"Geister" von Nathan Hill:Ein antiaufklärerischer Albtraum, der Donald Trump vorwegnimmt

Donald Trump

"Die Wirklichkeit ist viel zu kompliziert und schrecklich geworden. Es ist viel einfacher, alles zu ignorieren, was nicht in die vorgefasste Meinung passt."

(Foto: John Minchillo/AP; Bildbearbeitung SZ)

Magische, virtuelle und reale Welten fügen sich in Nathan Hills Debütroman "Geister" zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

Buchkritik von Ulrich Baron

Gerade hat Dodger, der Elfendieb, mit seinen Kameraden Axman und Pwnage einen Drachen besiegt. Da stellt er fest, dass in der Welt jenseits der "World of Elfscape", die man unter Computerspielern "IRL" nennt, was die Abkürzung für "in real life" ("im wirklichen Leben") ist, Probleme aufgetreten sind.

Da ist zunächst einmal Laura Pottsdam. Sie ist eine faule, verlogene und desinteressierte Studentin, die Dodger im wirklichen Leben als Professor Samuel Anderson in die Mysterien der Literatur einführen soll. Als "Studierende" kann man Laura nicht bezeichnen, doch mag sie nicht akzeptieren, dass Samuel alias Dodger sie wegen einer kopierten Arbeit durchfallen lassen will. Am College wird sie sich zu seiner Nemesis auswachsen. Vielleicht nicht nur dort, denn am Ende liebäugelt sie damit, US-Präsidentin zu werden.

Aber das ist noch Zukunftsmusik. Der aktuelle Spitzenkandidat der Republikaner heißt Packer, er könnte ein Bruder Donald Trumps sein und hat gerade ein terroristisches Attentat überlebt. Zumindest wird es so dargestellt. Samuels Problem dabei ist, dass es sich beim "Packer-Attacker" um seine eigene Mutter handelt, die ihn allerdings im Stich gelassen hatte, als er gerade elf Jahre alt war.

Eine Wiedergeburt von Renaissance und Romantik aus dem Geist der Maschine

Samuels drittes Problem ist sein noch immer ungeschriebener Roman, für den er als literarische Nachwuchshoffnung einen Riesenvorschuss erhalten hatte. Den soll er zurückzahlen, kann er aber nicht. Doch hat er ja eben eine Mutter, für deren Geschichte sich derzeit jeder Verleger zerreißen würde. Nur kennt Samuel diese Geschichte nicht; noch nicht.

Und dann ist da viertens die elfengleiche Geigerin Bethany, seine unvergessene Jugendliebe, mit dessen Zwillingsbruder Bishop er als Kind fast zum Mörder geworden wäre. Sie hat einen anderen geheiratet. Wenn sie nicht durch die Welt tourt, lebt sie in einem New Yorker Luxusapartment, aus dessen Fenster Samuel auf die Zelte der Occupy-Wallstreet-Bewegung herabblicken wird.

Schnitt durch die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft

Das ergibt eine ganze Reihe epischer Spannungsbögen, die vom kleinstädtischen Leben in den USA der Sechzigerjahre, über die Hippiebewegung und die Chicagoer 68er-Unruhen bis zur Occupy-Bewegung reichen. Sie bieten dem 1976 geborenen Nathan Hill auch viel Raum für einen Vertikalschnitt durch die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft. Aus Töchtern und Söhnen von Einwanderern und Industriearbeitern wurden Angestellte und aus deren Kindern Akademiker und Hochschulangestellte.

Doch was soll jetzt aus deren Schülern werden? "Wir bereiten unsere Studenten auf das 21. Jahrhundert vor", wirbt Samuels College für seinen "voll vernetzten" Campus. "Samuel", so Hill, "hat eher den Eindruck, dass die Studenten darauf vorbereitet werden, still dazusitzen und so zu tun, als arbeiteten sie." Angesichts dieser Seminarteilnehmer gleitet aber auch sein Denken nach Elfscape ab, und es kommt dem Roman zugute, dass Hill sich mit Computerspielen auskennt.

So zeigt er, wie die digitale Fiktion innerhalb der literarischen eine eigene Ästhetik hervorbringt, eine Wiedergeburt von Renaissance und Romantik aus dem Geist der Maschine: "Dann dachte er an das eine Mal, als er auf einen Berggipfel am Nordrand des westlichen Kontinents von Elfscape gestiegen war und zugesehen hatte, wie der Mond aufging und der Schnee im Mondlicht glitzerte - es war wunderschön gewesen." So ähnlich müsse es den Menschen wohl angesichts von Kunstwerken gehen, denkt Pwnage, aber wo sei da noch ein Unterschied? "Natürlich war der Berg nicht echt und auch nicht das Mondlicht, aber die Schönheit? Und die Erinnerung daran? Die waren sehr wohl echt."

