Gesammelte Werke von Jane Bowles:Mehr Kapitulation als Liebe

Männer sind hier nur willenlose Versager oder eindimensionale Businesstypen. Doch auch für die Frauen erfüllt sich im gesammelten Werk der amerikanischen Schriftstellerin Jane Bowles das Versprechen nicht, das die Autorin ihren Figuren macht. In ihrer Welt lohnt es sich nur, für das Schreiben zu kämpfen.

Hilmar Klute

Seit ein paar Jahren werden exzentrische und verhältnismäßig früh gestorbene Schriftstellerinnen - man denkt an Annemarie Schwarzenbach, Anne Sexton, auch Ingeborg Bachmann - nicht selten unter der sonderbaren Rubrik "Frauen, die schreiben, leben gefährlich" oder "Frauen, die lesen, sind gefährlich" abgeheftet. Dieser Unfug soll wohl noch einmal hervorheben, dass Frauen, die sich mit Texten beschäftigen, einen Grad an geistiger Wachheit erreichen, der anderen Frauen versagt bleibt.

Als würde diese Regel nicht auch für Männer gelten, wird beinahe jede Wiederentdeckung einer aus dem allgemeinen Bewusstsein geratenen Autorin derart neofeministisch aufgebrezelt. Auch die amerikanische Schriftstellerin Jane Bowles entgeht dem Dangerous-Women-Klischee nicht vollständig - "Frauen sind unergründlich, mysteriös und unanständig" lautet der Titel des mit biografischen Informationen und essayistischen Annäherungen aufschlussreich gefüllten Beihefts zur Neuausgabe des schmalen Gesamtwerks von Jane Bowles bei Schöffling.

Jane Bowles hat ihr Leben vor allem damit zugebracht, mit dem Schreiben zu ringen. 1917 in New York geboren, war sie ein kränkliches Kind, dem aber, weil Geld zur Verfügung stand, in Sanatorien und auf Schweizer Privatschulen eine umfassende Bildung zuteil wurde. Kaum zwanzig, trifft sie den viel älteren Musiker und Dichter Paul Bowles, heiratet ihn auch aus Lust am Tabubruch - er, schwul, sie lesbisch, das klingt nach einer vorzüglichen Polung im Hinblick auf hedonistische Lebensart und skandalöse Eskapaden.

Das Leben der beiden erwies sich als unstet und aufregend, allerdings mehr für Paul. Jane Bowles' Weg zur Schriftstellerei war zugerümpelt mit Selbstzweifeln, Medikamentenabhängigkeit, desaströsen Liebesverhältnissen zu Frauen sowie mangelnder Wertschätzung von Kritikern und Verlegern. Eigentlich bringt ihr nur ihr erster, 1943 erschienener, Roman "Two serious Ladies" Anerkennung ein.

Immer wieder versucht sie, Stücke für den Broadway zu schreiben, manches bricht sie ab, anderes gelangt gar nicht erst zur Aufführung oder wird nach kurzer Zeit abgesetzt. Ende der fünfziger Jahre erleidet Jane Bowles ihren ersten Schlaganfall. Mit 56 Jahren stirbt sie 1973 in einer psychiatrischen Klinik in Málaga, der wilde Abenteurer Paul Bowles hat sich bis zuletzt um sie gekümmert und ihr ein Grab auf dem Friedhof von Málaga besorgt.

Nicht gefährlich, eher unentschieden

Was ihr gelungen ist, legt Schöffling jetzt in der Neuübersetzung von Brigitte Walitzek zum ersten Mal als Gesamtausgabe auf Deutsch vor: den Roman "Zwei sehr ernsthafte Damen" und eine Sammlung ihrer Kurzgeschichten unter dem Titel "Einfache Freuden". Hier wie dort sind die Frauen, um die es geht, nicht gefährlich, sondern eher unentschieden, ob sie sich den Wagnissen des Lebens stellen sollen oder nicht.

Christina Goering ist eine der zwei ernsthaften Damen aus Jane Bowles' Roman, eine New Yorker Industriellentochter mit eigenem Haus. Eines Tages erhält sie Besuch von einer entfernten Bekannten, Miss Gamelon, die sich in Frau Goerings Haus wohl fühlt und bleiben darf. Es wird überhaupt erstaunlich viel dageblieben in den Geschichten der Jane Bowles, die selbst so viel unterwegs war.

Der unsägliche Junggeselle Arnold, den Miss Goering auf einer Party kennenlernt, bleibt nach kurzer Zeit ebenfalls bei ihr - die Ménage-à-trois erweist sich aber als freudlos und nervenaufreibend. Zuvor hatte Christina in Arnolds Elternhaus übernachtet, bewundert von Arnolds Vater, der seinen Sohn, wohl nicht zu Unrecht, als Würstchen betrachtet und sich mehr als dieser berechtigt fühlt, sich in Miss Goering zu verlieben.

