"Gerhard Richter Painting" in der SZ-Cinemathek:Eisbergspitzen von Bekenntnissen

"Gerhard Richter Painting" in der SZ-Cinemathek: Gerhard Richter öffnete der Filmemacherin Corinna Belz im Frühjahr und Sommer 2009 sein Atelier, wo er an einer Serie großer abstrakter Bilder arbeitete.

Gerhard Richter öffnete der Filmemacherin Corinna Belz im Frühjahr und Sommer 2009 sein Atelier, wo er an einer Serie großer abstrakter Bilder arbeitete.

(Foto: GERHARD RICHTER PAINTING - Ein Film von Corinna Belz)

Es muss ein unausgesprochenes Vertrauensverhältnis geherrscht haben zwischen dem Maler und der Filmemacherin, andernfalls hätte Corinna Belz dem schweigsamen Gerhard Richter nicht so nahe kommen können, ohne ihm zu nahe zu treten.

Hans Zischler

Zu Beginn dieses Films sieht man den Maler Gerhard Richter eine Videokamera auf ein Stativ montieren. Es scheint nicht gleich zu klappen, mit etwas Geduld geht es dann. Mit der Wahl dieses Moments hat Corinna Belz ein entscheidendes Thema ihrer Betrachtung und ihres Gesprächs mit dem Maler unaufdringlich angeschlagen: Geduld beim Zuhören und Diskretion im Fragen und unbefangenen Nachhaken, getragen von Neugierde und Entdeckerlust.

Und so wie der abwägende und leise, dann entschieden zupackende Maler ans Werk geht, folgt sie ihm mit ihrer Kamera (und einem Ton, der uns die schroffen Geräusche dieser Malerei gegenwärtig macht). Immer wieder geht Richter auf Distanz zu den entstehenden Tafelbildern, tritt er weit zurück, verharrt, prüft, verwirft und zweifelt, um dann erneut mit Hilfe seiner Gerätschaften in den Clinch zu gehen - und in den Atempausen dieser Auseinandersetzung entlockt die Cineastin ihm erhellende Äußerungen, laut Gedachtes und Eisbergspitzen von Bekenntnissen.

Gleichgültig ob Richter kleine oder große Formate sich vornimmt, ob er realistisch oder abstrakt malt, immer geht es um die Malerei selbst. Die anarchische, ja anarchistische Kraft, die in diesen Bildern steckt, tritt in diesem Film besonders dann deutlich hervor, wenn wir den erregenden Augenblick ihrer Entstehung und explosionsartigen Entfaltung in einer überaus geordneten Umgebung erleben dürfen. Wie versierte Chemiker mixen die Assistenten die Farben und munitionieren Richter für den Malakt, der in eine ganz offenbar unvorhersehbare Richtung zielt. Als gelte es, die Malerei jedes Mal von neuem zu erfinden.

Mit mächtigen gelben Quaststrichen wird der Anfang für ein großformatiges Diptychon gesetzt, und in immer neuen Anläufen, mit Schiebern und Spachteln, wird Schicht um Schicht aufgetragen, verteilt und verschliert. In dem Maße, wie das Bild hervortritt, entfaltet sich ein Dialog zwischen dem Maler und seinem Gegenstand auf der einen und der Cineastin (mit Kamera) auf der anderen Seite. Dieses Dreiecksverhältnis aus der Nähe zu verfolgen und mittelbar an ihm teilzuhaben, ist eine der großen Leistungen dieses Films.

Nüchtern, knapp und bestimmt teilt sich Richter mit, zum Beispiel darüber, dass ein entstehendes Bild nicht unmittelbar beurteilt werden darf, welchen gefälligen und gefährlichen Selbsttäuschungen der Künstler ausgesetzt ist. Einmal scheint der Prozess ins Stocken zu geraten, wenn Richter bemerkt, dass die anwesende Kamera ihn ungewohnt exponiere und beeinträchtige und ratlos mache. Und es spricht für Richters Generosität, dass er diese experimentelle Zumutung benennt, ohne sie sogleich beenden zu wollen.

