Gegenwartskunst:Es geht darum, die Werke aktiv zu nutzen

Gegenwartskunst: Adam Szymczyk eröffnet die Documenta 14 in Athen.

Adam Szymczyk eröffnet die Documenta 14 in Athen.

(Foto: AFP/Louisa Goulamaki)

Stur sein, nicht aufgeben: Der Chef der Documenta, Adam Szymczyk, spricht über seine Erfahrungen in Athen, wo die Großausstellung gerade eröffnet hat, bevor sie im Juni auch in Kassel zu sehen sein wird.

Von Catrin Lorch

Kann man eine Weltkunstschau wie die Documenta 14 noch verdoppeln? Es scheint, als sei das dem künstlerischen Leiter Adam Szymczyk gelungen, dessen Konzept es vorsah, neben dem angestammten Spielort in Kassel unter dem Titel "Von Athen lernen" die Arbeit seines Teams teilweise nach Griechenland zu verlegen und jeden teilnehmenden Künstler aufzufordern, gleich für beide Orte ein Werk zu gestalten.

Am vergangenen Wochenende eröffnete der deutsche Bundespräsident die Ausstellung in Athen, zwei Monate bevor in Kassel Vernissage gefeiert wird. Die vielen Besucher, die Aufmerksamkeit der Presse und des Fachpublikums - wie auch die Aufmerksamkeit für den Auftritt des deutschen Präsidenten und seiner griechischen Gastgeber - haben die Vernissage in Athen zu einem international beachteten Ereignis gemacht. Der politische Anspruch der Documenta 14 war dabei unübersehbar; schon weil Frank-Walter Steinmeier im Museum seine Rede vor einem Berg von Oliven hielt, mit denen die Künstlerin Marta Minujin symbolisch die Schulden Griechenlands begleicht.

Am Nachmittag zeigten Nachrichtenbilder dann, wie Angela Merkel in einer Zeremonie die Rückzahlung mit strahlendem Lächeln akzeptiert. Allerdings sind nur die Bilder echt, nicht die Kanzlerin, die Künstlerin hatte ein Double engagiert. Unter den Tausenden Besuchern konnte man in den ersten Tagen an den fast fünfzig Spielorten der Ausstellung in der Stadt auch immer wieder dem künstlerischen Leiter begegnen, der viele Projekte, die eigens für die Stadt entstanden, selbst noch einmal in Ruhe anschaute.

Ist die Documenta 14 jetzt nach diesem Wochenende nicht eröffnet? Ist Kassel jetzt nur die zweite Station?

Adam Szymczyk: Es ist gut, wenn das Publikum hier die Eröffnung als große Premiere empfindet. Für uns, für das Team, ist es anders: Wir haben schon eine ganze Reihe von Eröffnungen hinter uns, beispielsweise die Präsentationen des Magazins South as a State of Mind, das wir seit zwei Jahren herausgeben. Oder unsere öffentlichen Programme hier in Athen wie "Das Parlament der Körper", das im vergangenen Jahr anfing. Oder die Konferenz, die wir im Norden von Norwegen mit und in dem Parlament der Samen gegeben haben. Jeder dieser Akte war wichtig, auch wenn manchmal nur wenige Menschen daran teilgenommen haben. Kassel wird wieder eine große Eröffnung werden, es ist die Heimatstadt der Documenta. Und wir werden dort Besucher haben, die vielleicht schon viele Documenta-Ausstellungen erlebt haben, denen zentrale Orte wie der Friedrichs-platz oder die Karlsauen vertraut sind. Zudem gibt es auch dort viele Werke, die sich auf spezifische lokale Verhältnisse beziehen. Insofern wird das wieder eine große Eröffnung werden - aber für uns wird die Documenta 14 noch lange weitergehen, auch über die Laufzeit der Ausstellung hinaus.

Derzeit wird diskutiert, wie politisch Kunst sein muss. Diese Ausstellung in Athen war von Anfang an eine politische Setzung, oder?

Ich glaube, wir haben viel über Politik in verschiedenen Ländern, vor allem über die Politik in den Herkunftsländern der Künstler gelernt. Aber auch über die Politik der Werke selbst. Wenn wir in diesem Moment nicht politisch agieren und diese Sphäre den gewählten Volksvertretern allein überlassen, werden wir uns an einem unguten Ort wiederfinden, viele Menschen leben bereits unter diesen Bedingungen. Unser Terrain ist die Kunst, von diesem Gebiet aus können meine Kollegen und ich Vorschläge machen.

Der Ort Athen hat sich in den vergangenen Jahren verändert, zur Finanzkrise kamen noch die Flüchtlinge, der Bürgerkrieg in Syrien. Muss die Kunst, die Sie zeigen, tagesaktuell sein?

Bei der Eröffnung hat ein Journalist des Wall Street Journal gefragt, ob die Documenta in Athen nicht womöglich schon historisch überholt sei. Er meinte, dass es ja sein kann, dass die EU-Finanzminister in diesen Stunden das Schicksal Griechenlands wenden, die Krise lösen. Ich habe mich gefragt, auf welchem Planeten er lebt. Offensichtlich liegen der Planet Wall Street und der Planet Documenta Lichtjahre voneinander entfernt. Wir haben es hier mit einer Multiplikation von Krisen zu tun, auf allen Ebenen. Aber das hier ist kein Film vom Weltuntergang oder von der Apokalypse. Und auch wenn es weder um Optimismus oder Pessimismus geht: Was gerade geschieht mag vielleicht auch dazu führen, dass die Welt wieder lebenswerter wird.

Die Documenta soll auch eine Utopie sein, ein Ort der Freude und Begehren erzeugt, was bedeutet das?

Darum geht es auch: Wir müssen jenen Strukturen etwas entgegen setzen, in denen Begehren eingeschläfert wird. Nicht nur bei einer Performance, auch bei der Kontemplation vor einem Gemälde, es geht immer darum, Kunst aktiv zu benutzen.

Und was waren für Sie die Lehren von Athen?

Vieles. Ich spreche jetzt für mich als Person. Ich habe in Athen gelernt, dass es wichtig ist, stur zu sein, nicht aufzugeben. Nicht der ersten Intuition zu folgen, die fürchtet: Nein, das wird nie funktionieren. Jetzt kann das Publikum nicht nur auf die Kunstwerke schauen, oder auf ihre Anordnung im Kontext einer Ausstellung - sondern auch auf den Kontext einer Stadt, die sie beherbergt. Wir sehen Ausstellungsorte und Institutionen nicht nur als Gebäude. Sondern auch als Verkörperungen von institutioneller Historie, die sie begründet und ausmacht.

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