Geschichte der Wikinger:Elch des Sturmwindes

Nachbau eines Wikinger-Schiffs auf dem Weg nach Irland

Der bislang größte Nachbau eines Wikingerschiffs 2007 auf dem Weg von Roskilde nach Irland. Das historische Vorbild stammt aus dem Jahr 1042.

(Foto: dpa)

Ihre Schiffe und ihre nautischen Fähigkeiten machten die Wikinger zum Schrecken einer globalisierten Welt. Rudolf Simek erzählt, wie es zu dieser Überlegenheit kam: durch technische Fertigkeiten und bis dato nie gesehenes Geschick.

Von Stephan Speicher

Gute 250 Jahre, vom späten 8. bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts, dauerte, was wir die Wikingerzeit nennen. 793 war es zum Überfall auf das englische Kloster Lindisfarne gekommen. Was die Beobachter daran wie an den späteren Raubzügen der Wikinger so beeindruckte, das war, mehr noch als deren Kampfkraft und Härte, die atemberaubende Schnelligkeit.

Die Wikinger waren großartige Seeleute, und auch als Binnenschiffer auf den Flüssen Europas bewiesen sie ein nie gesehenes Geschick. Wie war das möglich?

Pünktlich zur großen Wikinger-Ausstellung im Berliner Gropius-Bau hat der Bonner Skandinavist Rudolf Simek in einem schönen kleinen Buch beschrieben, was die Qualitäten der nordeuropäischen Schifffahrt ausmachte.

Ernsthafte Forschungen dazu setzten im 19. Jahrhundert ein. 1880 wurde das "Gokstadtschiff" entdeckt und ermöglichte es zum ersten Mal, sich das Bild eines richtigen Wikingerschiffes zu machen.

Schon bald begann man, Pläne für einen Nachbau zu zeichnen, 1892 wurde dieser auf Kiel gelegt. Im darauffolgenden Jahr brach der Segelschiffkapitän Magnus Anderson mit dem Schiff und einer Crew aus 13 Männern vom norwegischen Bergen auf nach Neufundland. Nach nur 27 Tagen hatten sie ihr Ziel erreicht, von dort ging es weiter nach Chicago zur Weltausstellung.

Die Reise war ein frühes Beispiel experimenteller Archäologie, und Andersen machte bemerkenswerte Beobachtungen. Vor allem beeindruckte ihn die Flexibilität des Rumpfes. Planken und Spanten (das Quergerippe des Schiffes) waren mit Weidenruten zusammengebunden, das war ein ausgezeichneter Einfall der frühen Schiffsbauer.

Das in ihren Techniken rekonstruierte Schiff erwies sich als seefest und schnell: über längere Strecken wurden bis zu elf Knoten erreicht, reichlich zwanzig Stundenkilometer.

Sie liebten ihre Schiffe und ließen sich in ihnen bestatten

Auch die Methode, für die Beplankung die Baumstämme zunächst mit Keilen zu spalten, statt sie zu sägen, war von Vorteil. Die Längsfasern des Holzes bleiben unbeschädigt, das bewahrt ihre Elastizität und trägt zu der des Schiffes bei.

Vor allem aber hatten die Wikinger herausgefunden, wie man mit einem Rahsegel gegen den Wind kreuzen kann. Das kam ihnen auch im Binnenland zugute, denn das Rudern war anstrengend, langsam und entsprechend unbeliebt.

Zum Zwecke der Plünderung fuhren sie die großen Flüsse Mitteleuropas hoch, Seine, Rhein (bis Bonn!), Elbe. Aber sie betrieben ja nicht nur Seeraub und Plünderung. Sie waren auch große Händler, vor allem in Russland, das sie auf den großen Strömen durchfuhren.

Die Seefahrt der Wikinger war weitgehend Küstenschifffahrt, nicht anders als in der Antike. Dafür brauchte es einen Steuermann, der das Revier kannte und nach dem Bild der Küste wusste, wo er war.

Aber neben den Beutezügen und den Handelsfahrten gab es für die Wikinger noch einen dritten Grund, an Bord zu gehen. Das war die Siedlungsbewegung. Hier musste man von Skandinavien auf dem Weg nach Schottland, auf die Orkneys, die Hebriden, die Shetlands, nach Island das offene Meer überqueren. Wie konnte das gelingen?

Entdeckungen bei Irrfahrten

Die Wikinger sind ein Lieblingsthema der Populärkultur, über sie wird aus Herzenslust spekuliert. So hat man behauptet, sie hätten über frühe Formen des Kompasses oder über so etwas wie eine Peilscheibe verfügt. Belegt ist das nicht.

Belegbar, so Simek, sind dagegen Beobachtungen des Sonnenstandes und des Polarsterns, dazu die Benutzung von Segelanweisungen. Die Bestimmung der geografischen Breite war damit annäherungsweise möglich, die der Länge (der Position auf der Ost-West-Achse) blieb dagegen eine Sache der Erfahrung.

Nicht ganz selten verirrte man sich, so erst kamen die Entdeckungen Islands, Grönlands und Neufundlands zustande. Doch dass die Wikinger später imstande waren, die Orte, auf sie man zufällig gestoßen waren, zuverlässig wiederzufinden und diese Fähigkeit weiterzugeben, bleibt eine bewunderungswürdige Leistung.

Die Wikinger haben ihre Schiffe geliebt. Sie haben sie geschmückt, sie haben sich in ihnen bestatten lassen, sie haben sie mit poetischer Lust benannt: "Falke des kühlen Landes" oder "Elch des Sturmwindes". "Starkes Zugtier der Umgürtung aller Länder" hieß ein Lastschiff. Seine Herren fühlten sich als Bewohner einer globalisierten Welt. Respekt!

Rudolf Simek: Die Schiffe der Wikinger. Reclam, Stuttgart 2014. 112 Seiten mit 36 Abb., 12, 95 Euro.

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