Gesellschaft:Gefährliche Bilder

Gesellschaft: Annette Vowinckel:  Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert. Reihe: Visual History. Bilder und Bildpraxen in der Geschichte, Band 2. Wallstein-Verlag, Göttingen 2016. 480 Seiten, 34,90 Euro

Annette Vowinckel: Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert. Reihe: Visual History. Bilder und Bildpraxen in der Geschichte, Band 2. Wallstein-Verlag, Göttingen 2016. 480 Seiten, 34,90 Euro

Annette Vowinckel analysiert brillant die politische Fotografie des 20. Jahrhunderts und erklärt, wie Diktaturen damit umgingen.

Von Rudolf Walther

Bereits im Jahr 1963 stellte der von Legenden umwobene österreichische Journalist Karl Pawek (1906-1983) die These vom "Optischen Zeitalter" auf. Es dauerte aber noch mindestens zwanzig Jahre, bis die Sozial- und Kulturwissenschaften erkannten, worüber diktatorische Regimes ebenso lange Bescheid wussten wie kritisch-aufklärerische Fotografen und demokratische Politiker: die komplex-diffuse Macht von Bildern und die Möglichkeiten, diese einzusetzen.

Politische Theorien und Analysen kamen lange ohne Bilder aus. Die Zeithistorikerin und Medienforscherin Annette Vowinckel beleuchtet in ihrem fast 500 Seiten starken Buch die verschlungenen Wege zur Einsicht, wie unhaltbar das war. Sie nähert sich dem Thema von der praktischen Seite her. Das heißt, sie untersucht nicht die Geschichte der jahrhundertealten Ignoranz gegenüber dem Bild und auch nicht die These von der Überlegenheit der Sprache gegenüber dem Bild. Daran ist nicht zu rütteln: Jede Fotografie, und sei sie noch so manipulationsfrei, spricht nicht durch sich selbst, sondern muss erst dechiffriert werden. Fotos sind angewiesen auf Antworten zu folgenden Fragen: Wer hat wann, wo, unter welchen Umständen und in wessen Auftrag oder Interesse und mit welchen Absichten und Methoden ein Foto gemacht? Weil Zeugen dafür fehlten, konnten Fotografien etwa in NS-Prozessen nur eine marginale Rolle spielen. Bilder allein schaffen nur selten gerichtsfeste Evidenz.

Annette Vowinckel dokumentiert die Produktion von Fotos und Kriegsfotos durch Fotojournalisten, Bildredaktionen, Bildagenturen, Zensoren und andere staatliche Institutionen in der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Die Kontexte dieser Bildproduktion sind so unterschiedlich wie die Herkunft und Ausbildung der Macher. Private und staatliche Bildagenturen handelten in Demokratie und Diktaturen ähnlich, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Aber es gibt -außer kulturellen Differenzen auch strukturelle Muster, gemeinsame professionelle Standards und alltägliche Zwänge in der fotojournalistischen Praxis. Die Autorin beschreibt ein buntes Mosaik anhand von Bildquellen aus russischen, japanischen, amerikanischen und europäischen Archiven. Das Ergebnis ist be-achtlich, überraschend und gelegentlich schlicht sensationell.

In der DDR etwa, die als Überwachungs- und Zensurstaat gilt, gab es unter den 55 Gutachten zu Fotobüchern, die Annette Vohwinckel analysierte, ein einziges negatives. Zumindest in dieser Diktatur galt die Wirkungsmacht von Bildern also als "eher gering". Die USA dagegen zogen aus dem Desaster fast freier Bildberichterstattung über den Vietnamkrieg, in dem sie eine Zensur militärisch relevanter Bilder schon allein deshalb nicht einführen konnten, weil sie dort angeblich gar keinen Krieg führten, die Konsequenz, in zukünftigen Kriegen nur noch "eingebettete" oder gar keine Foto- und Filmberichterstattung zuzulassen. Hier sah man Bilder also als Gefahr.

Annette Vowinckel ist ein großer Wurf gelungen, mit dem sie postmoderne Plattitüden und Vereinfachungen zur Bildproduktion kritisiert. So meinte etwa der Flensburger Historiker Gerhard Paul, der Krieg sei "vor allem ein Anschlag auf die Wahrnehmung". Paul verwechselt dabei Krieg mit dem "Krieg" aus dem Fernseh-apparat.

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