Geburtstag:Sieben geniale Sekunden

Geburtstag: Kein "Endspiel": György Kurtág schreibt eine Beckett-Oper.

Kein "Endspiel": György Kurtág schreibt eine Beckett-Oper.

(Foto: Huszti Istvan)

Aphoristisch und fragmentarisch: Der Komponist György Kurtág arbeitet mit neunzig Jahren noch an einem neuen Werk.

Von Reinhard J.Brembeck

Noch vor ein paar Wochen kündigte die Website der Mailänder Scala für den 6. November dieses Jahres eine Uraufführung an: "Fin de partie", Samuel Becketts "Endspiel" in der Vertonung durch den mittlerweile wie eine Legende verehrten György Kurtág, der am heutigen Freitag seinen 90.Geburtstag feiert. Mittlerweile wurde diese Ankündigung gelöscht, aber es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass die Premiere verschoben wird. Denn Kurtág, dieser so leise wie freundliche Musiker, gibt keine Interviews, ist der skrupulöseste unter den Komponisten. Es wird kolportiert, dass er Becketts Stück ohne jede Kürzung Wort für Wort vertonen wolle. Und das kann dauern.

Kurtág ist im Westen erst Ende der 80er Jahre bekannt geworden. Weil er anders als sein Komponistenfreund György Ligeti und abgesehen von einem Studium in Paris nicht in den Westen emigriert, sondern in Budapest geblieben ist, wo er an der Akademie erst Klavier und dann Kammermusik unterrichtete. Nebenher reifte er ab 1959 und im Verborgenen zum weltweisen Großkomponisten kleiner Formen. Wenn Kurtág ein Vorbild hat, dann ist es der frühromantische Beethoven der Bagatellen. Also schreibt er bevorzugt kurze Klanggedankensplitter, mal skurril und mal detonierend, mal verzweifelt und mal tanzend, mal romantisch sehnsüchtig und mal konstruktionistisch herb. Sie füllen auch die bisher acht Bände seiner oft auch für Laien spielbaren "Játékok" (Spiele) für Klavier, die er häufig zusammen mit seiner Frau aufführt und die zum bekanntesten seiner Werke zählen.

In der Regel baut Kurtág aus solchen Urzellen auch seine größeren Werke auf. So auch sein wohl genialstes Stück, die "Kafka-Fragmente" für eine Sängerin und einen Geiger, die in einer Stunde 30 solcher Momente bieten, deren kürzestes nur zehn Sekunden dauert, das längste aber - "Der wahre Weg", dem gerade gestorbenen Komponistenkollegen Pierre Boulez gewidmet - bringt es immerhin auf sieben Minuten. Die Texte dazu stammen aus Kafkas Tagebüchern und sind genauso fragmentarisch und aphoristisch wie die Musik: "Der Coitus als Bestrafung des Glückes des Beisammenseins".

Kurtágs rätselhafteste Einfälle gelten Frauenstimmen und Poesie

Kurtág hat nicht viel komponiert. Vielleicht auch, Wiederholungen sind diesem Meister ein Gräuel, weil jedes seiner Werke ein Unicum ist. Das Minigitarrenkonzert "Grabstein für Stephan" basiert auf einem immer wiederholten , langsam arpeggierten Gitarrenakkord, "Stele" geht von einem bei Brahms geborgten Akkord aus und das kurze Klavierkonzert " . . . quasi und fantasia . . . op.27 Nr.1" verneigt sich mal kurz vor Beethoven; träumt sich ansonsten in Kurtágs Nachdenklichkeit hinein, in seine Sinnsuche, Gläubigkeit und Lebensbejahung.

Vor allem aber liebt dieser Komponist Frauenstimmen und Dichter, ihnen eignet er seine intimsten und rätselhaftesten Einfälle zu. Er hat nicht nur Kafka vertont, sondern auch den Prediger Péter Bornemisza, vielvon Rimma Dalos, auch Attila József, János Pilinszky und, mit "What is the Word", Samuel Beckett. Genau jenen Beckett, an dessen "Endspiel" er gerade laboriert - um vielleicht noch mit jungen 90 Jahren seinem sowieso erstaunlichem Œuvre noch eine Oper anfügen zu können.

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