Gefälschte Hitler-Tagebücher im "Stern":Die Welt will betrogen sein

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Es sollte der Clou des Jahrhunderts werden: die Veröffentlichung der angeblichen Tagebücher Adolf Hitlers im Stern vor 25 Jahren. Es wurde ein Presse-Skandal, und er kostete das Magazin den Ruf.

Willi Winkler

Er ist inzwischen eine Art Totem geworden, ein böser Schutzheiliger der ganzen Branche, die zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühlen oft nicht mehr weiß, wo sie den Kopf gelassen hat. In den Berichten zum Jubiläum erscheint Gerd Heidemann, heute 76, je nach Sympathie des Autors als nazisüchtiger Trottel oder armes Schwein. Auf jeden Fall ist er der Mann, der dem Stern die Hitler-Tagebücher einbrachte und einen Ansehensverlust, unter dem er bis heute leidet.

Die Schadenfreude der Kollegen ist heute kaum geringer als 1983, als die Fälschung binnen weniger Tage aufflog. Dabei könnte es im Zweifel jeden treffen. Schließlich sind alle Zeitungen - der Spiegel, Bild, auch die Süddeutsche Zeitung - irgendwann auf Betrüger hereingefallen, weil die Gier nach Sensation und ihre Vermarktung gelegentlich größer war als die sonst übliche Vorsicht.

Mit nackter Geldgier, unglaublicher Inkompetenz und nicht zuletzt einem lüsternen Interesse an scheinbar echten Nazi-Dokumenten brockte sich der Stern vor 25 Jahren mit den "Hitler-Tagebüchern" den größten Presse-Skandal der Nachkriegszeit ein. Verlag und Redaktion glaubten, die Geschichte müsse "in großen Teilen neu geschrieben werden" (Chefredakteur Peter Koch).

Die Geschichte hat diesen Überfall einigermaßen unbeschadet überlebt, der Stern nicht. 9,34 Millionen Mark gab der Bertelsmann-Verlag für die sechzig Kladden aus, die der Urkundenfälscher Konrad Kujau aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen zusammengesudelt und mit pikanten Details etwa über die Verdauungsbeschwerden des Führers angereichert hatte.

Ein Witz

Da es sich um eine klandestine Operation handelte und die Konkurrenz keinesfalls Wind von dem Jahrhundertdeal bekommen sollte, schloss die Verlagsleitung sogar Sonderverträge mit dem Reporter Heidemann und seinem Ressortleiter Thomas Walde. Sie sollten ihre Prozente von den Millionen abbekommen, die man sich aus dem Weltvertrieb der Führer-Notizen erwartete. Heidemann garantierte für Adolf Hitler, und wie sollte man ihm nicht glauben?

"Immer wenn es brenzlig wird, muss Gerd Heidemann ran", begannen die hausinternen "Informationen für Mitarbeiter in Redaktionen und Verlag" vom 27. April 1983. Der langjährige Kriegsreporter hatte den zunächst Stern-üblichen Starklatsch besorgt, später immer die härtesten Fotos aus Bürgerkriegen und Aufständen mitgebracht und in Mexiko den Schriftsteller B. Traven aufgespürt. "Was immer Gerd Heidemann für den Stern recherchiert - seine Geschichten sind absolut 'wasserdicht'", versicherte der Verlag, aber bei Hitlers Aufzeichnungen war das ein Witz.

Dass Hitler Tagebuch geführt habe, bestätigte der Sohn seines Leibfotografen Heinrich Hoffmann, der es zwar auch nicht wusste, aber beim Stern angestellt war. Es wurde ferner bestätigt durch den SS-General Karl Wolff, dem der Stern eine Reise nach Südamerika bezahlt hatte, um dort Martin Bormann aufzuspüren. Die beiden Rechercheure trafen ihn zwar nicht leibhaftig an, aber zumindest fernmündlich bestätigte der ehemalige Reichsleiter die Echtheit der erstaunlich belanglosen Aufzeichnungen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum "ein menschlicher Hitler" genau das war, wonach die Presse suchte.

