Geistermaus:Heldin in Violet

Lesezeit: 2 min

Ein Vater-Tochter-Konflikt auf Schloss Gormengraus, dazu eine böse Intrige. Chris Riddell spart nicht mit literarischen Querverweisen in "Ada von Goth und die Geistermaus". Nenn mich Ishmael, meint die Maus.

Von Markus C. Schulte von Drach

Ada von Goth lebt zusammen mit ihrem Vater in einem Schloss - oder vielmehr leben die zwei im selben Schloss. Von "zusammen" kann eigentlich keine Rede sein. Lord Goth, der berühmte laufradfahrende Poet, ist der Meinung, Kinder müssten zwar zu hören, aber möglichst nicht zu sehen sein. Deshalb muss seine Tochter schwere, polternde Stiefel tragen, wenn sie durch die Gänge des riesigen Schlosses Gormengraus wandelt. Dann nämlich hört der Lord sie kommen und kann in sein Arbeitszimmer flüchten. Nur einmal in der Woche setzt er sich kurz mit ihr zum Teetrinken zusammen. Mehr erträgt er nicht, ist Ada doch das Ebenbild ihrer Mutter, der verstorbenen Gattin des Lords, der Seiltänzerin Parthenope. Den Witwer stürzt jede Erinnerung an sie in tiefe Verzweiflung, die er dann bekämpft, indem er im Park auf Gartenzwerge schießt.

Ein trauriger Witwer, der keine Kinder erträgt, das klingt bekannt. Aber spätestens wenn in dem Buch Ada von Goth und die Geistermaus der "geheime Garten" auftaucht, wird klar, dass der bekannte britische Illustrator und Gelegenheitsautor Chris Riddell nicht einfach Ideen klaut. Das Motiv, das aus dem bekannten Roman Der kleine Lord von Frances Hodgson Burnett stammt, ist nur eine von vielen Entlehnungen aus anderen Büchern und der Historie, mit denen Riddells Werk gespickt sind. "Nenn mich Ishmael", stellt sich etwa die Geistermaus mit dem Eingangssatz von Melvilles Moby Dick vor. Als Geist erinnert sie vage an das Gespenst von Canterville von Oscar Wilde. Es treten in der Geschichte, die irgendwann im 19. Jahrhundert spielt, außerdem auf: Frankensteins Geschöpf, allerdings als Monster von Magdeburg. Eine mit Regenschirmen kämpfende Gouvernante namens Lucy Borgia, die sich als Vampirin entpuppt und sich ein Duell mit Rupert von Helsung liefert. Eine Zofe, von der lediglich ein Knurren im Wandschrank zu hören ist. Und etliche weitere Figuren, die von Aussehen oder Namen her eindeutige Assoziationen auslösen.

Doch zurück zu den Abenteuern von Ada. Von der Geistermaus Ishmael auf die Spur gebracht, entdeckt sie ein Komplott, ausgeheckt vom Kammerwildhüter Maltraverse. Mit Hilfe ihrer neu gefundenen Freunde vom Dachkammer-Club stellt sie sich über den Dächern des Schlosses einem Bösewicht in den Weg, für den Schönheit nur existiert, wenn ihr Kopf als Trophäe an der Wand seiner Jagdhütte in Bayern hängt. Doch Ungeheuer müssen ja nicht immer alle furchtbare Monster sein. Riddells aufwendig und wunderschön gestaltetes Buch, von ihm selbst großartig illustriert mit Bildern in einer bizarren Mischung aus Neugotik und Jugendstil, ist wie ein kindlicher Traum nach der Lektüre der Originalliteratur.

Tendenziell richtet sich das Buch, das in Großbritannien bereits den renommierten Costa Book Award gewonnen hat, wohl eher an Mädchen. Oder an Jungen, die emanzipiert genug sind, um eine weibliche Heldin in Violett zu akzeptieren. (ab 10 Jahre)

Chris Riddel l: Ada von Goth und die Geistermaus. Aus dem Englischen von Thomas Merk. Sauerländer 2015. 224 Seiten, 14,99 Euro.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: