Gegenwartskunst:Hier regieren Künstler

Vor vierzig Jahren wurde das Museum Ludwig in Köln eröffnet. Die Jubiläumsausstellung wirft einen frischen Blick auf die Wertschöpfungskette Museum und klärt die Machtverhältnisse.

Von Catrin Lorch

Einer vom alten Schlag, einer, dem es gleich ist, wie sein Gesicht auf die Kamera wirkt. Hauptsache, das Hemd darunter ist frisch gebügelt und das Hirn dahinter hat schon wieder ein neues Manöver ausgeheckt. Eitel? Nein, sagt Peter Ludwig, Schokoladenfabrikant und Sammler, in einem Interview aus den Siebzigerjahren, er sei nicht eitler als die meisten. Warum er dann sammelt? "Es steht die Überlegung dahinter, dass die öffentliche Institution des Museums aktuelle Kunst, die zwangsläufig noch umstritten ist, von Steuergeldern nicht in der Breite sammeln kann. Hier ist die Aufgabe des Privatsammlers, der in diese Bresche springt und der dann sein Engagement einsetzt, um das zu tun, was ein Museum seiner Natur nach eben nicht leisten kann."

Der durch und durch unternehmerisch auftretende Industrielle war einer der bedeutendsten Mäzene seiner Generation. Die von ihm gegründete Ludwig-Stiftung unterhält immer noch Museen in Budapest, Wien, Peking und St. Petersburg. Das bedeutendste Haus, das nach ihm benannt ist, das Kölner Museum Ludwig, feiert dieser Tage sein vierzigjähriges Bestehen. Wobei sich gleich drei Ereignisse jähren: 1946 hatte Josef Haubrich seine Sammlung klassischer Moderne der Stadt geschenkt, die den Grundstock des Museums bildet. Dass die Schokoladenfabrikanten Peter und Irene Ludwig dreißig Jahre später 350 Werke zeitgenössischer Kunst - vor allem amerikanische Pop Art - stifteten, führte zum Neubau direkt neben dem Kölner Dom. Das im Jahr 1986 eröffnete Museum gilt als eine der weltbesten Sammlungen, zumal Irene Ludwig ihm nach dem Tod ihres Mannes auch noch Werke von Pablo Picasso übergab.

"Wir nennen es Ludwig" ist nicht die übliche Schau der kostbarsten Schenkungen und Prachtwerke

Schätzt man im Westen Picasso, Warhol, Impressionismus und Moderne, weil prominente Museen den Kanon bestimmen? Und wer regiert im Museum - wissenschaftliche Autorität, öffentlicher Geschmack oder, doch, der Sammler? Die Ausstellung zum Jubiläum "Wir nennen es Ludwig" gibt Anlass, die Kräfteverhältnisse genau zu betrachten. Doch wer in diesem Sommer die bei solchen Gelegenheiten übliche Schau der kostbarsten Schenkungen und Prachtwerke erwartet - eine stolze Präsentation, die noch einmal die Großzügigkeit der Stifter und die Leistungen des öffentlichen Kulturbetriebs feiert -, wird erstaunt feststellen: Im Museum regieren die Künstler.

Immerhin, das Stifterbild ist noch da. Andy Warhol hat 1980 ein Porträt Peter Ludwigs in einen seiner charakteristischen Siebdrucke verwandelt. Doch hängt der nicht etwa auf einem Ehrenplatz im Eingang. Sondern auf einem Haufen Schrott. Einer Barrikade, die der Künstler Ahmet Ögüt, 1981 in der Türkei geboren, im Foyer aus alten Autos, Absperrgittern und Metallteilen aufgetürmt hat. Darüber baumeln ein Köln-Panorama von Oskar Kokoschka, ganz obendrauf noch - wie eine Zielscheibe - eine Abstraktion aus farbigen Kreisen von Kenneth Noland. Das sind die Ikonen der Kollektion, die bei solchen Gelegenheiten eigentlich sanft ausgeleuchtet inszeniert werden.

Die Installation "Bakunin's Barricade" ist die von Ahmet Ögüt aktualisierte Version einer Barrikade, die Michail Bakunin während der Maiaufstände in Dresden im Jahr 1849 auftürmte. Damals hängte der Revolutionär Meisterwerke aus den Dresdener Kunstsammlungen an die Straßensperre und setzte darauf, dass das preußische Militär, das zu Hilfe gerufen wurde, davor zurückschrecken würde, Gemälde zu zerstören. Die historische Version baute auf Respekt und Wertschätzung auch in Zeiten der Anarchie. Die aktuelle Version würde die Kunst ein zweites Mal dem Urteil der Straße ausliefern. Zur Installation gehört ein Vertrag, in dem sich Yilmaz Dziewior, Direktor des Museums Ludwig, verpflichtet, zumindest zu prüfen, ob während politischer oder sozialer Unruhen die Hängung in den Straßen Kölns wiederholt werden kann.

