Georg Baselitz im Haus der Kunst:Dem Adler den Hals umgedreht

Georg Baselitz im Haus der Kunst: Aus vielen neuen Gemälden verbannt Baselitz die Kontraste - und ertränkt sie in den dunkelsten Farbtöpfen.

Aus vielen neuen Gemälden verbannt Baselitz die Kontraste - und ertränkt sie in den dunkelsten Farbtöpfen.

(Foto: Regina Schmeken)

Georg Baselitz mied die Abstraktion wie den sozialistischen Realismus und malte seine Figuren kopfüber. Das Münchner Haus der Kunst zeigt nun eine große Werkschau - und neue, düstere Bilder.

Von Kia Vahland

Nun hat er es doch getan. Vierzig Jahre lang hatte er sich geweigert, war stolz auf seinen Trotz. Gerupft hatte er das Vogelvieh, ja, aber es umbringen? Niemals! Er liebte das Tier wie sein eigen Fleisch und Blut, schleppte es von Bild zu Bild, zauste seine Flügel, ließ es immer wieder kopfüber vom Himmel stürzen wie einen Ikarus. Alles machte der Adler mit, dieses Symbol der Herrschaft, das vom römischen Reich der Antike über das alte Deutschland bis zum Wappen der Bundesrepublik noch jeden Machtwechsel überlebt hat. Seit 1972 ist der Adler das Maskottchen von Georg Baselitz, es steht für seinen Einfluss in der Kunst. Denn mein ist das Reich der Malerei und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Jetzt aber hat Baselitz seinem Liebling eigenhändig den Hals umgedreht. Hat den Vogel eingeäschert, unter dunklen Farbschlieren begraben. Der Adler ist tot, sein Reich nur noch das Gestern. Und die Grabstätte ist so symbolträchtig wie nur irgend möglich: Es handelt sich um die von den Nationalsozialisten errichtete Ehrenhalle im Münchner Haus der Kunst. Im Haus der Täter stirbt der Adler, der in seinem langen Leben auch einmal Reichs- sowie (mit nach rechts gedrehtem Kopf) Parteiadler der Nazis war. Weswegen man ihm nach dem Krieg vielerorts, auch in München, an den Fassaden öffentlicher Gebäude einfach das steinerne Hakenkreuz aus den Krallen schlug und das Vogelrelief zum demokratisch gesinnten Bundesadler umdeutete.

Entscheidung für das Schwarz

Die Münchner Institution für Gegenwartskunst zeigt ab dem heutigen Freitag eine große Werkschau des 76-jährigen Künstlers. Das ganze Œuvre fächert sich hier auf, von den ersten über Kopf gepinselten Bildern über die Auseinandersetzungen mit den Nachkriegs-Avantgarden bis hin zu der "Remix"-Serie, in der Baselitz vor einigen Jahren seine alten Kompositionen wiederholt und verbessert hat.

Die große Überraschung aber sind die mächtigen neuen Gemälde in der Mittelhalle: Baselitz verbannt alle Farbkontraste aus den Bildern, verzichtet auf Figuren und Konturen. Und ertränkt seinen geliebten Adler in den dunkelsten Farbtöpfen: blau-schwarz, braun-schwarz, dunkelgrün-schwarz schimmern diese Leinwände. Der dicke Pinsel hat dunkle Hügel und Täler aus fetten Ölpasten auf der Bildoberfläche zurückgelassen; die Gemälde sehen aus wie raue Sterne, auf die keine Sonne scheint. Den Adler hat Baselitz auf den Bildern gründlich übermalt, und es gehört schon viel Phantasie und guter Wille dazu, seinen Leichnam unter den düsteren Farbmassen ausmachen zu wollen.

Die ungewöhnliche Entscheidung für das Schwarz wirft zwei Fragen auf: Was bedeuten diese finsteren Abstraktionen für Baselitz' und damit auch unser Verständnis der modernen Kunst - schließlich hat er ja wie kein anderer seit seiner Jugend auf einer irgendwie noch gegenständlichen Malerei beharrt? Und: was wird jetzt aus uns - ohne den Adler, der uns in dieser Bildwelt bislang unter die ungepflegten Fittiche nahm?

