Gerhard Polt wird 70:Ja mei

"In der Banalität sind die feinsten Sachen drin, Delikatessen geradezu", sagt Gerhard Polt. Nun wird der Kabarettist siebzig - nicht mehr und nicht weniger, aber quasi immerhin. Eine Begegnung im Biergarten.

Alex Rühle

Mit dem Polt ist es wie mit Mozart. Oder wie mit den Alpen. Was soll man schon drüber sagen. Man kann so etwas betrachten. Hinhören. Sich inwendig freuen an der ganzen Pracht. Sobald man aber drüber redet, macht man sich auch schon zum Deppen. Respektive Schwätzer. Würde man alle Humortheoretiker des Landes vor Gerhard Polt aufbauen und sie würden ihre Erklärungsversuche abgeben, Polt würde dastehen, massiv schweigend, das ganze Gerede in sich verschwinden lassen wie in einem schweren Filzvorhang, die Achseln zucken und sagen: "Ja mei."

Gerhard Polt im Altwirt in Faistenhaar

"Dasitzen kann ich": Gerhard Polt beim Altwirt in Faistenhaar. Zuhören und lauschen, das kann er auch.

(Foto: Gerald von Foris)

Oder, wie jetzt gerade: "Man kann im Grunde ja schon anfangen mit der Frage: Was heißt denn eigentlich verstehen? Weil: Da wird's ja schon kritisch." Polt lacht leise und schaut dann wieder zum Fotografen, der ihn gerade bat, einfach nur dazusitzen. "Ja, sehr gut", sagt Polt, "dasitzen, das kann ich." Fotograf: "Und können wir das gleich machen? Nachher steht das Licht wieder anders." Polt: "Des ist ja eben des mit dem Licht, das macht ja dauernd, was es will, das Licht."

Der Altwirt in Faistenhaar, ein kleiner Biergarten südlich von München. Vögel singen, alles blüht, das Licht macht den ganzen Nachmittag, was es will, und mitten drin sitzt Gerhard Polt wie ein bayerischer Buddha und wundert sich ein wenig über das Gewese, das momentan um ihn gemacht wird.

Die Feierlichkeiten und Würdigungen zu seinem 70. Geburtstag an diesem Montag sind nahezu unüberschaubar, das Münchner Literaturhaus widmet ihm eine sehr schöne Ausstellung, der Verlag "Kein und Aber" kommt mit einer voluminösen Gesamtausgabe und einem großen Gesprächsband raus, der Autor Gerd Holzheimer hat sich an einer Biographie versucht, die Feuilletons stehen Schlange vor Polts Haus in Schliersee und stellen ihm Fragen, als sei er Deutschlands hauptamtlicher Humorpotentat. Ihm selbst ist das eigentlich alles zu viel, am liebsten wäre er gar nicht da, aber jetzt kommt ja der Schwager aus Caracas extra angeflogen, "da kann ja nicht ich plötzlich in Schweden sein. Und es kommen noch ein paar Freunde. Denen hör ich dann zu und lausch ihnen und gut is'".

Zuhören und lauschen. Schöne Umschreibung für die Grunddisposition des Gerhard Polt. Der Mann strahlt mit jeder Faser seines Wesens Ruhe und Zufriedenheit aus. In seinen Figuren zeigt er oft die morsche, faulige Unterseite der bayerischen Gemütlichkeit, im richtigen Leben aber wirkt es, als sei der Mann Sein und Zeit in Reinform. Er ist ein ausnehmend einnehmender Gesprächspartner, gesellig, gescheit und bescheiden. Mit geradezu liebevoller Hingabe spricht er von seinen Weggefährten, von Otto Grünmandl, den Well-Brüdern oder Jörg Hube, der vor Jahren mal von der "monströsen Präsenz dieses Polts" sprach. Gerhard Polt lacht, als er das Zitat hört, freundlich, aber plötzlich auch mit einer Prise Hinterfotzigkeit.

Eigentlich sollte er nur einen Schweinsbraten verzehren

Es gibt ja den Satz, nichts sei schlimmer für einen Schauspieler, als wenn ein kleines Kind oder ein Tier auf die Bühne komme, schließlich wendet sich die Aufmerksamkeit des Publikums automatisch vom eigentlichen Geschehen auf diese Wesen, weil nie vorauszusehen ist, was sie in der nächsten Sekunde tun werden. Man muss den Satz seit 35 Jahren ergänzen: Nichts ist schlimmer für einen Schauspieler, als wenn er die Bühne mit einem Kleinkind, einem Tier oder Gerhard Polt teilen muss: Der große Jörg Hube hatte den damals noch völlig unbekannten Polt Ende der siebziger Jahre auf der Kleinkunstbühne der "Kleinen Freiheit" gesehen und vom Fleck weg für die Kammerspiele engagiert.

Armer Hube. Hatte keine Ahnung, welchen Großauratiker er sich da auf die Bühne holte. Polt sollte während Hubes Soloprogramm nur am Rand der Bühne sitzen und einen Schweinsbraten verzehren. Schon nach wenigen Abenden wirkte es, als agitiere Hube panisch an gegen die genüsslich stumme Präsenz, diese fast schon unverschämte Eindringlichkeit seines Mitessers.

Ein planschendes Vollbad in der Zeit

Deutschlandweit berühmt wurde Polt laut offizieller Geschichtsschreibung ja dann ebenfalls mit exzessivem Schweigen, wobei das gar nicht stimmt. Es heißt, er habe bei der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises 1980 die zehnminütige Redezeit verstreichen lassen, ohne irgendetwas zu sagen, aus Protest darüber, dass obrigkeitshörige ZDF-Redakteure aus einem seiner Texte den Spottnamen "Old Schwurhand" für den damaligen Innenminister Friedrich Zimmermann gestrichen hatten.

