Geheimsprache:Schabernack des Skribenten

The Voynich Manuscript is considered by scholars to be most interesting and mysterious document ever

Aufstand unbekannter Zeichen.

(Foto: imago)

Der rätselhafte Voynich-Kodex wird nun gedruckt. Dass er noch nicht entziffert werden konnte, stört die Liebhaber nicht.

Von THOMAS URBAN

Für die Freunde von schweren Rätseln ist dies eine gute Nachricht: Der vor etwas mehr als einem Jahrhundert in Italien gefundene Voynich-Kodex, auch das Voynich-Manuskript genannt, wird nachgedruckt. Der auf edle Faksimiles spezialisierte Verlag Siloé im nordspanischen Burgos hat eine Edition dieses rätselhaften Buchs angekündigt, das seit seiner Entdeckung Wissenschaftler und Chiffrierexperten aus aller Welt herausfordert. Zehn Jahre lang hatten sich die spanischen Verleger bei der Yale Universität, in deren Sammlung sich das Werk befindet, um die Rechte bemüht.

Der aus 102 Seiten Pergament bestehende Foliant ist in einer völlig unbekannten Schrift verfasst, an der bislang jegliche Entzifferungsbemühungen scheiterten. Hinzu kommen Skizzen von Pflanzenteilen, von denen es die allermeisten nicht in der Natur gibt, Sternenkonstellationen, die Astronomen nicht kennen, und zuhauf nackte Frauen in Wannen, die vielleicht Seelen auf Wanderschaft symbolisieren oder einfach nur badende Frauen sein sollen. In Stil und Aufmachung ähnelt das Werk den großen Folianten aus den Schreibstuben der Klöster des späten Mittelalters und der frühen Renaissance.

Sollte etwa ein Witzbold unter Schreibermönchen der Urheber der Schrift gewesen sein?

Entdeckt hatte das kiloschwere Werk der polnisch-amerikanische Antiquar Wilfrid Michael Voynich, der Ende des 19. Jahrhunderts nach London kam, um dort ein Buchantiquariat zu eröffnen. Historiker gehen davon aus, dass es sich um eine Tarnadresse für die Verbreitung von revolutionärer Literatur handelte. Doch mit der Zeit überwog Voynichs Liebe zu alten Büchern, in ganz Europa kaufte er seltene und kuriose Exemplare auf. Darunter war der später nach ihm benannte Kodex, den er 1912 in einem Jesuitenkloster in der italienischen Weinregion Frascati aufstöberte. Die unbekannten Buchstaben und rätselhaften Zeichen faszinierten ihn, er publizierte darüber und wurde verdächtigt, das Werk selbst fabriziert zu haben.

Doch mittlerweile haben chemische Analysen bestätigt, dass es tatsächlich aus dem 15. Jahrhundert stammt. Auch steht fest, dass der deutsche Kaiser Rudolf II., der sich für Alchimie interessierte, einer der Vorbesitzer war. Nur bei der Deutung des Werks sind die Experten nicht weit gekommen. Einige Linguisten meinen, eine indogermanische Sprache sei verschlüsselt worden, vermutlich Latein, andere sprechen von einer Sprache aus dem Orient, manche vom Versuch, ein universelles Idiom zu schaffen, eine Art frühes Esperanto. Mathematiker haben Modelle zur Entschlüsselung entworfen, selbst Experten des US-Geheimdienstes sind an Voynichs Brocken gescheitert. Überall versuchen sich inzwischen auch Amateure an der Entzifferung, seitdem Manuskriptteile im Internet zu finden sind. Es fand Eingang in Computerspiele, es wird in der Popmusik besungen, und Dan Brown brachte es in einem Mittelalterkrimi unter.

Die Liebhaber müssen sich beeilen. Die Edition aus Burgos, nun angekündigt für rund 7500 Euro pro Stück, ist auf 898 Exemplare begrenzt. Nach Auskunft des Verlags gibt es bereits mehr als 300 Vorbestellungen. Vielleicht ist des Rätsels Lösung ja auch ganz einfach. Denn eine Theorie zum Text lautet, dass ein Witzbold unter Schreibermönchen Formen und Inhalte der damaligen Bücher verfremdet habe, es handle sich dann wohl um einen Schabernack des Skribenten.

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