Es war ein Irrenhaus oder eben: die Hamburger Presse. Obwohl sie von Süden und auch aus dem Hause Springer als schwer links verrufen war, wurde der alte Nazi-Dreck über Jahrzehnte nirgendwo mehr in Ehren gehalten als beim Spiegel und beim Stern. Der Stern kaufte die Eichmann-Memoiren, die Schirach-Memoiren und brachte die schönen schwarzen Nuba der unsterblich in Hitler verliebten Leni Riefenstahl. Der Spiegel mochte da nicht zurückstehen, zahlte dem freigelassenen Albert Speer eine sechsstellige Summe für ein Exklusiv-Gespräch und brachte später in unendlichen Fortsetzungen alles von Hitlers Sohn bis zu den (allerdings echten) Tagebüchern von Joseph Goebbels. Der Bertelsmann-Vorstand Manfred Fischer seufzte seiner Mannschaft aus der Seele, als er später von dem "geradezu sinnlichen Erlebnis" schwärmte, das ihm die Tagebücher bereitet hätten.

Leidenschaft für Naziana

Ohne diese verhängnisvolle Leidenschaft für Naziana wäre der Stern niemals auf den vermeintlichen Scoop hereingefallen. Ein Vierteljahrhundert später erscheint es noch immer unglaublich, dass erwachsene Menschen auf einen vorbestraften Militaria-Händler hereinfallen konnten, der bloß gut abschreiben konnte. Die britische Journalistin Gitta Sereny hält die Fälschung deshalb bis heute für ein Werk dunkler, altnazistischer Kräfte, und das kaum beleuchtete Mitwirken geheimer, ost- wie westdeutscher Dienste wäre nicht das schwächste Indiz dafür.

Selbst Michael Seufert pseudonymisiert in seinem "Skandal um die Hitler-Tagebücher" den Namen des V-Manns Medardus Klapper. Dass der für Heidemanns Enthüllungen zuständige Ressortleiter Thomas Walde erst zum Stern ging, nachdem seine Bewerbung beim Bundesnachrichtendienst (BND) nicht angenommen worden war, und dass er überdies, wie Heidemann, über glänzende Ost-Kontakte verfügte, wird lieber auch nicht erwähnt.

Der menschliche Hitler

Aber es hilft nichts, die vermeintlichen Hitler-Tagebücher waren ein hausgemachtes Desaster. Niemand wusste bis 1983 von einem eifrigen Diaristen Hitler, der sich abends überm Tagebuch erholt haben sollte. Beim Stern und bei Bertelsmann wusste man es besser, weil ein menschlicher Hitler haargenau in das Blatt passte, das der Gründer Henri Nannen doch für Lieschen Müller machte. Das konnte nicht gutgehen.

Konrad Kujau, der kasperlköpfige Fälscher, ließ sich nach seiner Haft in Talkshows feiern und kandidierte sogar als Stuttgarter Oberbürgermeister. Thomas Walde wurde aus dem Stern hinausbefördert und Direktor von Radio Hamburg. Nannen grämte sich öffentlich dafür, dass er und die anderen auf den Betrüger Heidemann hereingefallen waren. Dass Heidemann bis dahin die beim Stern auflagenwichtige Verbindung zu den alten Nazis gehalten hatte, zählte jetzt nicht mehr. Der Triumphator war als Hauptschuldiger in dieser peinlichen Affäre identifiziert.

Nur noch komisch

Henri Nannen zog sich zurück, widmete sich seinem Museum. Gerd Schulte-Hillen schadete seine Beteiligung am Hitler-Deal nicht, er stieg nur immer weiter auf in der Bertelsmann-Hierarchie und durfte nach seinem Abschied sogar David Montgomery beim Kauf der Berliner Zeitung beraten. Der als Gutachter beigebrachte britische Historiker Hugh Trevor-Roper, der seine bescheidenen Deutschkenntnisse durch einen vom Verleger Rupert Murdoch subventionierten Hang zum Superlativ ausglich, überstand den Fall recht wenig beschadet, ebenso wie der Politologe Eberhard Jäckel, der schon vor der Stern-Affäre Kujau-Originale in einen Band mit Hitler-Dokumenten aufgenommen hatte. Bleibt Heidemann. Nannen persönlich zeigte ihn wegen Betrugs an, und als Haupttäter erhielt er vier Jahre und acht Monate, zwei mehr als Kujau.

Nach 25 Jahren ist die Presse-Affäre nur noch komisch, aber Adolf Hitler wird ernster genommen denn je. Helmut Dietl konnte sich in seinem Kinofilm "Schtonk!" (1992) noch lustig machen über die Hamburger Narretei um den privaten Hitler. In Bernd Eichingers Wagner-Drama "Der Untergang" (2004) ist Hitler wieder erfolgreich auf das Niveau heruntergemenschelt. "Mundus vult decipi", lautete, seinem Freund Curt Hohoff zufolge, der Wahlspruch des Studenten Henri Nannen: "Die Welt will betrogen sein."

© SZ vom 25.04.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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