Dass Hans Haacke daneben seine Serie unter dem Titel "Der Pralinenmeister"gehängt hat, belegt unzweideutig, dass auf lange Sicht die Kunst triumphiert: Die mit Schokoladenpapier und Zeitungsfotos dekorierten Text-Collagen erklären, wie das globale Kunstimperium der Familie Ludwig arbeitete - auch die Steuertricks, die Knebelverträge für die Kommunen, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken. Marcel Odenbach hat zudem die seit dem Tod der Witwe Irene Ludwig leer stehende Villa in Aachen gefilmt. "Ein Bild vom Bild machen", da kann man der biederen Filterkaffeemaschine beim Tropfen zuhören. In einer der elegischen Einstellungen entdeckt man die Büsten, die der NS-Bildhauer Arno Breker noch in den Siebzigern vom Ehepaar Ludwig angefertigt hat. Irene Ludwig muss sie selbst irgendwann hinter einer Gartenbank abgestellt haben. Die omnipotente Sammlermacht vertröpfelt sich im Video-Stillleben.

Insgesamt 25 Künstler haben Museumsdirektor Yilmaz Dziewior und sein Team eingeladen, etwas beizusteuern zur Jubiläumsschau. Wer das nur für Spielerei hält, verkennt den Ernst der Lage: Künstler sind mächtiger als je zuvor. War jahrhundertelang das Museum der Torwächter zu den Hallen der Kunstgeschichte, können viele Häuser heute froh sein, wenn sie die international ausgebuchten Künstler-Stars für Ausstellungen verpflichten können. Für Ankäufe reicht das Geld ohnehin schon lange nicht mehr. Das schafft neue Verhältnisse - doch zu lange hat man sich nur auf die Sammler konzentriert, die auf dem Kunstmarkt regieren und in ihren Privatmuseen ihre Preziosen ausbreiten.

Georges Adéagbo, Künstler aus Benin, perfektioniert derzeit die Schausäle des Museums Ludwig, wo er die Einzelteile seiner Installation, die seit Jahren im Depot schlummert, verteilt. Bildtafeln hängen jetzt zwischen den Collagen von Joseph Beuys. Baumstammdicke Schnitzfiguren ragen inmitten der - afrikanisch inspirierten - Skulpturen im Saal der Expressionisten auf. Maria Eichhorn ist noch weiter in das Museum eingedrungen und hat sich in der Verwaltung anstellen lassen. In Vitrinen stellt sie jetzt ihren Arbeitsvertrag aus, ihr Bewerbungsschreiben samt Meisterschüler-Urkunde und von ihr unterzeichnete Vereinbarungen, beispielsweise die "Richtlinie für das Verbot der Annahme von Vergünstigungen bei der Stadt Köln". Ihre genaue Tätigkeit? Darf unklar bleiben. Ging es womöglich nur darum, öffentliche Mittel in ein Gehalt zu verwandeln und das dann zu spenden? Ein Zuwendungsbeleg der "Anarchistischen Gewerkschaft Freie ArbeiterInnen Union" liegt aus.

Gegenwartskunst: Hans Haacke zeigt, wie das Kunstimperium der Ludwigs arbeitete, aus der Serie "Der Pralinenmeister".

Hans Haacke zeigt, wie das Kunstimperium der Ludwigs arbeitete, aus der Serie "Der Pralinenmeister".

(Foto: Roland Fritsch/VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Solche Arbeiten bauen auf der Institutionskritik der Neunzigerjahre auf, künstlerischen Untersuchungen, die offenlegten, auf welchen Vereinbarungen die - auch ideelle - Wertschöpfungskette Museum angewiesen ist. Der Generation von Museumsdirektoren, die jetzt die großen Häuser übernimmt, ist dieses Denken vertraut. Sie haben sich von der Idee verabschiedet, das Museum als neutralen Ort zu betrachten, ihre Sammlung als Akkumulation von Kostbarkeiten. Es gilt heute, nicht nur die ethnologischen Sammlungen zu "dekolonisieren", das heißt, jedes einzelne Objekt und seine Geschichte zu betrachten.

Der Idealfall, so schlägt es jedenfalls der amerikanische Pop-Art-Veteran Claes Oldenburg vor, ist die Konspiration zwischen der Öffentlichkeit und den Künstlern. Oldenburg hat zwei Bretter angebracht, auf denen ein paar Mäuse stehen. Die letzten Stücke aus der von ihm zwischen 1965 und 1977 zusammengetragenen Kollektion des "Mouse Museums", eines Kabinetts in den Umrissen der Comicfigur "Mickey Mouse", gefüllt mit Plastik- und Plüschmäusen, Mickey-Bechern, Weckern und Bildern. Sein Schlüsselwerk hatte Claes Oldenburg dem Sammler Peter Ludwig nur verkauft, weil der ihm versprach, es werde im Kölner Museum ein Zuhause finden. Als das prominente Werk dennoch in die Wiener Ludwig-Stiftung verlagert wurde, verstand man das auch als Muskelspiel des Sammlers. Dass die letzten Zugänge des "Mouse Museums" jetzt in Köln ausgestellt werden, zeigt, dass es, zumindest in den auf Ewigkeit angelegten Verhältnissen der Kunst, ein Leben nach dem Showdown gibt.

Wir nennen es Ludwig. Das Museum wird 40, bis 8. Januar im Museum Ludwig, Köln. Der Katalog erscheint während der Laufzeit der Ausstellung.

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