Geschichte des Reisens:Liebesnächte auf Tonga

Sie reisten um die Welt, um den Zwängen der Bürgerlichkeit zu entkommen: Die Schweizerin Katharina von Arx und der Franzose Freddy Drilhon führten Mitte des 20. Jahrhunderts ein ungewöhnnliches Leben.

Von Hannes Vollmuth

Niemand muss sich jetzt gleich schlecht fühlen, weil er Katharina von Arx und Freddy Drilhon nicht kennt. Einen deutschen Wikipedia-Eintrag gibt es ja auch nicht. Obwohl das Leben dieser zwei Reisereporter eigentlich prima für einen dieser sepiagefärbten Babelsberg-Filme taugen würde: einsame Südsee-Nächte, Kannibalen, zwei Selbstmordversuche, Liebe, erwiderte und unerwiderte, und dieser übermächtige Feind - die bürgerliche Gesellschaft.

"Nehmt mich bitte mit" heißt der Bericht, den Katharina von Arx nach ihrer Weltreise 1956 veröffentlicht hat und der Verlag Nagel & Kimche jetzt neu herausbringt. Parallel dazu legt der Schweizer Autor Wilfried Meichtry im selben Verlag eine Doppelbiografie zu Katharina von Arx (1929-2013) und Freddy Drilhon (1926-1976) vor. Beide sind nicht nur zusammen gereist, sondern haben auch eine dramatische Beziehung geführt.

Sie, die junge, taffe Schweizerin, bricht mit der Familie, weil sie lieber Künstlerin werden will statt die Ehefrau irgendeines Mannes. Er, sensibel, sanft, der Zögling des Buchanan-Clans in Frankreich, flieht auch, nicht vor einer Frau, sondern vor der Bürgerlichkeit. Vagabund will er sein, schreibend und fotografierend, ein Bohemien. In der Südsee trifft er auf Katharina von Arx und eine Beziehung beginnt: wild, modern, schmerzhaft.

Wie ein Drehbuchautor legt Meichtry beide Lebensfäden aus, die erst nach 200 Seiten tatsächlich verknüpft werden, an einem Strand auf Tonga. Dabei erzeugt der Autor das schöne Gefühl, Katharina von Arx und Freddy Drilhon würden sich unaufhaltsam aufeinander zubewegen. Wie man es aus gut gearbeiteten Thrillern kennt.

Katharina von Arx wächst als Kind eines Filzfabrikanten in der Schweiz auf. Ins Damenwäschegeschäft geht sie nur ungern, rollt aber ein "Zigeunerwagen" durch die Stadt, will das Mädchen nur noch seine Sachen packen und mit. Weil ihr Weg sie aber auf die "Handelsschule für Höhere Töchter" führt, plagt Katharina die Angst, nur "auf das gehobene Dienen" als Ehefrau vorbereitet zu werden. Sie hat andere Pläne. Bald sind ihre Markenzeichen: ein herrlicher Lockenschopf, Zeichenstift und Ukulele. Wobei es eher die rotzfrechen Sprüche sind, die die Herren um den Verstand bringen - Katharina von Arx ist eine Pippi Langstrumpf mit der Geisteshaltung einer Simone de Beauvoir.

Tropenwälder, Krokodiljäger und Kannibalen: Aber das größte Abenteuer ist der Alltag

Wie anders ergeht es da Freddy Drilhon, dem späteren Partner der Katharina von Arx. Der verträumte und hypersensible Junge wächst in einer Pariser Familie auf, die brutal auf das Ansehen erpicht ist und Michel de Montaigne zu ihren Vorfahren zählt. Der tyrannische Vater erstickt die Kunstversuche des Sohnes schon früh, wie überhaupt die ganze Großbürgerlichkeit den jungen Freddy fast erdrückt. Nach dem Zweiten Weltkrieg heuert er auf einem Südsee-Fischkutter in Französisch-Polynesien an, wo endlich seine Sehnsucht gestillt wird. Später lernt er Claude Lévi-Strauss kennen, den großen Ethnologen, wird selbst Journalist und Fotoreporter, der Bilder vom Ende der Welt mitbringt.

Währenddessen hat sich Katharina von Arx auf ihre erste Weltreise gemacht, mehr ein feministisches Experiment als alles andere. Sie reise von Wien nach Zürich, schreibt sie der Mutter, aber in Richtung Osten, also einmal um die Welt. Das Unternehmen wird zum wilden Trip: Indien, Hongkong, Japan und die USA, wenige Jahre später macht sie daraus: "Nehmt mich bitte mit".

Natürlich ist zu spüren, was für ein Abenteuer das gewesen sein muss: eine ledige Frau in Hosen, die mit Ukulele und ohne Geld durch die Welt reist, hinter jeder Ecke ein anderes brünstiges Mannsbild, das zurechtgewiesen werden muss. In Indien bewundert sie die bettelnden Kinder, in Japan die Sitztechnik an einem Tisch: Man kniet. "In raffinierten Häusern", notierte sie, "befindet sich unter dem Tisch ein Loch im Boden, in das man die Beine hängen kann." Man kann es tragisch finden, dass einen solche Sätze kaltlassen, weil es zeigt, wie fremd dem europäischen Leser die Welt damals noch war und wie auserzählt sie heute ist. Aber richtig teilen kann man die Begeisterung auch nicht mehr. Wieder und wieder ergeht sich Arx über ihre indische Pension. Heute ist jede indische Pension auf Tripadvisor.

Am Ende ist nicht die Südsee für beide die größte Herausforderung, sind es nicht die Tropenwälder, Goldsucher, Krokodiljäger oder Kannibalen. Es ist der Alltag, der dem Paar alles abverlangt: die Geldsorgen, der Streit, die Affären, der Versuch, ungewöhnlich zu leben und die Unmöglichkeit, es auf ewig zu tun. Am Ende ist die Zivilisation das noch viel größere Abenteuer.

Wilfried Meichtry: Die Welt ist verkehrt, nicht wir! Verlag Nagel & Kimche, München 2015. 352 Seiten, 24,90 Euro. E-Book: 16,99 Euro.Katharina von Arx. Nehmt mich bitte mit - Eine Weltreise per Anhalter. Verlag Nagel & Kimche, München 2015. 272 Seiten, 21,90 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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