Gegenwartskunst:Im Maschinentraum

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Die Autobahn lebt. Und ihr Porträtist ist der Frankfurter Künstler Thomas Bayrle. Lange war er ein Geheimtipp. Dann machte er auf der Documenta Furore. Jetzt widmet das Münchner Lenbachhaus seinen Motoren-Skulpturen eine faszinierende Ausstellung.

Von Catrin Lorch

Die Kolben stampfen im gleichmäßigen Takt, fugenlos gleiten sie durch Röhren aus dunklem Metall. Doch hat der Motor etwas von einem Käfer, der, wenn man ihn aufhebt, weiterkrabbelt. Der "Rosenkranz", eine Skulptur von Thomas Bayrle, ist so etwas wie das Insekt, das man zur besseren Beobachtung festgespießt hat. Seine Metallbeinchen stehen unbewegt auf dem Boden und sein Körper ist aufgeschnitten. Dennoch schwenkt und dreht sich einiges am kompakten Motorblock, der einmal einen VW-Käfer angetrieben hat und jetzt, umgeben von Modellen aus der Fertigung von Porsche, Citroën oder Vespa, in München ausgestellt ist. Alle im Leerlauf, alle elektronisch angetrieben, geruchs- und geräuschlos. Doch weil sie mit Lautsprechern nachgerüstet sind, quillt aus dem Rhythmus der Maschinen Kirchenmusik hervor.

Verkehr und Bewegung sind die Themen des 1937 geborenen Thomas Bayrle. Er gilt - spätestens, seit er diese Motoren bei der Documenta im Jahr 2012 ausstellte - als einer der bedeutendsten Künstler der bundesdeutschen Nachkriegszeit. In München wurde er bislang selten gezeigt, nun stellt ihn das Lenbachhaus mit dieser Serie vor. Und es gibt wohl kein Museum, das dafür einen angemesseneren Rahmen bieten könnte als der Kunstbau am Lenbachhaus, der sich zwischen U-Bahn-Station und Unterführung eingerichtet hat. Langgesteckt wie eine Fertigungshalle, neonbeleuchtet und mit einem Fenster, das sich über der Mündung einer Rolltreppe öffnet.

Zudem liegt die Halle unter einem innerstädtischen Verkehrsknoten, und die Motoren, die man als Ready Mades unter der Erde als Sensation betrachtet, könnte man eigentlich auch direkt vor dem Eingang sehen, wo die Autos geparkt sind. Womöglich war der Kunstbetrachter gerade selbst noch Fahrzeugführer oder Beifahrer. Allerdings fällt vor den Maschinen auf, wie sorgsam das Auto seine Organe verhüllt, unter dem Blech der Karosserie, hinter dem Armaturenbrett. Passagier und Motor, vom Autodesign unsichtbar gemacht, stehen sich im Museum unvermittelt gegenüber.

Schon wegen solcher Überlegungen wirkt auch der "Conductor", als wolle er sich vor allem bemerkbar machen. Die freigestellte Scheibenwischanlage eines Ford Galaxy hat Thomas Bayrle auf hohen Streben befestigt und mit zwei Lautsprechern auf Kopfhöhe gekrönt. Nun winken die Wischer wie die dürren Arme eines Dirigenten, der sein Orchester verloren hat.

Diese Verkehrskreuze erinnern weniger an Straßen denn an das Symbol des endlosen Knotens

Dass die Ausstellung sich nicht in solchen Spektakeln erschöpft, sondern in einer großen Choreografie zusammenfindet, liegt an der "Autobahn". Sie ist sozusagen das Leitmotiv dieses Œuvres. Das gleichnamige Relief darf sich im Lenbachhaus nun über dreißig Meter Länge und fünf Meter Höhe entfalten. Als Thomas Bayrle im Jahr 1970 seine erste "Autobahn" konstruierte, war sie modellhaft klein, es gibt Versionen aus Pappe oder leichtem Holz und frappierend war immer auch, dass man sie sofort erkennen konnte. So wie beim Punkt, Punkt, Komma, Strich, aus dem sich auf dem Zeichenblock ein Gesicht zusammensetzt, genügt es, ein Stück hellgraues Band mittig mit weißen Strichen zu mustern. Thomas Bayrle setzt dieses Muster zu Verkehrsknoten zusammen, die auch an die endlosen Knoten erinnern, die man als Symbol in vielen Religionen kennt.

Der gelernte Weber und Gestalter Thomas Bayrle, der von 1975 bis 2002 als Professor an der Städelschule lehrte, ist spät zum Star geworden. Die zur Winterzeit in Miami versammelte Szene feiert ihn gerade in einer Retrospektive im Institute of Contemporary Arts.Bei seinem ersten großen Auftritt in München verzichtet die Kuratorin Eva Huttenlauch auf die seriellen Grafiken, mit denen das amerikanische Museum wirbt: die aus winzigen Motiven zusammengesetzten Autos oder Flugzeuge. Bayrles Kunst galt lange als die Frankfurter Antwort auf Pop Art, weil er einer der ersten Künstler war, der Motive im Computer bearbeitete. Doch lässt man in München den schwingenden Rhythmus der frisierten Motoren gegen andere Bilder anrasen, die selbst elektrisch angetrieben werden, rotieren und rattern. Das Lenbachhaus zeigt nämlich seine neun Künstlerfilme und lässt so die leerlaufende Bewegung der Halle in strahlende Visionen auslaufen. "Auto" ist beispielsweise ein Stop-Motion-Trick aus dem Jahr 1979/1980, in dem Modellautos über eine Autobahn-Superstruktur flitzen. Diese Bilder, zusammengesetzt wie im Kaleidoskop, zeigen letztlich nur noch Gewimmel.

Die Band Kraftwerk konnte 1974 ein Album "Autobahn" nennen und darauf vertrauen, dass der Titel international verstanden wird. Autobahn, sagt die Kunst von Thomas Bayrle, das ist in Deutschland mehr als ein optimierter Verkehrsweg. Sie ist ein Sockel, den man dem Auto gebaut hat, und der Verkehr ist ein alles antreibender Organismus. Thomas Bayrles buntes, effektsicheres Werk ist auf eine nicht korrumpierbare Weise klug.

"Das Wachstum urbaner Strukturen sowie auf Massengebrauch angelegter Fortbewegungsmittel versteht Bayrle als Kreislauf, der zwar von der Wirtschaft ausgelöst wird, diese aber wiederum auch in Gang hält." Auf dem signalgelben Papier des Kurzführers erinnern die Kuratoren daran, dass dieses Werk zwar abseits aller Kunstzentren, in Frankfurt aber in der Nachbarschaft der Frankfurter Schule wie des US-Headquarters und, verkehrstechnisch betrachtet, unweit des ersten Autobahnknotens in Deutschland entstand. Aus der Vogelperspektive des zeitlichen Abstands betrachtet, erscheinen die Mosaiken aus leerlaufender Bewegung und das Stampfen der Schwungräder und Antriebswellen in diesen Skulpturen vor allem als autonom. Wie Kunst.

" Thomas Bayrle ". Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, bis 5. März. Zur Ausstellung erscheint ein Künstlerbuch.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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