. Das Schiff birgt zwei U-Boote und besitzt zwei Landeplätze für Hubschrauber.

Der Hamburger Kunsthistoriker Wolfgang Kemp veröffentlichte vor einiger Zeit in der Zeitschrift Merkur einen Essay, in dem er die "Megayacht" erklärt ("Der Oligarch. Ein Beitrag zur Berufskunde", August 2014): Eine Yacht, so heißt es darin, sei zunächst etwas sehr Materielles. Der Reichtum nimmt darin eine unmittelbare, greifbare Form an, in einer Art und Weise, wie das zuletzt in Palästen geschah und dann lange Zeit nicht mehr. Aber die Yacht ist noch viel mehr. In ihr, so Wolfgang Kemp, habe das Prinzip "offshore" feste Gestalt angenommen und sich zugleich selbst übertroffen: Der Symbolort habe sich in ein Vehikel verwandelt, das gegenüber den Cayman Islands oder den Bermudas den Vorteil besitzt, sich schnell durch allerhand internationale Gewässer bewegen und dabei nur sehr bedingt überwacht werden zu können. Dieses Vehikel ist einem einzelnen Menschen zugeordnet, für den es vielleicht Bündnisse gibt, aber keine Kooperationen.

Die Yacht "isoliert und eröffnet eine Welt für sich", schreibt Wolfgang Kemp, wobei sich diese Formulierung angesichts des hartnäckigen Gerüchts, dass viele gerade der größten Yachten nicht nur gepanzert, sondern auch etwa mit Flugabwehrsystemen ausgerüstet sein sollen, geradezu euphemistisch ausnimmt. Eine Yacht dieser Größe und Ausstattung ist mehr als eine Fantasie von feudaler Souveränität, komplett mit Mannschaft und klarer Befehlsstruktur. Sie ist ein Staat für sich allein, und deswegen gibt es solche Schiffe - für Oligarchen, für Scheichs und für die wenigen Menschen der westlichen Welt, deren Reichtum so groß ist, dass er für ganze Volkswirtschaften ausreicht und also alle vorhandenen nationalen Ökonomien transzendiert, gewaltig und ungreifbar zugleich.

© SZ vom 08.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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