Er fände Elfscape "erfüllender als die wirkliche Welt", sagte Pwnage zu Samuel. Der ist skeptisch. Da erzählt Pwnage, wie man ihm wegen der Rezession gekündigt habe: "Sie könnten sich nicht mehr so viele Angestellte leisten. Obwohl der Chef in dem Jahr ein Gehalt gekriegt hat, das achthundert Mal so hoch war wie meines. Angesichts von so was würde ich sagen, Elfscape ist eine ziemlich vernünftige Antwort."

Ironischerweise agiert dieser liebenswürdige Nerd, der dabei ist, sich mit Junkfood aus dem wirklichen Leben zu befördern, in Elfscape als Berserker, der Drachen und Orcs metzelt. Und Samuels Mutter, die in Schlagzeilen die "Radikale-Hippie-Prostituierte" genannt wird, ist eine scheue, friedliche und wiederholt flüchtige Frau. Nathan Hill ist also aus guten Gründen mit Thomas Pynchon und John Irving verglichen worden. Es gelingt ihm, solche bis ins Absurde gesteigerten Widersprüche in glaubwürdiger Erzählung aufzulösen, die im Wechsel von Gegenwart und Rückblick zu einem 858-Seiten-Roman anwächst, der enger gewoben ist, als es zunächst den Anschein hat.

Nathan Hills Debütroman hat seit der US-Wahl eher noch an Aktualität gewonnen

Das liegt auch an jenen Geistern, die darin mitmischen. Sie sind der Familie von Samuels Mutter aus Norwegen in die USA gefolgt. Neben rachsüchtigen Hausgeistern gibt es für sie auch den "Nix", der dem amerikanischen Original seinen kryptischen Titel gegeben hat. Ein Nix sei ein Wassergeist, der sich Kindern als ein großes Pferd nähere, von dem sie sich begeistert forttragen ließen, bis es mit ihnen über die Klippen spränge. "Trau keiner Sache, die zu schön ist, um wahr zu sein", habe ihr Vater gesagt. Und sie fügt eine eigene Moral hinzu: ",Die Dinge, die du am meisten liebst', sagte sie, ,werden dich eines Tages am schlimmsten verletzen'."

Angesichts ihres späteren Verhaltens klingt das nach einer self-fulfilling prophecy, einer selbsterfüllenden Prophezeiung, und auch wo von Geistern keine Rede ist, rührt Hills Roman an Zonen magischen Denkens, in die auch rationale Menschen geraten, wenn das Schicksal auf sie eindrischt. Solchen Zonen scheint auch Samuels Lektor und Verleger Guy Periwinkle zu entstammen, der sich, wie der Teufel bei den Rolling Stones, als ein Mann von "wealth and taste" ("Wohlstand und Geschmack") gibt. Periwinkle ist ein manischer Manager, der Samuel nicht aus dem Pakt entlassen will, den er mit ihm geschlossen hat.

Welchen Einfluss er auf Samuels Leben genommen hat, wird nach und nach sichtbar. Doch die Welt habe sich von der alten Vorstellung der Aufklärung abgewandt, "dass man sich die Wahrheit aus der Weltbeobachtung zusammenstückeln könnte. Die Wirklichkeit ist viel zu kompliziert und schrecklich geworden. Es ist viel einfacher, alles zu ignorieren, was nicht in ihre vorgefasste Meinung passt", sagt Periwinkle: "Wir sind politisch und religiös fanatischer den je, weit rigider in unserem Denken und immer weniger empathiefähig."

Ähnlichkeiten zum Wahlkampfstil Donald Trumps sind da unübersehbar, und Nathan Hill hat es sich nicht verkneifen können, Periwinkle sagen zu lassen: "Wir müssen das Buch noch vor den Wahlen herausbringen, aus Marketinggründen." Doch auch wenn diese humoristische Anspielung nun nicht mehr so griffig ist, hat Hills Roman seit der US-Wahl eher an Aktualität gewonnen, scheint das wirkliche Leben sich der Diagnose Periwinkles anschließen zu wollen. Laura Pottsdam jedenfalls kennt nur noch ein Ziel, nachdem "dieser total berühmte Präsidentschaftskandidat" Packer sie für präsidiabel erklärt hat: "Sie schreibt sich gleich für zwei Hauptfächer ein, die ihr, wie sie entscheidet, bei ihrer möglichen zukünftigen Kandidatur helfen werden: Politik und Schauspielerei."

Das ist nicht komisch. Das ist einfach so. Die Quälgeister, die Nathan Hills beeindruckender Debütroman beschreibt, wird man so schnell nicht wieder los.

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