Etwas haltloser lässt Jane Bowles die andere Dame, Mrs Copperfield, mit ihrem Mann durch Panama reisen. Frieda Copperfield stürzt sich in die Welt der Prostituierten von Colón, wird die Lebenspartnerin des Mädchens Pacifica und einer Lesbe namens Peggy Gladys, für deren ausuferndes Leben immerhin ein Ehemann geradesteht.

Unterdessen wird Miss Goering ihre Gemeinschaft mit Arnold und Miss Gamelon zugunsten einer Liebschaft mit einem verwahrlosten älteren Mann namens Andy aufgeben, diesen wiederum für einen Zuhälter namens Ben zum Teufel jagen. Ben aber ist ein kalter Geschäftsmann, und am Ende findet sich Miss Goering verlassen in einem Speiselokal wieder, das kurz darauf die ebenfalls von Pacifica verlassene Mrs Copperfield betritt - die beiden finden nicht zueinander, zu groß ist der Abscheu vorm Lebenswandel des anderen.

Unerfüllte Versprechen

Jane Bowles' Kunst war es, ihren Figuren ein Versprechen zu machen: das Versprechen von Promiskuität, von selbstverständlichem Miteinander und der Auflösung der eigenen Lebensvorbehalte in einer verzückten Liebesbeziehung. In keinem Fall erfüllt sich dieses Versprechen, und weil Jane Bowles klug genug war, ihre Frauen mit einem nur geringen Maß an Hoffnung und Zutrauen auszustatten, richtet das Unglück nur selten wirkliche Verheerungen an.

Die Witwe Alva Perry in der Kurzgeschichte "Einfache Freuden" lädt ihren schweigsamen Nachbarn John Drake zum Kartoffelrösten in den Garten ein. Er revanchiert sich mit einem Restaurantbesuch und kassiert für seine nicht einmal indezenten Avancen eine Grundsatzzurückweisung der einsamen Alva, die während des Redens immer betrunkener wird und bei der Toilettensuche irrtümlich im Bett des Wirts landet.

Komisch ist das nicht, es ist vielmehr gänzlich trostlos, genau wie die Liebesbemühungen von Señorita Córdoba in der Geschichte "Eine guatemaltekische Idylle", die Bowles ursprünglich als Kapitel ihres Romans vorgesehen hatte.

Die Señorita muss sich in einen verspießerten Amerikaner verlieben, der sich Gedanken macht, wie er die Liebesnacht gegenüber seiner Familie rechtfertigen würde; überhaupt wäre ein Blick auf Bowles' Männerfiguren interessant: Entweder sind sie willenlose Versager wie Arnold oder eindimensionale Businesstypen, denen der Beischlaf eine ärgerliche, freilich unumgängliche Notwendigkeit ist.

Und dann die kleinen Mädchen, die bei Jane Bowles oft einen leicht diabolischen Zug haben, weil sie im Stillen imaginäre Imperien aufbauen. Lilina setzt alles daran, einem Jungen seine Schlange abzukaufen: "Sie wählte ihre Spielsachen nach dem Maß an Macht oder Verantwortung, die sie ihr, ihrer Meinung nach, in den Augen der anderen verleihen würde." Später wird Lilina die Schlange an einem Busbahnhof aussetzen, wo sie zermalmt wird. Und Mary in der Geschichte "Eine grüne Zuckerstange" befehligt in ihrer Lehmgrube eine imaginäre männliche Armee, bekommt es aber nicht hin, sich dem verhätschelten Jungen Franklin anzunähern, in den sie verliebt ist.

Für Liebhaberinnen starker und gefährlicher Frauen dürfte in der Welt der Jane Bowles wenig zu holen sein. In ihren Erzählungen wird mehr kapituliert als geliebt, mehr geflüchtet als umarmt, und wenn sich ihre Männer und Frauen zu Paaren oder Gruppen zusammenfinden, dann nur, um zu erkennen, dass es so gut wie gar nicht miteinander geht.

Es gibt keine Pose in diesen Texten, nicht die der Diva, nicht die des Opfers. Und es gibt keine Sieger, nicht einmal Verlierer - weil in der Welt der Jane Bowles nichts vorkommt, für das es sich zu kämpfen lohnt. Mit Ausnahme des Schreibens - und da hat Jane Bowles zumindest mit ihren Erzählungen, sagen wir: überlebt.

JANE BOWLES: Gesammelte Werke. Zwei sehr ernsthafte Damen. Roman. Einfache Freuden. Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Walitzek. Zwei Bände und Beiheft im Schuber. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2012. 296 S., 208 S. und 80 S., 44 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: