GEMA gegen Youtube:Legal, illegal, nicht egal

Urheberrechtsverletzung, ja: Aber über Youtube werden der Welt wieder Werke zur Verfügung gestellt, die andernfalls als Privatkopien verrotten würden.

Bernd Graff

Dummerweise kann man die Sache drehen und wenden, und je nachdem, wie man sie betrachtet, ist sie wunderbar oder bodenlos: Das Videoportal Youtube hat damit begonnen, alle offiziellen Musikvideos von Plattenfirmen für deutsche Nutzer zu sperren. Weil der Tantiemenvertrag mit der Verwertungsgesellschaft GEMA ausgelaufen und ein neuer noch nicht gefunden ist, entfernt Youtube die Videos lieber, als sich juristisch angreifbar zu machen. Das ist löblich. Youtube ist nun nicht mehr vorzuwerfen, gegen Urheberrechte zu verstoßen.

GEMA gegen Youtube: Wegen des Gebührenstreits mit der GEMA hat YouTube bereits einzelne Musikvideos gesperrt.

Wegen des Gebührenstreits mit der GEMA hat YouTube bereits einzelne Musikvideos gesperrt.

(Foto: Foto: screenshot youtube.com)

Andererseits: Viele der Videos, die Youtube freiwillig aus seinem Sortiment nimmt, bleiben abrufbar wie zuvor. Und zwar immer dann, wenn sie nicht von der Firma ins Netz gestellt wurden, sondern von Nutzern. Das aber ist zum Teil hundertfach geschehen, und immer war es ein Verstoß gegen das Recht. Die Nutzer werden also das Verschwinden der offiziell entfernten Filme nicht nur verschmerzen. Sie werden es kaum bemerken.

So darf man sich also fragen, ob die gute Nachricht nicht doch die schlechte ist. Denn die Künstler bekommen von Youtube ja nun erst einmal keine Tantiemen mehr, obwohl ihre Werke weiterhin unvermindert abgerufen werden. Und aus Sicht der Nutzer ist die schlechte Nachricht vermutlich sogar die gute. Denn sie können weiterhin auf das größte Bewegtbild-Archiv unserer Kultur, auf ein Weltrepertoire, zurückgreifen. Deswegen haben die Künstler nun einen Anspruch darauf, dass Youtube und die GEMA eine neue Übereinkunft über ihre Tantiemen erzielen.

Unabhängig davon muss jedoch geprüft werden, ob Fragen des Urheberrechts und der Abgeltung berechtigter Künstler-Ansprüche nicht inzwischen anders gestellt und beantwortet werden müssen als zu jenen seligen Zeiten, als man eine "Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte" gründete - dafür steht das Akronym GEMA. Denn mechanische Vervielfältigung spielt in Zeiten der Digitalkopie keine Rolle mehr. Darum ist eine Rechteregelung überholt, die immer noch argumentiert wie zu Zeiten von Druckerpresse, Zelluloid und Vinylplatte. Sie wird untergehen müssen.

Kollektives Gedächtnis der Bilder und der Töne

Es ist einerseits so, dass keine großen Produktionsmittel mehr nötig sind, um in der Qualität des Originals Kopien von Bildern, Texten, Filmen und Musik herzustellen. Darum kann es auch jeder - und: Darum tut es auch jeder. Youtube ist das beste Beispiel für ein kollektiv erarbeitetes kollektives Gedächtnis der Bilder und der Töne. Hier ist etwas ermöglicht worden, das ohne das Web nicht existieren könnte: eine globale Kommunikation über die Bildarchive auf dem Globus.

Youtube ist keine Radiostation, die ohne Rückkanal ausstrahlt, sondern ein Netzwerk, das von Beteiligung lebt. Mit dem vorläufigen Ergebnis jedoch, dass die Teilnehmer an dieser Kommunikation pauschal als Urheberrechtsverletzer stigmatisiert sind, die Künstler ohne Tantiemen dastehen, während das alte Urheberrecht munter verletzt wird. Ein absurder Zustand, der sich darin zeigt, dass man auf manchen Youtube-Seiten seinen Mauszeiger nur ein wenig verschieben muss, um statt des gesperrten Videos dessen Kopie zu sehen, diese allerdings illegal eingestellt.

Technisch ist es inzwischen möglich, gründlicher zu sperren und zu sieben, als Youtube dies derzeit tut. Aber dann verlöre die Musikindustrie eine ihrer wichtigsten Plattformen zur Selbstdarstellung, zudem müsste Youtube sich neu definieren, und das kulturelle Youtube-Gedächtnis litte an gewollter Amnesie. Denn was bei Youtube vorhanden ist, gibt es oft nirgendwo anders: Wenn ein Nutzer einen uralten Song digitalisiert und bei Youtube einstellt, dann begeht er Urheberrechtsverletzung. Aber er stellt der Welt wieder etwas zur Verfügung, das andernfalls vielleicht nur auf einer einzigen Videokassette verrotten würde, dem Fossil des mechanischen Zeitalters. Und das wird ja wohl niemand wollen.

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