Baselitz' Trick: Figuren kopfüber malen

Georg Baselitz wurde 1938 als Hans-Georg Kern in Sachsen geboren. Er wuchs in die erste Diktatur hinein und in der zweiten auf. Nach einem Jahr flog er wegen "gesellschaftspolitischer Unreife" von der Ost-Berliner Kunsthochschule und wechselte an die West-Berliner Akademie. Dort kappte er seine Wurzeln nicht, sondern wählte seinen Künstlernamen nach seinem Geburtsort Deutschbaselitz im heutigen Landkreis Bautzen.

In den Sechzigerjahren gelang es ihm, sich doppelt zu entziehen: Er mied die mit einigem ideologischen Aufwand betriebene Mode der Abstraktion, in der vor allem Amerikaner die einzig wahre Kunst der freien Welt erkennen wollten. Und er verachtete weiterhin den Sozialistischen Realismus der DDR. Um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, mit seiner Gegenständlichkeit daran anzuknüpfen, verfiel er 1969 auf den Trick, seine Figuren kopfüber zu malen. Das ist seither oft belächelt und karikiert worden, bleibt aber ein großartiger Ausweg aus dem Dilemma der Kunst im Wettlauf zweier politischer Systeme.

Wer jetzt in München die ersten Kopfüber-Gemälde wiedersieht, etwa den Doppelakt des Ehepaars Baselitz von 1975, macht eine ganz unklassische Erfahrung. Normalerweise zieht ein Bildnis seine Betrachter in einen stummen Dialog. Seit der Frührenaissance schauen uns die Abgebildeten gerne an, flirten mit uns, suggerieren dieses oder jenes und verlangen immer, man möge sie als Gegenüber so ernst nehmen wie lebendige Menschen.

Baselitz' Figuren jedoch bewegen sich nicht auf Augenhöhe mit ihren Besuchern. Dafür müsste man sich schon bücken, ansonsten aber schaut man auf ihre Scham und sieht nur eine sich in Einzelteile auflösende Malfläche - obwohl die Figuren oft ganz herkömmlich schwarz umrissen sind.

Sein Kumpan, der Adler

Im Gegensatz zu den amerikanischen Abstrakten Expressionisten und den deutschen Informel-Künstlern blieb Baselitz stets einer Bildbotschaft treu. Immer geht es ihm um ein Stück Welt: um die beiden kriegsverletzten, abgerissenen Freunde mit ihren zu kleinen Schädeln auf zu massiven Muskelpaketen über offenem Hosenlatz. Um die Frau als Gefährtin, mit der man alt werden mag. Um Referenzen an die Kunstgeschichte vom Manierismus bis zur Neuen Sachlichkeit in den Zwanzigerjahren. Und natürlich um seinen Kumpan, den Adler.

Baselitz löst sich nicht vom Augenschein, dafür ist er viel zu politisch. Um aber die Welt abzumalen, dafür ist er zu sehr Künstler. Dies war immer der dritte Weg des Georg Baselitz, auf ihm stahl er sich aus dem Kalten Krieg davon. Das hat ihm zum Image eines Deserteurs verholfen, und er bildet sich bis heute viel auf seine Widerstandskraft ein. In seinem Selbstbild stand er immer allein gegen die Welt, gegen seine Lehrer, seine Kollegen, seine Kritiker. Das aber mutet merkwürdig an bei jemandem, der schon als junger Mann kommerzielle Erfolge feierte, dann als 34-Jähriger, im Jahr 1972, an einer Documenta in Kassel teilnehmen durfte und heute zu den Bestbezahlten gehört.

