Gehört, gelesen, zitiert:Furchtbare Versuchung

Der britische Schriftsteller George Orwell wurde als Autor des dystopischen Romans "1984" berühmt. Mit fast noch mehr Gewinn ist heute der Essayist Orwell zu lesen. Zum postfaktischen Zeitalter schrieb er etwa 1945.

Der britische Schriftsteller George Orwell wurde als Autor des dystopischen Romans "1984" weltberühmt. Mit fast noch mehr Gewinn ist heute aber immer wieder auch der Essayist Orwell zu lesen. Zum postfaktischen Zeitalter schrieb er etwa 1945:

"Jeder, der einmal zur Verteidigung unpopulärer Ziele geschrieben hat oder Zeuge von Ereignissen gewesen ist, die zu Meinungsverschiedenheiten führen können, kennt die furchtbare Versuchung, Tatsachen zu entstellen oder zu unterschlagen, nur weil eine ehrliche Aussage Enthüllungen enthielte, die von skrupellosen Gegnern verwendet werden könnten. Es gibt immer ausgezeichnete, edle Gründe, die Wahrheit zu verbergen (...) Immer wenn A und B im Gegensatz zueinander stehen, wird derjenige, der A angreift oder kritisiert, beschuldigt, B zu helfen und zu unterstützen. Und oft stimmt es, objektiv und kurzfristig gesehen, dass er die Dinge für B tatsächlich einfacher macht. Darum sagen die Anhänger von A, haltet den Mund und kritisiert nicht: oder, wenn ihr schon kritisieren müsst, dann wenigstens auf ,konstruktive Weise', was in der Praxis immer gleichbedeutend ist mit günstig. (...) Es ist ein verlockendes Manöver, und ich habe es selbst mehr als einmal benutzt, aber es ist unehrlich. Wie oft erscheint es einem als eine ausdrückliche Pflicht, die Fakten zu verheimlichen oder zu färben! Und trotzdem kann ein echter Fortschritt nur durch vermehrte Aufklärung stattfinden, was so viel bedeutet wie die fortwährende Zerstörung von Mythen."

© SZ vom 20.06.2017 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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