Geburtstag:Wolken, Wind und Wohlklang

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Mit Mendelssohn Batholdys "Sommernachtstraum" feiert das Theater am Gärtnerplatz sein 150-jähriges Bestehen. Mehr als zehntausend Besucher sind von Musik und Atmosphäre begeistert. Und auch das Wetter spielt aktiv mit

Von Rita Argauer, München

Der Toten-Hosen-Fan-Pulli würde vielleicht besser zu einer Wagner-Oper passen als zu Mendelssohn Bartholdys lichter, verzückend-verwirrender Schauspielmusik. Dass er den Konzertgenuss in dieser Weise mit kommentieren darf, ist eine der Besonderheiten des Gärtnerplatz-Open-Air-Konzerts. "Bis zum bitteren Ende" prangt auf dem Rücken der Zuschauerin, die sich ziemlich in der Mitte des Platzes aufhält, dort, wo der erhöhte Brunnen steht. Die Aufschrift des Punk-Pullis ist deshalb für den Publikumsanteil hinter dem Brunnen auch besser zu sehen als das eigentliche Geschehen: Das Orchester des Gärtnerplatztheaters spielt auf einer Freibühne neben dem eigentlichen Stammhaus, zusammen mit Schauspielern (unter anderem Marianne Sägebrecht und Markus Hering) und dem Damenchor den "Sommernachtstraum".

Es ist ein "Geschenk des Theaters, um das Jubiläum zum 150-jährigen Bestehen einzuläuten", erklärt Intendant Josef E. Köpplinger zu Beginn. Dementsprechend euphorisch ist er, als er verkündet, man habe die Zehntausendermarke überschritten habe. Und mehr als 10 000 Menschen auf diesem eigentlich gar nicht so großen Platz, das ist ziemlich verrückt. Logen waren ja schon immer etwas für die besser Betuchten. Auf dem Gärtnerplatz ist das nicht anders: Eine Wohnung mit dieser Adresse hat ihren Preis, aber eben auch den Vorteil, zu dieser Festivität über die Menge hinweg blicken zu können. Das verspricht freie Sicht, etwa auf Sägebrecht als herrlich ulkenden und dennoch durch die wunderbaren Worte Shakespeares auch ernsthaft tiefsinnigen Puck. Zumindest ihre Stimme wirkt so, sehen kann man bei normaler Körpergröße nichts - außer ein paar in die Höhe schießende Geigenbögen.

Doch der Klang dürfte auch auf dem Logenplatz nicht optimal sein. Der ist nämlich leider trotz zweier versetzter Lautsprecher-Reihen auf dem Platz verweht (es war windig) und erinnert eher an den Klassik-Genuss, der einem in den U-Bahn-Stationen Odeonsplatz und Goetheplatz durch die Lautsprecher, durch die normalerweise die Verspätungsdurchsagen krachen, ab und an entgegenschallt. Die Blechbläser und die Tutti-Passagen werden zwar leicht verzerrt, aber noch gut hörbar über den Platz getragen. Anders leider die - vermutlich in schönstem Pianissimo von Chefdirigent Marco Comin gestalteten - verwunschenen Streicherpassagen, die über das gesamte Werk hinweg immer wieder durch die Musik brechen. Von denen ist der Strich zu erahnen, der Ton leider nicht. Ein atonales Rauschen, das dem Versuch eines jungen Mannes, dem Kumpanen seinen Aufenthaltsort per Handy durchzugeben, bei weitem nicht Stand hält.

Doch da darf man nicht jammern, denn einen besonders analytischen, ganzheitlichen Musikgenuss kann man zwischen Tausenden Menschen im Bratwurst-Käse-Bier-Dunst auch nicht erwarten. Dafür aber etwas anderes. Die Überpräsenz des Publikums erschwert zwar die Konzentration, zeigt aber, wie mit dieser Rezeptionssituation umgegangen werden muss: beobachten und sich auf die Atmosphäre einlassen, anstatt dagegen anzukämpfen.

Und dann entsteht auf dem Gärtnerplatz ein fast performatives Abbild des Shakespearschen Verwirr- und Verzauberspiels: Hier ein junges Paar, sie auf dem Rücken liegend, er stehend, zuerst ihre Füße massierend, dann ihre Extremitäten als Steh-Stütze benutzend und selig lauschend. Dort eine picknickende Mädchentruppe, dazwischen ein paar Punks und ein Mann mittleren Alters, der auf eine Straßenlaterne steigt, nachdem vor ihm ein jüngerer Mann mit Maßkrug und Handy in der Hand euphorisch den Hochzeitsmarsch mitdirigierte. Soviel menschliche Präsenz gibt es selten im Klassik-Konzert.

Und so wird die Atmosphäre eines Volkstheaters im ursprünglichen Sinne noch richtig herrlich. Etwa nach der Hälfte des Konzerts leert sich der Platz ein wenig, ein Sitzplatz auf der Wiese wird frei, später kann man sogar recht ungehindert ungefähr bis zur Mitte nach vorne laufen. Die Lichtstimmung, die an diesem Abend über München hängt, dieses schmutzig-senfgelbe Wolkenspiel, das nicht zum Gewitter wird, aber die Bedrohung allmächtig über dem Freiluft-Spaß hängen lässt, färbt sich irgendwann lila, dann blau. Immer noch mit Wolken und Wind, aber sie passt besser zum Abbild der surrealen Traumsituation, als dies je ein Bühnenscheinwerfer produzieren könnte. Und die Musik, die versatzstückhaft auf den Platz herunter regnet, gespickt mit den Passagen des Textes, ist zwar weit entfernt davon, ein ganzes Bild abzugeben, entfaltet aber eine assoziative Atmosphäre herrlicher Kunst, die einen irgendwie somnambulen Zustand hervorruft.

Bis Marianne Sägebrecht als krähender Puck erst naiv fragt "wie hirnverbrannt die Menschen sind?", diese Menschen dann aber nach eindrucksüberladenem und assoziativem Klassik-Genuss mit Shakespearesches gewitztem Segen, der das Spiel und das Schauspiel reflektiert, fast putzig in die Nacht entlässt. Breiter Applaus und die Frage, ob solch eine wenig hehre Aufführungsform manchen Werken nicht ab und an gut täte.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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