Gerhard Polt wird 70: Gerhard Polt im Jahr 1984 - damals wie heute bleibt ihm viel Gelegenheit sich zu wundern.

Gerhard Polt im Jahr 1984 - damals wie heute bleibt ihm viel Gelegenheit sich zu wundern.

Polt aber sagte sehr wohl etwas, ziemlich viel sogar. Eben darüber, dass er jetzt nichts sagen werde. Zwischendurch schaute er immer wieder auf die Uhr: "Ja, des is jetzt zäh wie Sirup, gell, ich weiß es." Es war aber gar nicht zäh. Noch heute muss man beim Anschauen dieser zehn Minuten unweigerlich glucksen, wenn man Polt dabei zusieht, wie er die Zeit genüsslich zerdehnt, ja es ist, als ob er ein planschendes Vollbad in ihr nimmt.

"O mei, die Zeit", sagt Polt jetzt, "die musst dir nehmen, sonst hast ja keine."

Wir könnten uns jetzt also die Zeit nehmen, einmal mehr von seiner Kindheit im zerbombten München und in der Altöttinger Metzgerei mit Auskochgeschäft zu erzählen. Vom Studium der Politikwissenschaften und Skandinavistik, wobei "mei, Studium, das klingt so hochtrabend, fleißig studiert hab ich ja nie". Von "Fast wia im richtigen Leben". Wenn man sich heute Szenen daraus anschaut, mag man's kaum glauben, wie lang das alles her ist, tiefe BRD-Zeiten, Kohl war noch nicht Kanzler, die Leute trugen Pepitahüte, Telefone schellten, die Wohnungen, in denen Polt und Gisela Schneeberger spielen, sehen aus, als würde es darin nach Kartoffelsuppe und Nachkriegsstaub riechen. Und trotzdem funktionieren die Szenen mit all diesen biederen Grantgaranten namens Grundwirmer oder Deutelmoser noch immer.

Überhaupt ist vieles rätselhaft

Aber das ist ja alles so biographisch, und Polt sagt, ein Mensch, der lebe, verdiene prinzipiell keine Biographie. Also reden wir lieber von der Gegenwart, wenn nicht gar Zukunft: Es gibt große Pläne für die nächsten Jahre, ein Theaterstück wird kommen, ein Film mit Gisela Schneeberger ist in Arbeit, Schneeberger wird die junge Eva Braun spielen und er selbst einen Amateurfilmer, "der ganz besessen ist von der Filmerei und dauernd draufhält. Diese Obsession alles festzuhalten und unbedingt etwas hinterlassen zu wollen - das ist mir ein Rätsel".

Es ist überhaupt vieles rätselhaft. Polt kommt gerade aus Schweden zurück, wo er einen Auftritt in der deutschen Schule hatte. Danach kam ein älterer Herr auf ihn zu und sagte, er habe ihn vor 35 Jahren in München gesehen. "Ich weiß noch", sagt Polt, den alten Mann zitierend, "da hast du gespielt: ,Da hat's oan derbazzt.' Ich dachte, ich spinne."

"Die Kinder - ein einziger Baaz"

"Heid hods oan dabaazt, beim Schnapper vorn" erzählt von einem Mann, der in die Wirtschaft kommt und von einem schweren Verkehrsunfall berichtet. Der Erzähler weidet sich an diesem entsetzlichen Unfall, indem er in einer Art Endlosloop das "Derbaazen" sprachlich zelebriert. "Ich habe diese Szene damals selbst erlebt in Miesbach", sagt Polt. "Der andere am Tisch hat immer gelauert, ob's nicht noch ein bisschen grausiger geht. Und der Mann hat ihn da wirklich keine Minute im Stich gelassen und immer neue Details geliefert: ,Die Kinder - ein einziger Baaz.'"

Mit Polts Gesicht ist es in solchen Momenten wie mit dem Licht an diesem Nachmittag, es macht, was es will. Gerade noch funkelte er einen an mit freundlich ruhigem Blick, plötzlich aber hat er den brachial vorgeschobenen Unterkiefer und die tief hinter der Stirn brütenden Augen seiner Figuren, die völlig unbeirrt querfeldein durch die Logik stapfen und ihre kruden Sätze dabei mit absolut wasserdicht klingenden "weils" und "insoferns" verschweißen. Stiernackig, krähwinkelhaft und geradezu monströs in dieser genießerischen Freude am immer neuen Derbaazen.

Dann schüttelt er den Kopf und da sitzt wieder der alte Polt mit seinem edel herausgewitterten Schädel, der die Reste seines Rhabarberkuchens an zwei Spatzen verfüttert und dabei sagt: "Das meiste ist ja banal, was nicht heißt, dass es nicht komisch ist. In der Banalität sind die feinsten Sachen drin. Delikatessen geradezu." Aus der Ferne grüßen die Alpen in den Biergarten, aus dem Handy der Bedienung quäkt Mozarts "Kleine Nachtmusik", und der Perfektionist Gerhard Polt, der seine Stücke so genau einübt und immer wieder umschreibt, serviert seine Lieblingslüge, die vom bescheidenen Stenographen des Daseins, der den ganz normalen Wahnsinn ja bloß eins zu eins auf die Bühne stelle: "Wenn man derart bereichert aus dem Wirtshaus nach Hause gehen darf wie ich nach dem Derbaazen - da musst nix mehr dazuerfinden. Aber dass dieser Schwede das nach 35 Jahren noch wusste . . ."

Polt wiederholt das Zitat mehrmals in schwedisch gefärbtem Bairisch: "Då håts ein derbazzt." Die Nummer ist mehr als 30 Jahre alt, der alte Schwede aber behielt sie bis heute im Ohr, und Polt kann es nicht fassen.

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