Überlegenheitsgefühl des vermeintlichen Underdogs

Tatsächlich sind, auch jetzt in München, jene Gemälde die schwächsten, die offenkundig aus diesem Überlegenheitsgefühl des vermeintlichen Underdogs entstanden sind. Eine Serie von 2007 bezieht sich auf die abstrakte Farbflächenmalerei von Piet Mondrian (1872-1944). Baselitz unterstellt dem Kollegen hier, seine schwarzen Linien würden Hakenkreuze bilden - und malt auf ein Mondrian-Fake unglückliche, gekreuzigte Maler-Märtyrer. Lachhaft weinerlich wirkt das, und sehr veraltet: Baselitz, der Große, konnte sich immer noch nicht aus den alten Kämpfen lösen. In diesen Gemälden beweist er sich mehr als ihm lieb sein kann als Mann des 20. Jahrhunderts. Nicht alles aus seinem Pinsel wird im 21. Jahrhundert maßgeblich bleiben.

Wohl aber das flirrende Schwarz. In seinen neuen Bildern negiert er nicht den radikalsten Beginn der Moderne, das "Schwarze Quadrat" von Kasimir Malewitsch aus dem Jahr 1915, sondern er denkt ihn weiter zu einem schillernden Neuanfang. Zu erleben ist die Einsicht eines reifen Mannes, dass man loslassen muss, um sich noch einmal neu zu erfinden. Alle alten Gewissheiten vom Ungenügen des modernen Zeitgeists sind: perdu.

Klugerweise inszenieren Baselitz und die Kuratoren vom Haus der Kunst diesen mutigen Schritt nicht als einen Ausstieg aus dem Bild, als Abschied von seinem Anspruch auf Bedeutung. Hätten sie dies getan, es wäre einer Vernichtung gleichgekommen: Genau dieses Konzept hat Baselitz schließlich zeitlebens bekämpft. Stattdessen gerät der Auftritt in der Mittelhalle der Schau zu einem einzigen aussagekräftigen Bild. Der Raum mit seiner Tageslichtdecke leuchtet so hell wie der teure Marmorfußboden der Nazis. Hier standen einst die weißen Steinfiguren der NS-Künstler, an den Wänden hingen Bilder blonder Riesen. Baselitz' schwarzen Werken gelingt es nun, nicht nur den Adler durch Übermalung zu töten - sondern auch das obszöne Strahlen der Architektur aus den Dreißigerjahren zu übertrumpfen. Zottelige schwarze Löcher verschlingen die Vergangenheit und setzen ihr Gegenwart und Zukunft entgegen.

Fortsetzung seiner Kunst mit neuen Mitteln

In der Mitte der Halle stehen überlebensgroße geschwärzte Bronzen von Baselitz, sie akzentuieren den Angriff auf das Alte noch - den überdeutlichen Titel "BDM-Gruppe" einer dieser Skulpturen von 2012 hätte es dafür nicht gebraucht. Selten ist eine Präsentation in der NS-Ehrenhalle des Münchner Hauses so geglückt. Gescheitert ist hier vor einigen Jahren sogar eine Präsentation von Großformaten Gerhard Richters, Baselitz' langjährigem Konkurrenten um Marktpreise und Weltöffentlichkeit. Unwillentlich feierten Richters monumentale Abstraktionen die NS-Architektur, anstatt sie zu attackieren.

So sind, in der aktuellen Ausstellung, Baselitz' selbstbewusste schwarze Bilder eine Fortsetzung seiner Kunst mit neuen Mitteln. Endlich kann der Meister die alten Polaritäten überwinden, anstatt sich weiter in ihnen aufzureiben. Das kommt einmal nicht selbstverliebt, anmaßend und marktschreierisch daher, sondern wirkt in der kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk und Ego: zeitgenössisch. Und so gelassen, dass nun auch das Publikum den Adler sterben lassen kann, in Erwartung neuer Schöpfungen. Bleibt zu hoffen, dass Georg Baselitz es sich nicht noch anders überlegt und eines Tages seinen treuen Weggefährten als Phönix aus der Asche auferstehen lässt.

Georg Baselitz, bis 1. Februar im Haus der Kunst München, Katalog: 49,95 (Prestel Verlag), Info: www.hausderkunst.de

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