Einladung, sich Zeit zu nehmen

Im Binnendialog zwischen dem Künstler und seinem Tafelbild auf der einen und der behutsam und beharrlich erkundenden Cineastin auf der anderen Seite treten die stärksten Momente dieses Films zutage, weil die Zeit gewährt wird, die dieser skeptische Künstler benötigt.

In solchen Augenblicken erschließt sich neben der Person auch der Raum selbst. Es ist eine unbestreitbare, manifeste Qualität der Videographie, dass dieses Medium, anders als die maximal zehnminütigen Filmkassetten der vergangenen Jahrzehnte, förmlich dazu einlädt, sich Zeit zu nehmen, sich umzublicken, innezuhalten, etwas an- und ausklingen und verstreichen zu lassen.

Ein anderes Augenmerk richtet die Cineastin auf den Betrieb und den Ruhm, in dem Richter sich bewegt. Mit Beckett'schem Sarkasmus pariert er Fragen, wie er mit seinem Ruhm umgehe - er sagt, dass der Rummel ihn gelegentlich vom Malen abhalte oder, ganz nebenbei, dass all die geblitzten Fotos, die von ihm bei solchen Gelegenheiten geschossen würden, zum Wegschmeißen seien.

Grau in Grau in einem anderen Licht

Sehr gezielt setzt Richter ein paar Widerhaken in die feierlich austarierten Ausstellungsräume, wenn er beispielsweise zu Kaspar König sagt, dass das Licht im Museum Ludwig richtig kalt zu sein habe und die Leute froh sein sollten, wenn sie wieder rausgehen können; sie sollten sich nicht wohlfühlen.

Vor einem der Auschwitz-Fotos an seinem Arbeitsplatz, auf dem ein Sonderkommando mit der Verbrennung der Leichen beschäftigt ist, hält er wegen der vermeintlichen Leichtigkeit der tänzelnden Körper verwundert inne und erinnert sich, dass diese Grausamkeit ihn beschäftige, seit er sie nach dem Krieg zum ersten Mal gesehen habe.

Die Cineastin muss mehr als nur ein sicheres Gespür für den richtigen Augenblick, für den Augenblick der richtigen Frage gehabt haben, es muss ein unausgesprochenes Vertrauensverhältnis geherrscht haben, andernfalls hätte sie diesem schweigsamen Künstler nicht so nahe kommen können, ohne ihm zu nahe zu treten.

Bewegend der Ausruf "Oh, the whole family!", der ihm entfährt, wenn er in der Londoner National Portrait Gallery den Raum mit den zahlreichen Familienporträts betritt.

Katechetische Fragerei

Beim Betrachten und Sortieren der Fotos aus der Kindheit fällt das von Trauer grundierte Wort von den "Gletschertoten", wenn er bekennt, die Eltern nach der Flucht nicht mehr gesehen zu haben. In der Erinnerung würden sie ja nicht mehr altern, sobald man von ihnen getrennt ist. Eine Bemerkung, die das Grau in Grau bestimmter Familienbilder in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Dieser Film über den Maler ist ein großes Dokument auch darüber, dass es eben nicht genügt, wie dies leider zu häufig in sogenannten Kulturfilmen der Fall ist, auf der einen Seite den Künstler in eine katechetische Fragerei zu verwickeln, in der Hoffnung, es würden schon ein paar verwertbare Statements dabei abfallen, und im Übrigen aus dem Off die vorgeblich unverzichtbaren 'Infos' einzuspeisen, was nur dazu führt, dass man schließlich weder den Bildern noch den Texten trauen und folgen mag. Diese Fallstricke hat Corinna Belz souverän gemieden.

GERHARD RICHTER PAINTING, D 2011 - Regie, Konzept: Corinna Belz. Kamera: Dieter Stürmer, Johann Feindt, Frank Kranstedt. Montage: Stephan Krumbiegel. Mit: Gerhard Richter, Norbert Arns, Sabine Moritz-Richter, Kasper König. Verleih: Piffl, 97 Minuten.

Der Schauspieler, Autor, Filmemacher, Verleger Hanns Zischler lebt in Berlin.

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